Knapp neun Milliarden Euro für die Deutsche Marine
In der letzten Sitzung vor der Sommerpause und damit der letzten Sitzung vor der Bundestagswahl im Herbst hat der Haushaltsausschuss des Bundestages Mittel für 27 Rüstungsprojekte für knapp 20 Milliarden Euro freigegeben. Aufgrund dieser parlamentarischen Bewilligung kann das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mit der Wirtschaft nun Verträge über Entwicklung, Lieferung und Wartung eingehen. Im maritimen Bereich ist ein erster Abschluss bei den Flottendienstbooten bereits erfolgt.
Das prominenteste der bewilligten Projekte ist das neue New Generation Weapon System (NGWS) im Rahmen des Future Combat Air Systems (FCAS). Das aus einem Kampfflugzeug und Drohnen bestehende NGWS soll zukünftig den Eurofighter ersetzen.
Im maritimen Bereich sind acht Milliarden Euro für die Beschaffung von seegehenden Einheiten und Seefernaufklärern bewilligt worden. Was nicht zu einer maßgeblichen Vermehrung der Flaggenstöcke führt: Lediglich die zwei U-Boote der Klasse U 212CD vergrößern den Fuhrpark der Flotte, die Anzahl der Seefernaufklärer verringert sich. Zehn der zwölf gebilligten Rüstungsvorhaben der Marine dienen dem Ersatz älterer Einheiten und notwendigen Anpassungen an den Stand der Technologie. Unter Berücksichtigung der Maßnahmen zum Fähigkeitserhalt vorhandener Einheiten vergrößert sich die Gesamtinvestitionssumme auf 8,9 Milliarden Euro. Hinzu kommen Aufwendungen für Flugkörper der Marine.
Fast die Hälfte der vom Haushaltsausschuss am 23. Juni bewilligten Investitionen entfallen auf die Marine. 6,227 Milliarden Euro fließen in den Marineschiffbau, unter Einbeziehung der norwegischen U-Boote 212CD werden es sogar 10,637 Milliarden.
Welche maritimen Rüstungsprojekte hat der Bundestag freigegeben?
- Zwei U-Boote der Klasse 212 Common Design (U 212CD) aus dem gemeinsamen Programm mit Norwegen. Norwegen beschafft vier, Deutschland zwei Boote.
Ausweislich des Bundeshaushaltes (Fassung vom Dezember 2020. Eine neuere, die Entscheidungen seit dem 3. Juni 2021 berücksichtigend, ist zurzeit nicht öffentlich verfügbar) sind für die beiden Boote der Deutschen Marine zwei Milliarden Euro veranschlagt. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagesfraktion Eckhardt Rehberg gibt in einer Pressemitteilung vom 23. Juni 2,8 Milliarden Euro an. In einer Antwort auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag beziffert der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn am 14. Juni 2021 den Finanzbedarf für zwei Boote auf 1,274 Milliarden Euro. Nicht enthalten in den Stückkosten für die Boote seien die Entwicklungskosten. Deutschland und Norwegen teilen sie sich im Verhältnis 1:1.
Nach vorliegenden Informationen beträgt der Finanzbedarf für Maßnahmen, die das Projekt begleiten (wie Beistellungen, Li-Ion-Batterie, Integration IDAS, Managementreserve) 308 Millionen Euro. Somit ergibt sich ein Gesamtbedarf von 3,19 Milliarden Euro.
Laut übereinstimmenden norwegischen Presseberichten sieht die Osloer Beschaffungsbehörde 4,41 Milliarden Euro für den Kauf der vier Boote vor (45 Milliarden Norwegische Kronen). - Drei Flottendienstboote der Klasse 424. Nach vorliegenden Informationen liegt das Finanzierungsvolumen bei 2,028 Milliarden Euro für den Ersatz der in die Jahre gekommenen Flottendienstboote der Klasse 423. Zu dem Vorhaben gehört eine Ausbildungs- und Referenzanlage Aufklärung.
Die Bremer Lürssen-Werft wurde laut einer eigenen Pressemitteilung am 24. Juni als Generalunternehmer mit dem Bau der drei Flottendienstboote beauftragt. Die Einheiten zur offenen Aufklärung und Nachrichtengewinnung werden voraussichtlich ab 2027 der Deutschen Marine zur Verfügung stehen. Tim Wagner, Geschäftsführer der Fr. Lürssen Werft, kommentierte: „Wir werden nun unverzüglich in die Entwurfsphase einsteigen und Gespräche mit potenziellen Partnern aus der Werftenbranche und Systemtechnik aufnehmen. Mit einer werftenübergreifenden Kooperation wollen wir das Know-how und die Kompetenzen an Werftstandorten der Lürssen-Gruppe mit den Kapazitäten weiterer norddeutscher Werften zusammenführen, um die dringend benötigten neuen Flottendienstboote unter Einbindung aller notwendigen Ressourcen auf den Weg zu bringen.“
- Zwei Marinebetriebsstoffversorger der Klasse 707
Finanzbedarf 914 Millionen Euro (Quelle: Internetauftritt der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag)
Der Bundestagsabgeordnete Eckhart Rehberg erwartet als haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, dass der Bau der beiden Marinebetriebsstoffversorger bei der Rostocker Neptun-Werft 2022 beginnen soll. Mit der Fertigstellung sei 2025 zu rechnen.
- Zwei Erprobungsboote „Seeversuch Küste“
Finanzbedarf 95 Millionen Euro (Quelle: Internetauftritt der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag). Es handelt sich bei dem Vorhaben um die Erstatzbeschaffung für ein Mehrzweck- und ein Erprobungsboot der Wehrtechnischen Dienststelle 71. Vor den Türen des Haushaltsausschusses war am 23. Juni zu erfahren, dass die Bremer Fassmer-Werft ein Bewerber sei.
- Beschaffung von fünf Flugzeugen des Typs P-8A Poseidon
Der Systempreis kumuliert sich nach vorliegenden Informationen auf 1,78 Milliarden Euro (einschließlich Unterstützungsleistungen). Am 30. Juni erörterte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Washington mit ihrem amerikanischen Amtskollegen Lloyd Austin den Kauf. In der diesbezüglichen Pressemitteilung des Bundesverteidigungsministeriums heißt es, der Vertrag umfasse neben den fünf Luftfahrzeugen auch die dazugehörige Missions- und Kommunikationsausstattung, einen Ersatzteilerstbedarf nebst Zubehör, Bodenprüfgeräte und Sonderwerkzeuge, ein Missions-Unterstützungssystem sowie technisch-logistische Unterstützung.
Die P-8A Poseidon gilt als Interimslösung. Langfristig soll gemeinsam mit Frankreich das Maritime Airborne Weapons System (MAWS) entwickelt werden. Die US-Regierung hatte dem Kauf von fünf dieser Flugzeuge mit umfangreicher Ausstattung im März gebilligt. Damals wurde der Finanzbedarf mit 1,48 Milliarden Euro (1,77 Milliarden Dollar) veranschlagt (Quelle: US-Agentur für Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung und Sicherheit DSCA).
- Fregatte Klasse 124: Obsoleszenzbeseitigung Weitbereichssensor
Dabei geht es u.a. um die Modernisierung bzw. Erweiterung des Radargeräts zur Befähigung für die Abwehr ballistischer Raketen (BMD).
Im 8. Rüstungsbericht des BMVg wurde das Finanzvolumen mit 327,1 Millionen Euro, im 9. Rüstungsbericht mit 314,8 Millionen Euro beziffert. Nach vorliegenden Informationen umfasst der endverhandelte Vertrag 219 Millionen Euro. Im Verlauf des Vorhabens werden zusätzliche 19 Millionen für andere Leistungen (wie Beistellungen, Prüfungen einschließlich Nachweise, Zieldarstellungsmittel) erforderlich. - Fregatten Klasse 123 – Zum Sicherstellen der Einsatzverfügbarkeit müssen nach vorliegenden Informationen für das neue Führungs- und Waffeneinsatzsystem sowie für neue Radaranlagen ca. 587 Millionen Euro (Basic-Paket/Sensor-Paket, Performance Based Logistics Leistungen) aufgewendet werden. Darin sind auch schiffbauliche Maßnahmen enthalten.
- Minenjagdboote der Klasse MJ 332C / Integrated Mine Countermeasure System Obsoleszenzbeseitigung. Vertragsvolumen: 44,1 Millionen Euro.
- Beschaffungsvorhaben Radarnavigationssystem für diverse Klassen. Für 40 Bordeinheiten müssen samt Herstellung der Versorgungsreife 39,978 Millionen aufgewendet werden.
- Kommunikationssystem zur Führung des Schadensabwehr- und Gefechtsdienstes (SAGD) an Bord seegehender Einheiten. Ersatzbeschaffung von Bündelfunksystemen.
- Beschaffung einer Rezertifizierungs- und Instandsetzungsausstattung für den Seeziel-Lenkflugkörper RBS 15 Mk3
- Abschluss eines Vertrags über die Herstellung und Lieferung von Lenkflugkörpern Naval Strike Missile Block 1A
Ungewöhnliche Vorgehensweise
Die umstrittene Vorgehensweise des Verteidigungsministeriums im Vorfeld der parlamentarischen Behandlung scheint sich ausgezahlt zu haben. Das BMVg hatte auf der Zielgeraden der Legislaturperiode Rüstungsprojekte zur Billigung eingebracht, von denen einige bis dahin nicht finanziell im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) hinterlegt waren: 15 von 35 Vorhaben wurden mit dem Vermerk ‚Bundeshaushalt‘ vorgestellt. Das betraf auch sechs Marinevorhaben. Das Manöver des letzten Augenblicks der Verteidigungsministerin blieb nicht ohne die erwünschte Wirkung.
Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro für die deutsche Marineschiffbauindustrie
Aufgrund der Entscheidung des Haushaltsausschusses vom 23. Juni kann die deutsche Marineschiffbauindustrie und ihre Zulieferer Investitionen in Höhe von mehr als zehn Milliarden Euro einfahren. Seitens der deutschen maritimen Industrie wird die Freigabe der Gelder begrüßt. In einem Gespräch mit unserer Schwesterzeitschrift Europäische Sicherheit und Technik sagte Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), zum Beschluss des Bundestages: „Für die deutsche Marineschiffbauindustrie wird damit Planungssicherheit für die kommenden Jahre geschaffen. Mit ihren Werften und Systemhäusern sowie einer breiten Anzahl hoch spezialisierter und kompetenter Zulieferunternehmen ist der Marineschiffbau ein wichtiger strategischer Standortfaktor.“
Rolf Wirtz, Chief Executive Officer von Thyssenkrupp Marine Systems, kommentierte die Bewilligung der Gelder für das deutsch-norwegische Projekt: „Der Deutsche Bundestag hat heute mit seiner Freigabe des Projekts U 212CD die baldige Vertragsunterzeichnung ermöglicht. Das ist eine gute Nachricht für Thyssenkrupp Marine Systems in Kiel, seine Mitarbeitenden und industrielle Partner. Wir freuen uns darauf, zum Erhalt der Schlüsseltechnologie in Deutschland weiter die weltweit modernsten konventionellen U-Boote bauen zu können und damit auf absehbare Zeit tausende Arbeitsplätze abzusichern.“
U 212CD für die Deutsche Marine 2032 und 2034
Der Bau des ersten U-Boots könnte im Jahr 2023 beginnen, wenn der Vertrag in diesem Sommer unterzeichnet wird. Die Auslieferung des ersten U-Boots für die norwegische Marine wird ab 2029 erwartet (Ankündigung des norwegischen Verteidigungsministeriums vom März 2021), während die Auslieferung der beiden Boote für die Deutsche Marine nunmehr für 2032 und 2034 vorgesehen ist (Staatssekretär Silberhorn in seiner Antwort im Deutschen Bundestag am 14. Juni). In Vorbereitung auf den zu erwartenden Auftrag hatte Thyssenkrupp bereits 2019 Investitionen von rund 250 Millionen Euro am Standort Kiel angestoßen, um diesen zu einem Kompetenzzentrum für den konventionellen U-Boot-Bau weiterzuentwickeln. Der Bau einer neuen Schiffbauhalle hat bereits begonnen und ist auf dem Werftgelände bereits fortgeschritten.
Nicht betrachtet in den Beschaffungsvorhaben sind die Hafenunterstützungsfahrzeuge und andere Betriebsfahrzeuge der Marine wie Tauchereinsatzboote und Hafenschlepper. Ein Interessenbekundungsverfahren unter dem Titel „Kooperationsgesellschaft zum Erhalt der Schlepp-, Manövrier- und Bugsierfähigkeit für seegehende Einheiten“ wurde am 17. Juni 2021 ausgeschrieben mit Abgabefrist 23. Juli 2021. Die Marine scheint sich mit einer Leasingoption anzufreunden, beziehungsweise anfreunden zu müssen.
Text: Hans Uwe Mergener und Christian Kanig
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