Vizeadmiral Rob Kramer ist Inspekteur der niederländischen Marine

Vizeadmiral Rob Kramer ist Inspekteur der niederländischen Marine

Hilferuf aus Holland

Die niederländischen Streitkräfte sind in Teilen nicht einsatzbereit. Mit dieser Feststellung und er Forderung nach mehr Geld wagten sich hochrangige Offiziere des Landes an die Öffentlichkeit.

Die vier Männer waren demonstrativ in ihren gewöhnlichen Arbeitsuniformen und mit hochgekrempelten Ärmeln gekommen. Es sollte Bodenständigkeit symbolisieren und den Willen, die Dinge anzupacken. Doch eigentlich wollten die vier Inspekteure der niederländischen Streitkräfte im Interview mit der Tageszeitung Trouw auspacken und Klartext reden. Schwer gefallen sei ihnen dieser Schritt, betonte Vizeadmiral Rob Kramer, Commandant Zeestrijdkrachten. Denn normalerweise beklagen sich Soldaten nicht. „Wenn sie uns bitten, einen Meter zu springen, dann können wir immer noch einen halben Meter weiter. Aber in diesem Moment müssen wir mit Schmerz sagen: Das geht nicht länger gratis.“

Dann zeigen sie auf, was derzeit in den niederländischen Streitkräften alles nicht geht. Generalleutnant Dennis Luyt, Inspekteur der Luftwaffe, sagt, dass er eigentlich verpflichtet wäre, rund 30 Kampfflugzeuge in Bereitschaft zu haben, derzeit aber kein einziges für den schnellen Einsatz parat hat. Von den 22 Schiffen und Booten unter dem Kommando von Admiral Kramer befinde sich die Hälfte im Hafen. Nicht Corona sei das Problem, sondern der Mangel an Personal und Material, um die Schiffe in den Einsatz schicken zu können. Hierdurch kann die Marine ihren ureigenen Aufgaben derzeit nicht nachkommen, beispielsweise keine dauerhafte Präsenz vor der Küste zeigen. Fehlanzeige derzeit auch bei der für die Errichtung von Windkraftanlagen in der Nordsee erforderlichen Räumarbeiten, um Altlasten zu lokalisieren und zu beseitigen. Und erst recht keine Kriegsschiffe, die über einen längeren Zeitraum die Routen der Handelsschiffe weltweit vor Piraten und sonstigen Bedrohungen schützen können. Genauso wenig sei derzeit an eine Wiederaufnahme der Beteiligung niederländischer Schiffe bei der Operation Irini im Mittelmeer zu denken.

Worum es geht, ist Geld. In diesem Jahr stellen die Niederlande für Verteidigung 11,727 Milliarden Euro bereit. Den größten Teil davon verschlingt der Personalapparat. Die rund 40 000 Soldaten, 20 000 Zivilangestellten und 6000 Reservisten benötigen inklusive Pensionen gut 51 Prozent des Haushalts. Ein weiteres Viertel wird investiert in neues Material. Für die laufenden Ausgaben der Marine stehen 2021 insgesamt 795 Millionen Euro bereit.

Nicht genug, um allen Aufträgen der Politiker nachkommen zu können, finden die vier Top-Militärs. Denn obwohl das Budget seit 2014 um rund drei Milliarden Euro erhöht wurde, klafft immer noch eine Lücke zwischen der Zusage gegenüber der Nato und den zur Verfügung stehenden Mitteln. Lediglich 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wenden die Niederländer für Verteidigung auf, weit unter den auf Nato-Ebene vereinbarten zwei Prozent. Um auf diesen Wert zu kommen, müssten die Ausgaben um vier Milliarden Euro steigen. „Wir sind die Underperformer in der Nato, während jeder weiß, wie reich wir sind“, beklagt der Inspekteur des Heeres, Martin Wijnen. Dazu bringt er noch einen drastischen Vergleich: „Wir sind wie Mitglieder eines Fußballvereins, die keinen Beitrag zahlen und uns auch noch vor dem Bardienst drücken“. Woraufhin Luyt sekundiert: „Und wenn wir selbst an der Bar stehen, lassen wir die anderen bezahlen. Wir sind die ganz hässlichen Mitglieder.“ Sogar das Wort „Schmarotzer“ fällt. Mit zusätzlichem Geld ließen sich neue Waffen kaufen und vorhandene wieder einsatzklar machen. Zudem wollen die Inspekteure den Menschen in den Streitkräften mehr offerieren als einen Arbeitsplatz. „Join the navy, see the world. Das kann ich ihnen nicht bieten, wenn sie [die Schiffe, Red.] in Den Helder an der Pier liegen“, betonte Admiral Kramer.

Dass dies in der Bevölkerung des kleinen Landes derzeit keine Unterstützung finden würde, ist auch den vier Inspekteuren klar. Ihrer Ansicht nach fühlen sich die Menschen nicht bedroht, sie leben seit Jahrzehnten in Frieden mit ihren Nachbarn und sind zu weit von den Bedrohungen im Osten und Süden des Kontinents entfernt. „Ich würde die Niederländer gern einmal nach Litauen mitnehmen, wo unsere Menschen stationiert sind“, bemerkte Generalleutnant Martin Wijnen, Chef des Heeres. „Dort fühlen sie jeden Tag die Nähe eines Gegners wie Russland, das es mit uns nicht gut meint.“

Die Forderung nach einer deutlichen Erhöhung des Budgets unterstützt auch die niederländische Verteidigungsministerin Ank Bijleveld-Schouten. Kaum verwunderlich also, dass Auszüge des Interviews auf der Website des niederländischen Verteidigungsministeriums zu finden sind. Gemeinsam kämpft es sich eben besser.

Text: mb; Foto: Koninklijke Marine

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