Claudia Müller, Foto: Arne Jeschal

Claudia Müller, Foto: Arne Jeschal

Marineschiffbau bleibt Schlüsseltechnologie

Die neue maritime Koordinatorin sieht herausragende wirtschaftliche Chancen für Deutschland auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität. Auf europäischer Ebene sollen gemeinsame Regelungen für den Rüstungsexport erarbeitet werden.

Am 5. Januar 2022 wurde Claudia Müller (Grüne) zur Koordinatorin der Bundesregierung für maritime Wirtschaft und Tourismus ernannt. Ihr Vorgänger im Amt, Norbert Brackmann (CDU), hatte dieses Amt seit April 2018 inne. Gleich bei ihrer Berufung verkündete sie ihre Programmschwerpunkte: „Wir müssen in Deutschland und möglichst auch in Europa auf klimaneutrale Antriebe setzen und damit den Werftenstandort Europa zukunftsfähiger machen.“ Die Schifffahrt befinde sich an einem entscheidenden Wendepunkt, an dem über die Technologie des kommenden Jahrzehnts entschieden wird. Es gebe das verbindliche Ziel, bis 2050 die Hälfte der bisherigen Emissionen von Treibhausgasen einzusparen. Dazu müssten nicht nur neue Schiffe gebaut, sondern auch die bestehende Flotte künftig klimafreundlicher ausgestattet werden. „Da muss und kann der Bund vorangehen, der ist mit Zoll, Bundespolizei oder Fischereiaufsicht ein großer Schiffseigner. Wir können damit zeigen, dass es möglich ist, die Schifffahrt klimaneutral zu gestalten.“ Die notwendigen Techniken seien zum Teil schon vorhanden. Zur maritimen Wirtschaft gehöre auch die Offshore-Technologie. Beim Bau von Offshore-Windparks spielten Umwelt- und Naturaspekte eine große Rolle. Müller kündigte zudem an, sich intensiv mit dem Thema Munitionsräumung in der Ost- und Nordsee zu befassen, denn dort seien enorme Sicherheits- und Umweltrisiken verborgen.

Das Amt, das Sie bekleiden, heißt Koordinatorin für maritime Wirtschaft und Tourismus. Was ist die Begründung für die Aufgabenerweiterung durch den Tourismus? Bildet dieser nunmehr den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?

Ich bin als Koordinatorin der Bundesregierung auch für den Tourismus zuständig, weil man einfach bei der Besetzung geschaut hat, wer in dem Bereich in der politischen Führungsebene das meiste Fachwissen mitbringt. Da ich vor meiner politischen Laufbahn im Tourismus gearbeitet habe, ist die Wahl auf mich gefallen. Mir ist es aber ganz wichtig, den Tourismus und den maritimen Bereich gleichgewichtig zu bearbeiten. Da die maritime Branche im Umgang mit einem Koordinator aufgrund der letzten Legislatur schon etwas geübter ist, gilt es, die richtige Balance zwischen den beiden Bereichen zu finden und zu halten.

Ihr Vorgänger hat mit der Maritimen Agenda 2025 und 2030 viele Ihrer Programmpunkte wie beispielsweise klimaneutrale Schifffahrt, Stärkung des maritimen Standorts Deutschland sowie Entwicklung innovativer und umweltschonender maritimer Technologien und Antriebe aufgegriffen und in die Wege geleitet. Führen Sie seine Maritime Agenda fort oder setzen Sie neue maritime Schwerpunkte?

Im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode ist vereinbart worden, dass wir uns von den Zielen der Maritimen Agenda leiten lassen. Die Frage der Klimaneutralität im Schiffsverkehr ist dabei natürlich von herausragender Bedeutung. Wir müssen hier möglichst schnell deutliche Fortschritte erreichen.
Die Entwicklung klimaneutraler Antriebe made in Germany birgt riesige Chancen. Diese Chancen werden zur Sicherung und Stärkung des Schiffbaustandorts Deutschland beitragen und dafür werden wir die richtigen Weichen stellen.

Derzeit befindet sich die Schiffbauindustrie in einer tiefgreifenden Krise, einige Werften mussten Insolvenz anmelden. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie diese Industrie unterstützen?

Ein moderner Schiffbau hat in Deutschland eine Zukunft. Eine besondere Chance bieten die weltweit steigenden Ambitionen im Klimaschutz und in diesem Zuge die anstehende Modernisierung der weltweiten Flotten auf dem Weg hin zur Klimaneutralität. Auch der Ausbau von Offshore-Windanlagen schafft zusätzliche Marktchancen für die deutschen Werften. Es kommt jetzt darauf an, auf neue Produkte und Technologien zu setzen. Zum Beispiel bei den Antrieben. Die Bundesregierung wird die Unternehmen dabei zum Beispiel mit unseren maritimen Förderprogrammen unterstützen. Gleichzeitig prüfen wir derzeit, wie wir durch öffentliche Aufträge im zivilen, aber auch im militärischen Bereich die Schiffbauindustrie stabilisieren können.

Bedürfen die deutschen Vergaberechtsbedingungen und Rüstungsexportbestimmungen von Marineschiffen einer einheitlichen Regelung in der EU?

Das deutsche Vergaberecht im Bereich Verteidigung und Sicherheit beruht weitgehend und im Wesentlichen auf europäischen Vorgaben, die wir in nationales Recht umgesetzt haben. Für die EU-Mitgliedsstaaten besteht aber insbesondere die Möglichkeit, Ausnahmen vorzusehen, wenn dies zur Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist. Deutschland hat die Ausnahmen vom europäischen Vergaberecht im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen umgesetzt und hier 2020 Schlüsseltechnologien aus dem Bereich der Verteidigung als gesetzlichen Regelfall wesentlicher Sicherheitsinteressen eingefügt. Im Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wurde dazu der Marineschiffbau von Über- und Unterwasserplattformen als nationale verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologie festgelegt. Diese Festlegung bewegt sich im Rahmen des beschriebenen europäischen Rechts.

Was Rüstungsexporte angeht, sieht der Koalitionsvertrag vor, dass wir uns auf europäischer Ebene für eine Stärkung gemeinsamer Regeln und insbesondere für eine Rüstungsexportverordnung einsetzen werden. Darüber hinaus wird die Bundesregierung ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz erarbeiten. Ziel ist es, die bisherigen Regelungen in einem Gesetz zu verankern und die Überwachung des Endverbleibs exportierter Rüstungsgüter, die sogenannten Post-Shipment-Kontrollen, auszuweiten. Das Gesetz wird unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erarbeitet. Mit ihm soll erstmalig in der deutschen Geschichte die zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben werden.

Die Munitionsräumung in Ost- und Nordsee ist Teil Ihrer Programmliste. Wie wollen Sie konkret vorgehen, um dieses wichtige Vorhaben zügig umzusetzen?

Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, dass wir für die Bergung und Vernichtung von Munitionsaltlasten in der Nord- und Ostsee ein Sofortprogramm auflegen und einen Bund-Länderfonds für die mittel- und langfristige Bergung einrichten. Diesen Plan setzten wir jetzt um. Die Federführung für das Sofortprogramm hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) übernommen. Die vom BMUV eingeworbenen Haushaltsmittel werden für einen Zeitraum von fünf Jahren für die zu initiierenden Verfahrensschritte eingesetzt, dann erfolgt ein Übergang in den Dauerbetrieb. Bei der Erarbeitung des Sofortprogramms geht es zuerst um die Auswahl geeigneter Gebiete, bauliche Maßnahmen, die technische Ausstattung und Pilotierungen.

Von welchen Strategien zur Stärkung der maritimen Wirtschaft in Deutschland lassen Sie sich grundsätzlich leiten?

Ich bin davon überzeugt, dass unsere maritime Wirtschaft im globalen Wettbewerb weiterhin erfolgreich sein wird. Mit den innovativen und hochwertigen Produkten made in Germany in den Bereichen Schiffbau, Meerestechnik und Offshore-Windindustrie sind wir heute Weltklasse und werden uns auch weiterhin im internationalen Wettbewerb behaupten. Wir dürfen uns allerdings nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Als Bundesregierung unterstützen wir deshalb maritime Unternehmen dabei, in Forschung, Entwicklung und Innovation zu investieren.
Durch unsere Unterstützung und die Innovationkraft unserer Unternehmen verwandeln wir politische Ziele, wie die Bekämpfung des Klimawandels, in handfeste unternehmerische Chancen.

Die 13. Nationale Maritime Konferenz soll turnusgemäß 2023 stattfinden. Welche maritimen Themen wollen Sie dort einbringen? Wird Bundeskanzler Scholz wie vorher schon Bundeskanzlerin Merkel die Schirmherrschaft übernehmen?

Die Planungen für die nächste Nationale Maritime Konferenz laufen bereits auf Hochtouren. Wir gehen dann zu gegebener Zeit auch auf den Bundeskanzler zu und bitten ihn um die Übernahme der Schirmherrschaft. Ich hoffe natürlich sehr, dass er zustimmen wird. Aber als Hanseat hat er ja quasi ein „maritimes Gen“. Ich bin deshalb zuversichtlich, was die Frage der Schirmherrschaft angeht.

Dieter Stockfisch

1 Kommentar

  1. Bei genauem Lesen fällt wieder ein nicht erwähntes Thema auf: was ist eigentlich mit der Maritimen Sicherheit? Marineschiffbau macht doch nur Sinn, wenn man weiß, wofür man diese Schiffe dann braucht, oder?

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

de_DEGerman