Russisches U-Boot WEPR der AKULA-II-Klasse, Foto: Michael Nitz

Russisches U-Boot WEPR der AKULA-II-Klasse, Foto: Michael Nitz

Gedanken zur russischen Marinedoktrin

Russlands Präsident Putin schlägt auch maritim aggressive Töne an.
Rechtfertigt die Stärke seiner Flotte dieses Gebaren?

Beim diesjährigen Tag der Flotte hat Wladimir Putin eine neue russische Marinedoktrin vorgestellt. Die sorgt weniger wegen ihres Inhalts als wegen der Aggressivität ihrer Verkündung für Aufmerksamkeit. Die neue Doktrin wird aus der Bedrohung durch den Westen, insbesondere durch die USA und ihre Marine abgeleitet und reiht sich insofern in das langfristige russische Narrativ der äußeren Bedrohung und Einkreisung ein. Nach bekanntem Muster soll das zur Rechtfertigung weiterer eigener Offensiven als präventive Gegenschläge dienen.

Faktisch ist die neue Doktrin darauf ausgelegt, mit den eigenen Stärken und Schwächen realistisch umzugehen. Zu den Schwächen gehören neben der geografischen Lage russischer Basen vor allem die beschränkten Fähigkeiten des Landes im Kriegsschiffbau. Ob es gelingt, in anderen Regionen der Welt zusätzliche Stützpunkte zu gewinnen, wird unter anderem von den künftigen wirtschaftlichen Möglichkeiten Russlands abhängen, Vertragspartner zu finden.

Weil sich der Kern der alten sowjetischen Werftindustrie in der Ukraine befindet, sind Programme zum Bau großer Schiffe hingegen nicht realistisch. Seit Jahren baut Russland bestenfalls Korvetten. Der Bau weiterer Fregatten der Admiral-Grigorowitsch-Klasse ruht, weil seit der Krim-Annexion die Ukraine keine Turbinen und Deutschland keine Motoren mehr liefert. Aus dem gleichen Grund übergab Frankreich die beiden bestellten Hubschrauberträger nicht, und man hört von solchen Plänen auch nichts mehr. Wenn Putin also, ohne eine Jahreszahl zu nennen, von Flugzeugträgern spricht, ist das keine konkrete Planung, sondern Balsam für die verwundete russische Marineseele an ihrem Ehrentag.

Einzig bei den U-Booten gibt es ab und an einen spektakulären Neubau, aber es handelt sich um Einzelschiffe oder Prototypen ohne nachgewiesenen Einsatzwert. Das schließt nicht aus, dass sie für bestimmte Sonderaufgaben wie zum Beispiel den Einsatz gegen Unterwasserkabel gute Dienste leisten können Für größere Blue-Water-Operationen fehlt der russischen Marine das Potential, und nach dem Ende des Ukraine-Kriegs dürften die Landstreitkräfte Priorität bei den Ressourcen haben, wenn es darum geht, deren Einsatzfähigkeit wiederherzustellen.

Zu den russischen Stärken gehören seit der Sowjetzeit die Flugkörper. Der überschallschnelle Typ Kalibr kann in verschiedenen Versionen gegen Land-, See- und Unterwasserziele verschossen werden. Er ist in großer Stückzahl auf verschiedenen Plattformen, insbesondere Korvetten, zu finden und wurde sowohl in Syrien als auch in der Ukraine eingesetzt. Die neue Hyperschallwaffe Zirkon baut dieses Potenzial noch weiter aus.

Während die russische Marine auf den offenen Ozeanen nur sehr begrenzte Möglichkeiten hat, ist sie im erweiterten Küstenvorfeld ein sehr ernstzunehmender Gegner. Mit ihren Flugkörpern kann sie vor allem den Nachschub und die Verstärkung für die baltischen Staaten empfindlich stören und eventuell sogar unterbinden. Außerdem kann sie bis weit ins Hinterland westlicher Staaten Ziele angreifen. Diese Flugkörperbedrohung, nicht nur von See, verdient das Augenmerk westlicher Verteidigungsplaner, wenn es darum geht, sich gegen militärische Aggression und Erpressung Russlands zu wehren. Für westliche Marinen hat das Konsequenzen, sowohl bei der Selbstverteidigung als auch bei der Fähigkeit, die Abschussplattformen zu bekämpfen.

Putins Rede und die neue Marinedoktrin mögen aggressiv klingen, sie sind jedoch das Eingeständnis, dass nicht Russland Herr der Ozeane ist, sondern die USA. So bleibt in sowjetisch-russischer Tradition nur eine strategische Defensive, die durch offensive operative Optionen ergänzt wird. Mit denen sind wir, Deutschland und seine Verbündeten, im gesamten Nordflankenraum und insbesondere in der Ostsee konfrontiert und werden neue Antworten finden müssen.

Karsten Schneider

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