Holger Schlüter, Foto: privat

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Editorial: Es läuft nicht gut

Jüngste maritime Schlagzeilen erregen Besorgnis. Ist öffentlich bewusst, was da gerade passiert? Wo stehen wir eigentlich in Sachen Seeblindheit? Das Deutsche Maritime Institut mit seinem marineforum trat vor über einem halben Jahrhundert an, den „maritimen Gedanken“ südlich des Moin-Äquators zu verbreiten, ungefähr so: Versteht doch, dass Industrie und Handel, Arbeitsplätze und Wohlstand von der freien See und seinen Zugängen abhängen. Wem das zu kompliziert ist, sei vorerst mit dem Aufkleber „no shipping - no shopping“ zufrieden. Der Trend drehte schleichend: Aufmerksame TV-Seher bemerkten, dass der Hintergrund bei Wirtschaftsnachrichten von Industrie-Schloten auf Seecontainer umdekoriert wurde, ab 2000 gab es einen Maritimen Koordinator der Bundesregierung und eben dieser wurde 2018 ein eigener Posten. Sollte der maritime Gedanke nun doch in der Mitte der deutschen Regierungspolitik angekommen sein?

Die Nationalen Maritimen Konferenzen seit 2019 und die Aussicht auf frische nationale Konzepte nährten Hoffnung. Und dann passierten viele unschöne Ereignisse, die Ihnen, liebe marineforum-Leser ein „siehste!“ entlockt haben mögen, in der Hoffnung man wache in Gesellschaft und Politik auf. Ob „Ever Given“ oder „Moskwa“, ob Huthi-Angriffe oder die Schattenflotte Russlands: Meere sind Politik. Und nun müsste doch auch der letzte Kleinsichtige in Parteien und Parlamenten verstehen, was die Deutsche Marine nicht nur in Nord- und Ostsee, sondern auch im Pazifik und im Roten Meer zu suchen hat.

Ist das Ziel des DMI nahe? Mitnichten: Es ist wie Gartenarbeit, immerzu muss es auch hier auf Seite 3 erklärt werden, ob durch die Fachmenschen des VSM, des VDR und BDSV, des DMI oder der Deutschen Marine selbst. Man darf nicht glauben, die Einsicht sei erfolgt, auch wenn gute Nachrichten aus dem Marineschiffbau von U-Booten und Fregatten verkünden. Das ist nur eine Aufholjagd, das sagt der Minister im Januar bei seinem Werftbesuch bei NVL selbst. Neue Minenabwehreinheiten, Kampfboote und weitere Spezialschiffe für alle Sicherheitsbehörden sind damit noch lange nicht beauftragt. Der Zeitbedarf von Ausschreibung, Bau und Instandsetzung verursacht ohnehin weiße Fingerknöchel, wenn man bedenkt, was auf Europa Unerquickliches zukommen mag. Dass man dafür mehr Personal und noch viel mehr Geld benötigt, gehört stur in Regierungsprogramme gestanzt. Geld, das in Wertschöpfungsketten der deutschen Werft- und Verteidigungsbranche schließlich nicht verloren geht.

Apropos Geld: Die Nationale Hafenstrategie aus 2024 sollte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen See- und Binnenhäfen stärken. Womit denn? Diese Frage stellt sich auch nach dem Treffen der NATO-Anrainerstaaten der Ostsee in Helsinki, bei dem der Bundeskanzler avisierte, dass sich auch die deutsche Marine beteiligen soll. Im Januar war nämlich die britisch geführte Joint Expeditionary Force (JEF) zum Schutz der Ostsee gestartet. Ohne Deutschland, das dort nur „Partner“ ist – warum? Antwort aus dem BMVg und dem AA? Keine. Die Ostsee sei nicht Las Vegas, schrieb Dr. Sebastian Bruns vor Jahren, und es bestätigt sich: Was sich im Kleinen in der Ostsee abspielt, ist Symbol für die ganze westliche Welt. Die Provokateure dekuvrieren unsere Schwachheit, machen unser System lächerlich: Seht, was wir können – und ihr könnt nichts dagegen tun! Es braucht standfeste Behörden inklusive Marine, eine handlungssichere Justiz und mutige Politik, um so konsequent zu sein, wie es uns Schweden und Finnland vormachen. Erst wenn dieses Beispiel auch verlässliches deutsches Handeln wird, glaube ich daran, dass der maritime Gedanke Gemeinsinn geworden ist. So wie eine neue Regierung goutieren sollte, was der Inspekteur der Marine mit seinem Plan 2035+ und einem nationalen Hauptquartier in Rostock anbietet: Eine Antwort auf mögliche russische Absichten ab 2029. Der Blick auf eigene, ganzheitliche maritime Fähigkeiten wird auch bitter nötig sein, denn der verhaltensauffällige Golfer in Washington spielt nur auf eigenen Greens.

Es gilt daher, das europäische Handicap fleißig zu verbessern. Und was kann das marineforum tun? Wir bilden maritime Meinungen, nicht nur um RAL 7000 herum, wie ich gelegentlich richtigstellen muss. Unsere Themen sind Meer und Schifffahrt in Europa und der Welt, Handel, freie Seewege und maritime Bedrohungen. Da gibt es einiges, was nicht gut läuft – oder doch? Vielleicht findet sich unter ihnen der Fachmann oder die Fachfrau, die uns darüber im neuen Jahr mit kreativen Beiträgen bereichern. Gerne auch auf marineforum.online, was mehr ist als das, was Sie gerade etwas aufpoliert in Händen halten. Mit den besten Wünschen für ein gutes und vor allem friedliches 2024!

Holger Schlüter

12. März 2025 | 0 Kommentare

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