IRIS-T SLM, Foto: Diehl Defence

IRIS-T SLM, Foto: Diehl Defence

IRIS-T SLM: Nachrüstungsalternativen F125

Schießübung mit IRIS-T SLM auf der F125 vor Andøya

Im norwegischen Testgelände Andøya finden derzeit umfangreiche Lenkflugkörper-Schießabschnitte statt. Darunter das bereits abgeschlossene Schießen der Fregatte "Baden-Württemberg" mit dem Flugabwehrsystem IRIS-T SLM. Die Fregatte der Klasse F125 wurde für diese Erprobung eigens mit einer navalisierten Variante des IRIS-T SLM Systems nachgerüstet.

Eine Nachrüstung ist aber immer ein komplexes Vorhaben – und meist bieten sich mehrere Optionen an. Im Folgenden sollen Komplexität und Alternativen dargestellt werden, wobei u. a. auch Ergebnisse einer Integrationsstudie aus dem Beschaffungsumfeld von 2024 genutzt werden. Dieser Beitrag ergänzt unsere Erstberichterstattung vom geglückten Schiessen:

Begrenzte Flugabwehr der F125-Klasse

Die vier Fregatten der Baden-Württemberg-Klasse (F125) verfügen als "Stabilisierungsfregatten" konzeptionell nur über recht begrenzte Flugabwehrmittel. Haupteffektor zur Selbstverteidigung im Nahbereich ist das RIM-116 RAM-System mit 42 Flugkörpern, das effektive Reichweiten um 9 km abdeckt. Leistungsfähigere Mittel- oder Langreichweiten-Flugabwehrsysteme (z.B. ESSM oder SM-2 auf den Fregatten der F124-Sachsen-Klasse) fehlen auf der F125. Deutlich bemerkbar machte sich diese Lücke im Verlauf der Weltumfahrung der „Baden-Württemberg“ in 2024: Sie musste nach dem Indo-Pazifik-Einsatz die gefährdete Region am Roten Meer meiden und stattdessen um das Kap der Guten Hoffnung fahren. Die Testschüsse der IRIS-T SLM vor Andøya zielen darauf ab, die „mittlere“ Flugabwehrreichweite der F125 zu erhöhen und ihre Fähigkeitslücke zu schließen.

IRIS-T SLM. Grafik: Diehl-Defence
IRIS-T SLM. Grafik: Diehl-Defence

IRIS-T SLM: System-Eigenschaften und Integration an Bord

IRIS-T SLM (Surface-Launched Medium-range) basiert auf der deutschen IRIS-T Luft-Luft-Rakete und wurde zu einem bodengebundenen Flugabwehrsystem weiterentwickelt. Es bietet eine effektive Abfangreichweite von rund 40 km bei bis zu 20 km Höhe. Der Flugkörper besitzt einen bildverarbeitenden Infrarotsuchkopf (IIR) mit Lock-on after Launch-Fähigkeit, kombiniert mit GPS-gestützter Trägheitsnavigation und Datenlink für Mittelwegsteuerung. Ein abwerfbarer Nasenkonus verringert den Luftwiderstand im Steigflug, während Schubvektor-Steuerung und ein Annäherungszünder die Abfangwahrscheinlichkeit gegen manövrierende Ziele erhöhen. Das System dient dem Bekämpfen von Luftzielen wie Flugzeugen, Drohnen und Überschall-Seezielflugkörpern, ist jedoch nicht zur ballistischen Raketenabwehr geeignet. Bei der Übung in Andøya zeigte IRIS-T SLM auf See eine hohe Trefferquote und erreichte alle Testziele – ein wichtiger Schritt, da es der erste maritime Einsatz eines IRIS-T-basierten Luftverteidigungssystems war.

Für den Test wurde ein Demonstratormodul als eigenständige Lösung auf dem C-Deck der „Baden-Württemberg“ installiert und so die Notwendigkeit eines festen Vertikalstartsystems umgangen. Das Modul umfasste den Startapparat für die IRIS-T Lenkflugkörper sowie die nötige Schnittstelle zu den Schiffssensoren. Zieldaten für das IRIS-T-System wurden durch das Bordradar (Hensoldt TRS-4D mit festen Antennen) bereitgestellt. Allerdings war der Demonstrator technisch nicht vollständig in das Führungs- und Waffeneinsatzsystem der Fregatte integriert – es erfolgte lediglich eine „Datenübergabe“ vom Schiffsradar an das autonome Modul, ohne tiefere Anbindung an das Combat Management System (CMS).

Die Interimslösung brachte auch praktische Herausforderungen mit sich: So mussten ca. 8 Tonnen Stahl am C-Deck verbaut werden, um das Startmodul zu befestigen, das Deck zu verstärken und einen Gewichtsausgleich zu schaffen – mit Auswirkungen auf Schwerpunktlage und Stabilität des Schiffs. Für den Einbau wurden zudem Bereiche für die Versorgung auf See (RAS) blockiert, und die dort montierten Kurzwellenantennen zeitweilig demontiert. Aspekte, die bei einer Dauerintegration berücksichtigt werden müssten. Nicht zuletzt fand der Schuss bei Nacht statt, um optimale Bedingungen für den IR-Suchkopf zu gewährleisten.

Diese Punkte verdeutlichen, dass eine Nachrüstung des IRIS-T SLM machbar ist, wenn sie auch einige Anpassungen erfordert. Neben der Integrationsfähigkeit stehen die positiven Testergebnisse. Sie zeigen, dass ein mehrschichtiges Flugabwehrkonzept umsetzbar ist: Durch IRIS-T SLM würde der bislang bei ca. 9 km begrenzte Abwehrbereich der F125 auf eine gestaffelte Zone bis ca. 40 km erweitert, sodass Seezielflugkörper, Drohnen oder Kampfflugzeuge weit vor dem Schiff abgefangen werden könnten. Der Zugewinn liegt vor allem in zusätzlicher Reaktionszeit und mehreren Abwehroptionen, bevor ein Bedrohungsträger in den Nahbereich gelangt.

Alternativen im Vergleich

Im Folgenden werden drei alternative Systeme mittlerer Flugabwehr und ihre Eigenschaften kurz gegenübergestellt:

  • Sea Ceptor (CAMM): Der britische Common Anti-air Modular Missile (CAMM) von MBDA, in der Royal Navy als Sea Ceptor eingeführt, ist ein speziell für den Schiffseinsatz entwickelter Flugkörper. Er nutzt einen aktiven Radarsuchkopf, womit er bei allen Witterungsbedingungen einsetzbar bleibt, und erreicht je nach Zielprofil Reichweiten von 25+ km bei bis über 10 km Abfanghöhe. CAMM wird vertikal aus kompakten Kanistern kalt gestartet (Soft Vertical Launch), wodurch kein Raketenabgas in das Schiff eingeleitet wird und Hangfire-Risiken minimiert sind. Dieses Verfahren vereinfacht den schiffbaulichen Einbau, da weder Abgasschächte noch große strukturelle Änderungen nötig sind. Die F125 bietet laut Studie ausreichend Platz für CAMM-Startmodule, ggf. sogar containerbasiert. Ein weiterer Vorteil: Die Kombination aus TRS-4D Radar, Atlas-ANCS Führungssoftware und CAMM wird bereits für Brasiliens neue Tamandaré-Fregatten implementiert. Der Flugkörper ist etwas kleiner als IRIS-T SLM, mit 40g Manövrierfähigkeit agil und kann wie IRIS-T 360°-Rundumdeckung mit hoher Feuerrate bieten. Sea Ceptor ist seit 2018 bei der Royal Navy im Einsatz (Type 23 Fregatten) und auch für Neubauten (Type 26, Type 31) vorgesehen. Tatsächlich kam eine 2024 durchgeführte Untersuchung zu dem Schluss, dass CAMM die schnellste, risikominimierteste und kostengünstigste Variante für eine mittlere Flugabwehr auf F125 darstellt.
  • ESSM (RIM-162 Evolved Sea Sparrow Missile): ESSM ist ein NATO-Standard-FK amerikanischer Herkunft gegen Seezielflugkörper, der zum inneren Gürtel der Luftverteidigung auf größeren Kriegsschiffen zählt. Die aktuelle Block 2-Variante verfügt über einen aktiven X-Band Radarsucher (Dual-Mode, optional semi-aktiv) und erreicht Reichweiten von über 50 km bei etwa Mach 4 Geschwindigkeit. In einem Vergleich wäre in puncto Leistungsfähigkeit (Reichweite, Geschwindigkeit, Gefechtskopfgröße) ESSM Block 2 der klare Primus. Allerdings ist die Integration auf F125 mit erheblichen Hürden verbunden: ESSM erfordert ein Mk41 oder Mk56 Vertikalstartsystem und – zumindest für Block 1 – Beleuchtungsradare zur Zielbeleuchtung, über die die F125 bisher nicht verfügt. In der Studie wurde eine Mk41/ESSM-Nachrüstung als aufwendig und risikobehaftet bewertet, da sowohl der Einbau der schweren VLS-Module als auch größere Software- und Sensoranpassungen nötig wären. Selbst mit Block 2 (aktiv) bliebe die Einbindung in das Gefechtssystem komplex.
  • VL MICA: Die französische MBDA bietet mit VL MICA (Vertical Launch MICA) ein schiffgestütztes Flugabwehrsystem an, das den MICA-Luft-Luft-Lenkflugkörper nutzt. Dieser ist in zwei Versionen verfügbar – mit aktivem Radarsucher (MICA RF) oder bildgebendem IR-Sucher (MICA IR). Leistungstechnisch gilt VL MICA als Flugkörper für Kurzstrecken bis mittlere Reichweite: Der aktuelle Flugkörper erreicht maximal etwa 20 km Distanz, wobei die Treffsicherheit gegen agile Ziele in hoher Entfernung abnimmt. MICA wurde ab den 1990er-Jahren entwickelt und weltweit auf kleineren Kriegsschiffen als Hauptwaffe der Flugabwehr eingeführt (u.a. Einheiten der französischen Marine sowie Export-Korvetten). Für die F125 wäre eine Integration von VL MICA prinzipiell möglich – das System ist kompakt und erfordert kein großes VLS, da jeder Flugkörper einen eigenen Startkanister hat. Allerdings existieren bisher keine Schnittstellen zu deutscher Marinesensorik oder Einsatzsystemen. Ähnlich wie bei ESSM wäre ein erheblicher Integrationsaufwand zu erwarten. Allerdings steht mit VL MICA NG (Next Generation) eine Weiterentwicklung bevor, die mittels Dual-Pulse-Raketenmotor die Reichweite auf über 40 km steigern soll und moderne Suchkopf-Technologie gegen Stealth-Ziele bietet.
    Insgesamt ist VL MICA eine technisch interessante Alternative, die aber in der Bewertung hinter CAMM und ESSM rangiert und in der genannten Studie von 2024 keine primäre Rolle spielte.

Der Vollständigkeit halber einige Angaben zum bordeigenen RAM (Rolling Airframe Missile, Block 2): Das RAM-System ist bereits auf der F125 vorhanden und stellt neben der Bordartillerie die letzte Abwehrschicht, nämlich im Nahbereich, her. Der kleine rollstabilisierte Lenkflugkörper nutzt einen Infrarot- und Passiv-Radarsucher (Block 2) zur punktnahen Selbstverteidigung gegen anfliegende Flugkörper. Mit rund 9 km Reichweite deckt RAM jedoch nur den unmittelbaren Umkreis des Schiffes ab. Obwohl RAM mit seiner hohen Reaktionsgeschwindigkeit und Trefferdichte (Salvenschuss) ein sehr wichtiges CIWS (Close-In Weapon System) darstellt, kann es einen mittleren Bereichsschutz nicht ersetzen.

Diehl hat schon angepasst und spricht von "GBAD to SBAD". Grafik: Diehl Defence.
Diehl hat schon angepasst und spricht von "GBAD to SBAD". Grafik: Diehl Defence.

Chancen und Grenzen von IRIS-T SLM

Zusammengefasst hat die nachgerüstete IRIS-T SLM der Fregatte F125 eine dringend benötigte Flugabwehrfähigkeit mittlerer Reichweite verliehen und die Überlebensfähigkeit des Schiffes erhöht: IRIS-T kann eingehende Bedrohungen deutlich früher bekämpfen, während RAM als letzte „Notabwehr“ gegen durchdringende Ziele bereitsteht. Allerdings ist IRIS-T SLM kein Wundermittel: Seine Leistungsfähigkeit kommt mit Einschränkungen, denn der IR-Sucher ist von Wetter- und Sichtbedingungen abhängig und benötigt klare Zielsignaturen, während radarbasierte Lenkflugkörper in jeder Witterung wirken können. Auch der Aufwand für eine volle Integration ist nicht unerheblich, solange keine navalisierte Serienlösung entwickelt ist – dazu braucht es mehr als einen Eimer "Fehgrau".

Die erwähnte Studie bewertet die Optionen differenziert: Sea Ceptor gilt aufgrund verfügbarer Soft-Launch-Module und bestehender TRS-4D/ANCS-Schnittstellen als risikoärmere Nachrüstung. Mk 41/ESSM wird wegen des notwendigen VLS-Einbaus als struktur- und zeitintensiv eingestuft. Für IRIS-T SLM werden dagegen ein marinetauglicher Launcher und die vollständige CMS-Integration als Serienvoraussetzungen genannt; realistisch ist ein mehrjähriger Umsetzungspfad ab Projektfreigabe. Diese Einschätzungen decken sich mit operativen Erfahrungen aus internationalen Programmen (u. a. Sea-Ceptor-Nachrüstung der Royal Navy, die das System binnen vier Jahren auf Type-23-Fregatten nachrüstete).

Ob IRIS-T SLM die optimale Lösung für die F125 ist oder ob Alternativen besser geeignet wären, hängt von zahlreichen Faktoren ab – von den genauen Einsatzerfordernissen über die Integrationsaufwände bis zu industriepolitischen Überlegungen. Klar ist jedoch, dass ein Schließen der Fähigkeitslücke im Bereich der mittleren Flugabwehr nun angegangen wird.

Industriepolitik trifft Einsatzrealität

Andøya zeigt gerade mit Blick auf industriepolitische Ziele: Nationale Lösungen können kurzfristig umgesetzt werden. Es heißt, dass Marine und das Beschaffungsamt BAAINBw bereits untersuchen, wie IRIS-T SLM als Serienlösung implementiert werden könnte.

Im Sinne einer Auswahlentscheidung spräche für IRIS-T die nationale Industrieanbindung und seine Rolle in der European Sky Shield Initiative (ESSI) – einem von Deutschland initiierten EU/NATO-Projekt zur gemeinsamen Beschaffung moderner Luftverteidigungssysteme. Darin ist IRIS-T SLM ein zentrales Element für die mittlere Reichweite. Somit wird die Auswahlentscheidung ein Abwägen sein zwischen kurzfristiger Machbarkeit, langfristiger Interoperabilität und industriepolitischer Ausrichtung.

hum

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Eine Antwort

  1. Danke für den guten Überblick! Das Projekt IRIS-T SLM hat vor allem eins verdeutlicht: wenn man auf 100%-Lösungen verzichtet und konsequent auf Schnelligkeit vor Perfektion setzt, kann man viel erreichen. Ich gehe davon aus, dass die Schwächen des IRIS-T-Suchkopfs behoben werden können, wenn man sich für den Flugkörper als Waffe für die Marine entscheidet.

    Sobald der SeaTiger als großer U-Jagd-Hubschrauber einsatzbereit und auf F-125 eingesetzt wird, sind die beiden Hauptschwächen dieser Schiffe, Flugabwehr und U-Jagd, im Sinne einer 80%-Lösung zu einem großen Teil behoben. Das ist in diesen Zeiten eine wirklich gute Nachricht.

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