Vor wenigen Wochen wurde mit der RHEINLAND-PFALZ die vierte und letzte Fregatte der Klasse 125 in Dienst gestellt. Zeit für einen Blick auf die bisherigen Probleme und Erfolge des Riesenprojekts.
Zwei Ereignisse mit Außenwirkung standen Anfang 2022 sinnbildlich für den erreichten Fortschritt der Fregatten Klasse 125: Zum einen konnte am 28. Januar mit der RHEINLAND-PFALZ das vierte und letzte Schiff der Klasse von der Industrie abgenommen werden, zum anderen war Anfang März ein Schiff der Klasse am „Flaggezeigen“ der Deutschen Marine im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt in der Ostsee beteiligt.
Die Klasse 125 gehört mittlerweile nicht nur zum gewohnten Bild der Schifffahrt in der Nordsee, sondern ist nach wie vor häufig zu Erprobungen in der Ostsee anzutreffen – untrügliches Zeichen dafür, dass die Realisierung des Projekts zwar weit fortgeschritten, aber eben doch noch nicht beendet ist. Gleichzeitig nähert sich die Werftliegezeit der ersten großen planmäßigen Instandsetzung des Typschiffs BADEN-WÜRTTEMBERG in Bremerhaven ihrem Ende. Der richtige Zeitpunkt also, ein Zwischenresumee des bis dato größten realisierten deutschen Marineprojekts zu ziehen und einen Ausblick auf den Weg zum Erreichen der Einsatzreife der Klasse zu geben.
Das 2007 mit dem Bauvertrag in die Umsetzung gegangene Projekt F 125 hat einige Höhen und Tiefen durchgemacht und sah sich zahlreichen Projektstörungen ausgesetzt (s. marineforum 5-2020). Der neue konzeptionelle Ansatz der Intensivnutzbarkeit und das Mehrbesatzungskonzept sowie die Ausrichtung auf neue Einsatzszenarien mit asymmetrischen Bedrohungen, Wirken von See an Land und Unterstützung von Spezialkräften bedeutete einen erheblichen Innovationsbedarf, der zeitintensive, risikobehaftete Entwicklungsaufwände der Industrie nach sich zog. Gleichzeitig hat sich die Projektumgebung durch Regelungen, Verfahren und Tools während der Projektrealisierung grundlegend gewandelt – mit erheblichen Auswirkungen auf die Versorgungsreifeleistungen, die Informationssicherheit und die Systemzulassung. Aus der vergrößerten Zahl der Verfahrensbeteiligten resultierte eine signifikante Steigerung des Abstimmungsaufwands.
Erprobungen und Nachweise
Im April 2016 begannen mit der Werftprobefahrt der BADEN-WÜRTTEMBERG die Seeerprobungen der Klasse. Nach Abschluss des Funktionsnachweises für das Einsatzsystem wurde die BADEN-WÜRTTEMBERG am 30. April 2019 von der Industrie abgenommen und am 17. Juni 2019 in Dienst gestellt. Daran schloss sich von Ende Juli 2019 bis April 2020 eine erste Phase der Einsatzprüfung an.
Während die Schiffstechnik zu diesem Zeitpunkt bereits einen guten Reifegrad aufwies, bestand im Einsatzsystem aufgrund des Innovationsgrads, der Komplexität und des hohen Vernetzungsgrads ein relevanter Nachentwicklungsbedarf. Dieser wurde sukzessive mit den Folgeschiffen, die in etwa im vertraglich vorgesehenen einjährigen Rhythmus zuliefen, abgestellt. Größte technische Herausforderung war dabei die Anlage Kora 18 zur Elektronischen Kampfführung, die ab 2018 einem umfassenden Reengineering unterzogen werden musste. Die erste Ausbaustufe konnte im Herbst 2021 im Funktionsnachweis der RHEINLAND-PFALZ nachgewiesen werden. Die abschließende zweite Ausbaustufe hat die Performance-Tests in diesem Frühjahr erfolgreich absolviert, der Funktionsnachweis wird im Sommer 2022 abgeschlossen.
Der Weg zur Einsatzreife
Somit ist auch die Grundlage für die weitere Erprobung der Waffenfunktionsketten und die noch ausstehenden Anteile der Einsatzprüfung gelegt, die mit einem Flugkörper- und 127-Millimeter-Schießen im Herbst 2022 abgeschlossen werden. Dabei wird auch die weitreichende Vulcano-Munition nachgewiesen. Parallel werden erstmalig die IT-Systeme des zweiten Schiffes, der NORDRHEIN-WESTFALEN, gemäß den Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gehärtet. Die auf den Fregatten RHEINLAND-PFALZ und NORDRHEIN-WESTFALEN nachgewiesenen Systemanteile werden nach Beendigung der Instandsetzungsphase auf die Fregatte BADEN-WÜRTTEMBERG übertragen. Die Parallelisierung der Aktivitäten dient dem frühzeitigen Risikoabbau und folgt einem ausgeklügelten Terminplan, der immer ein Schiff – aktuell die SACHSEN-ANHALT – für die notwendigen Ausbildungsabschnitte der Marine freistellt. Die abschließend für die Informationssicherheit erforderlichen Maßnahmen werden dann im zweiten Quartal 2023 mit der Fregatte BADEN-WÜRTTEMBERG umgesetzt. Mit der für Juli 2023 angesetzten Akkreditierung durch die Deutsche militärische Security Authorisation Agency (DEUmilSAA) wird der Marine das erste einsatzreife Schiff der Klasse F 125 zur Verfügung stehen.
Systementwicklung: Lessons Learned
Die Entwicklung komplexer Komponenten innerhalb des eigentlichen Schiffbauprojekts durch dasselbe Projektteam gestaltete sich für den öffentlichen Auftraggeber wie die Industrie äußerst herausfordernd. Neben Kora 18 zählen dazu große Anlagen wie die Hauptbewaffnung (127 mm Large Caliber Gun), der Hauptsensor (Multifunktionsradar TRS-3D), die IFF-Anlage (Identification Friend or Foe), die Heavy Machine Gun oder die Buster-Einsatzboote.
Jede dieser Komponenten hätte aufgrund ihrer Komplexität die Realisierung über ein gesondertes Projekt gerechtfertigt. Wenn diese Entwicklungen innerhalb des eigentlichen Schiffbauprojekts mit seinen begrenzten Personalkapazitäten erfolgen, münden sie schnell in Projektrisiken, die sich nicht mehr einfach mitigieren lassen. Weder die industrieseitige Koordinierung noch die Begleitung dieser Teilprojekte durch den öffentlichen Auftraggeber lassen sich dann in der gebotenen Tiefe gewährleisten.
Wenn außerdem einige dieser Komponenten wie das 127-Millimeter-Geschütz dem Hauptauftragnehmer Arge F 125 als Beistellung zeitgerecht und fehlerfrei zur Verfügung gestellt werden müssen, dann beteiligt sich der öffentliche Auftraggeber an der Realisierungsverantwortung des Hauptauftragnehmers. Er ist dann sowohl Auftraggeber des Gesamtwaffensystems als auch Unterauftragnehmer für die beizustellende Komponente, vertragliche Konflikte sind hierbei nicht auszuschließen.
Mittlerweile besteht die Möglichkeit, Systemverbünde mehrerer Projekte im Rahmen eines Programmmanagements zu organisieren. Damit können zu realisierende Fähigkeiten auf verschiedene Komplexitätsstufen heruntergebrochen und trotzdem im Sinne des Erreichens des Gesamtziels organisiert werden. Nicht zuletzt sollte im Rahmen von Kampfschiffprojekten jedoch vermehrt auf marktverfügbare Geräte und Anlagen zurückgegriffen werden.
Informationssicherheit
Die Fregatte 125 weist aufgrund des reduzierten Besatzungskonzepts einen hohen Grad an Automation und Vernetzung auf, verbunden mit einer hohen Anzahl an IT-Systemen. Viele dieser IT-Systeme verarbeiten Verschlusssachen und müssen deshalb einen Akkreditierungsprozess durchlaufen. Besonders die alle sechs Jahre zu wiederholenden Abstrahlvermessungen dieser Komponenten stellen aufgrund der schieren Anzahl – bei F 125 betrifft dies rund 750 Geräte – eine große Herausforderung mit hohem Zeitbedarf dar. Aus rein praktischen Erwägungen können die Vermessungen nur im Rahmen von Instandsetzungsliegezeiten sinnvoll durchgeführt werden, verlängern diese aber um mehrere Monate. Aufwand und Nutzen sind nach Vorliegen der Ergebnisse aus der Instandsetzung der BADEN-WÜRTTEMBERG mit den Verfahrensbeteiligten neu zu erörtern.
Da Fregattenprojekte eine lange Realisierungsphase von etwa 15 Jahren aufweisen, die Innovationszyklen kommerzieller IT demgegenüber aber nur fünf bis sieben Jahre betragen, sind Obsoleszenzen immanenter Bestandteil eines jeden Großprojekts. Sie erschweren den Akkreditierungsprozess, da erkannte Sicherheitslücken oftmals nicht mehr geschlossen werden können. Regenerationen sind nur im Einvernehmen mit dem Hauptauftragnehmer über Vertragsänderungen durchführbar. Nach Ende der Entwurfsphase ist dies aber häufig nur noch sehr eingeschränkt möglich. Damit können Systemanpassungen wie beispielsweise überarbeitete Konfigurationsvorgaben in der Regel erst nach der Abnahme umgesetzt werden.
Generell ist es sinnvoll, die Anzahl unterschiedlicher IT-Systeme klassenübergreifend zu reduzieren, um den erforderlichen Pflegeaufwand in der Nutzung auf ein beherrschbares Maß zurückzuführen. Mit Blick auf die F 125 könnte solch ein Ansatz zur Prämisse für eine Midlife Conversion Anfang der 2030er-Jahre erhoben werden. Dies könnte durch Angleichen des Bauzustands der F 125 an die dann zulaufende F 126 umgesetzt werden. Insbesondere im Einsatzsystem weisen beide Schiffsklassen Parallelen im Bereich der Sensoren und Effektoren auf, sodass bei der F 126 zum Einsatz kommende IT-Systeme auch für die F 125 verwendet werden könnten. Hierzu gilt es, in den nächsten Jahren tiefergehende Analysen durchzuführen, die zum einen den Projektfortschritt F 126 berücksichtigen, aber auch den generellen Ansatz zur Vereinheitlichung maritimer Führungssysteme nicht außer Acht lassen.
Versorgungsreife
Analog zu Intensivnutzbarkeit und Mehrbesatzungskonzept wurde auch im Bereich der Versorgungsreife Neuland beschritten. Erstmalig ist ein Großwaffensystem ausschließlich über SASPF (Standard Anwendungs-Software Produkt Familie) zu bewirtschaften und über die konsequente, aufeinander aufbauende Anwendung der Standards ASD S2000M (Materialdaten) und S1000D (interaktive elektronisch technische Dokumentation) die Grundlage für eine durchgängige Logistik – von der Materialanalyse zu Projektbeginn (Logistic Support Analysis, LSA) bis zur Nachversorgung und Instandsetzung – bei den Herstellern zu schaffen.
Das Ziel einer vollständigen Bewirtschaftung in SASPF ist aktuell erreicht, der Weg dahin war jedoch mit etlichen Hindernissen gepflastert:
• Fehlende Erfahrungen sowohl auf Seiten des öAG wie der Industrie hinsichtlich der Anwendung der ASD-Standards
• verspätete Verfügbarkeit erforderlicher Tools zur Massenübernahme von Materialdaten nach SASPF
• die Anbindung schwimmender Plattformen an SASPF musste erst noch geschaffen werden (Projekt Log IT-U F125)
• Ausrollen SASPF für das Marinearsenal, um eine bruchstellenfreie Bearbeitung von Instandhaltungsprozessen zu ermöglichen
Das Ziel einer durchgängigen Logistik bedarf noch folgender Arbeitsschritte:
• Die bei F 125 festgelegte, aufeinander aufbauende Anwendung von S2000M- und S1000D-Standards entspricht zwar den Anforderungen der 2026 geplanten Integrated Logistic Support Suite Bw (ILS), hat aber noch keinen Eingang in die übergeordnete Weisungslage gefunden und ist damit für Folgeprojekte nicht vorgegeben.
• Die im Rahmen von F 125 entwickelte unmittelbare Auslese und Festlegung von Materialklassifikation aus zugelassenen S2000M-Materialinformationen befindet sich in Abstimmung mit den Verfahrensbeteiligten.
• die Anwendung des Standards ASD 2000M für Informationsaustausch in der Nutzung ist mit den Herstellern noch nicht vereinbart.
Wartung In SASPF
Ebenfalls neu bei F 125 ist die komplette Abbildung der Wartung in SASPF. Hierfür müssen die in der technischen Dokumentation enthaltenen Wartungsmaßnahmen aller Instandhaltungsstufen ausgelesen, aufbereitet und in Wartungspläne in SASPF überführt werden. Hierzu wird als Planungstool eine Instandhaltungsdatenbank genutzt, in der eine Optimierung der Maßnahmen mit Blick auf eine möglichst geringe Einschränkung der Verfügbarkeit des Waffensystems über die Betriebsperiode hinweg erfolgt. Auf Grundlage dieser schiffsklassenspezifischen Festlegung erfolgt – derzeit noch manuell – die Überführung der Maßnahmen in Wartungspläne in SASPF.
Fazit
F 125 ist in vielerlei Hinsicht ein Leuchtturmprojekt im Bereich der Marinekampfschiffe. Das war anstrengend, hat zu terminlichen Verzögerungen geführt, aber schlussendlich zukunftsweisende Lösungen erbracht:
Anwendung der Standards ASD S2000M 4.0 und ASD S1000D 2.3 inklusive neuer Prüftools
• Anbindung schwimmender Plattformen an SASPF
• Ablösung logistischer Altverfahren
• Umsetzung Intensivnutzbarkeit und Mehrbesatzungskonzept
• Akkreditierung InfoSich
• erste Anwendung des neu organisierten Zulassungswesens
Folgeprojekte (K 130 2. Los, F 126, F 127, FDB 424, BVS, U 212CD) können die bei F 125 erarbeiteten Ergebnisse übernehmen und auf diesen aufbauen. Die Lessons Learned wurden projektbegleitend erarbeitet, kommuniziert und in den Verträgen und Spezifikationen berücksichtigt.
Nicht zuletzt bieten die innovativen Systeme wie das Multifunktionsradar TRS-3D NR, Kora 18 oder LCG 127 Millimeter die Grundlage für den Aufbau von Produktlinien, die von F 126 übernommen oder weiterentwickelt werden, sodass in der Zukunft wieder ein höheres Maß an Querschnittlichkeit bei den Überwasserkampfschiffen erreicht wird.
Die wesentlichen Risiken im Projekt konnten abgebaut werden, die Restrisiken sind überschaubar, die Terminplanung mit allen Beteiligten abgestimmt. Der Marine gibt dies die benötigte Planungssicherheit, gerade auch hinsichtlich der für die Erfüllung der Einsatzaufgaben benötigten Flaggenstöcke. Mit der BADEN-WÜRTTEMBERG steht der Marine ab Juli 2023 das erste Schiff einsatzreif zur Verfügung, die weiteren Schiffe folgen bis Ende 2024.
Leitender Technischer Regierungsdirektor Marc Steffens ist Projektleiter Fregatte 125, Technischer Regierungsdirektor Axel Wriedt ist Integrator Einsatzsystem F 125, Fregattenkapitän Andreas Jedlicka ist Integrator Versorgungsreife F 125. Die Autoren sind tätig im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr.
Marc Steffens, Axel Wriedt und Andreas Jedlicka
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