Im September 2020 fanden ausgedehnte See- und Luftwaffenmanöver der Streitkräfte Griechenlands, Zyperns, Frankreichs und Italiens im östlichen Mittelmeer statt, die von diplomatischen Warnungen an die Türkei begleitet waren, die internationale Seerechtskonvention und internationales Gewohnheitsrecht zu wahren.
Die türkische Marine hatte mehrere Navtex herausgegeben, in denen Probebohrungen des Forschungsschiffs ORUÇ REIS südlich von Zypern angekündigt wurden. Diese Arbeiten wurden bis Mitte Oktober verlängert. Gleichzeitig nimmt das Bohrschiff YAVUZ Untersuchungen in der Region vor. Türkische Forschungsschiffe werden dabei von türkischen Marineeinheiten geschützt und andere Nationen aufgefordert, sich aus diesem Gebiet fernzuhalten. Griechenland und Zypern betrachten das betreffende Territorium als Teil Ihrer jeweiligen Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) und fordern die Türkei deshalb auf, ihre Bohraktivitäten unverzüglich einzustellen. Der Konflikt hat innerhalb der NATO und der EU zu erheblicher Unruhe geführt und besitzt das Potential zur Destabilisierung der gesamten Region des östlichen Mittelmeeres.
Nicht nur ein Gasstreit
Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen haben Ihre Ursache im Gasstreit zwischen griechischen und türkischen Zyprioten, die 2011 ausbrachen, als südöstlich von Zypern im sogenannten Afrodite-Feld Erdgas gefunden wurde. Die türkischen Zyprioten schlugen damals die gemeinsame Ausbeutung der Funde als vertrauensbildende Maßnahme vor. In jedem Fall wollten sie diese Frage aber als Diskussionsgegenstand auf die Agenda der von den Vereinten Nationen organisierten Wiedervereinigungsgespräche setzten. Die griechisch-zypriotische Regierung lehnte dies jedoch ab und erklärte, dass die türkischen Zyprioten nach einer Wiedervereinigung selbstverständlich auch von den Gasfunden profitieren würden. Dies war wiederum für die türkisch-zypriotische Seite unakzeptabel, da die griechischen Zyprioten 2004 den Annanplan und damit eine Wiedervereinigung abgelehnt hatten. Für die türkischen Zyprioten würde dies bedeuten, dass sie nur an den Einnahmen aus dem Gasgeschäft beteiligt würden, wenn Sie die Bedingungen der (griechisch-zypriotischen) Regierung der Republik Zypern akzeptieren würden. Die türkisch-zypriotische Regierung lizensierte daraufhin die Entsendung des Türkischen Erkundungsschiffs BARBAROS HAYREDDIN PAŞA, um Probebohrungen vorzunehmen. Dies löste Proteste der Republik Zypern und auch Griechenlands aus. 2018 blockierte die türkische Marine das italienische Schiff SAIPEM 12000 der EPI Co., welches von der Republik Zypern lizensiert war. Inzwischen hatte auch der französische Konzern Total mit Probebohrungen in griechischen (2017) und zypriotischen Gewässern (2018) begonnen. Als Reaktion auf die türkische Blockade wurde 2018 ein ExxonMobile-Bohrschiff von Einheiten der US Navy eskortiert. Die Türkei versuchte nicht, diese Bohrungen zu verhindern. Seitdem unternehmen beide Seiten Probebohrungen in dem Seegebiet, das Griechenland und die Republik Zypern als zu ihren Ausschließlichen Wirtschaftszonen gehörig betrachten.
Keine einfachen diplomatischen Lösungen
Direkte Verhandlungen über Seegrenzen und Gasrechte sind zwischen der Türkei und der Republik Zypern zurzeit nicht möglich, da Ankara die von griechischen Zyprioten gebildete Regierung der Republik Zypern nicht anerkennt. Der seit den 1950er-Jahren schwelende Volksgruppenkonflikt zwischen griechischen und türkischen Zyprioten ist bis heute ungelöst. Die verfassungsmäßige Ordnung der 1960 gegründeten Republik Zypern brach Ende 1963 zusammen. Seit 1964 ist die Regierung der Republik in griechisch-zypriotischen Händen. 1964 wurden UN-Truppen auf der Insel stationiert, um die streitenden Parteien auseinanderzuhalten. 1974 kam es dann zu einem von der damaligen Athener Militärjunta initiierten Putsch gegen die griechisch-zypriotische Regierung. Dies war für Ankara der Anlass, auf der Insel einzumarschieren, um im Norden einen geschlossenen Siedlungsraum für die türkischen Zyprioten zu errichten. Die dort lebenden griechischen Zyprioten wurden zum größten Teil vertrieben und die meisten türkischen Zyprioten in den Norden umgesiedelt. 1983 wurde dann im Norden die nur von der Türkei anerkannte Türkische Republik Nordzypern (TRNZ) ausgerufen. Jahrzehntelange Verhandlungen über eine Wiedervereinigung Zyperns sind bis heute erfolglos geblieben.
Rechtspositionen
Die Türkei vertritt bezüglich der Bohrrechte eine gemischte Position. Zum einen akzeptiert Sie, dass Zypern gewisse Rechte in der Region hat und besteht darauf, dass diese Rechte den türkischen Zyprioten zu gleichen Teilen zugestanden werden müssen. Zum anderen besteht die Türkei darauf, dass bei der Festlegung der Seegrenzen und der AWZ zwischen Zypern, Griechenland und der Türkei auch der türkische Festlandsockel einbezogen wird. Griechenland und die Türkei haben sich in der Vergangenheit immer wieder über die genaue Abgrenzung ihrer Seegebiete gestritten. Der 1923 geschlossene Vertrag von Lausanne, der die Hoheitsgrenze auf drei Seemeilen festlegte, stellt die einzige bisher zwischen beiden Staaten unumstrittene Grundlage dar. Demgegenüber besteht Griechenland auf der Anwendung der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS). Griechenland beruft sich bei der Festlegung der eigenen AWZ auf diese Konvention und behauptet, dass diese eine mittige Grenzlinie zwischen den Küstenlinien der griechischen Inseln und der türkischen Küste vorsieht (Äquidistanzprinzip). UNCLOS-Konfliktfälle werden in der Regel durch die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag gelöst. Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt nun aber keinesfalls darauf schließen, dass dieser ganz im Sinne Griechenlands entscheiden würde. Tatsächlich hat er in der Vergangenheit immer wieder auch Faktoren wie Länge der Küstenlinie und Gewohnheitsrechte in seine Urteile einfließen lassen. Außerdem sollte das Abgrenzungsergebnis den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Fairness und Billigkeit (equity) entsprechen, sodass die Türkei in einem solchen Prozess durchaus mit einem gewissen Erfolg rechnen könnte. Auf der anderen Seite ist die Weigerung der Türkei, UNCLOS zu ratifizieren und die Autorität eines internationalen Gerichts nicht anzuerkennen, keinesfalls ein ungewöhnlicher Vorgang. So hat sich beispielsweise Australien geweigert, die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes bezüglich der Festlegung seiner Seegrenze mit Timor-Leste anzuerkennen. Im Ergebnis kam es dann zu bilateralen Verhandlungen zwischen beiden Staaten, die 2015 mit der gemeinsamen Einigung auf die Demarkation der Seegrenze endeten. Die Türkei lässt gegenwärtig keine Bereitschaft erkennen, der Seerechtskonvention beizutreten und setzt auf bilaterale Vereinbarungen. Es ist trotz aller verbaler Konfrontation in letzter Zeit immer wieder zu entsprechenden Verhandlungsrunden zwischen griechischen und türkischen Regierungsvertretern gekommen. Allerdings beharren beide Seiten bisher auf ihren Maximalforderungen.
Andere Akteure
Präsident Emanuel Macron hat erklärt, dass Frankreich seine militärische Präsenz in der Region vorübergehend verstärken werde, um die Situation besser überwachen zu können und dafür zu sorgen, dass internationales Recht respektiert würde. Hierzu wurden zwei Rafale Mehrzweckkampfflugzeuge auf Kreta stationiert. Weiterhin wurde entschieden, den Hubschrauberträger TONNERRE, der Hilfsgüter in den Libanon transportiert hat, und die Fregatte LA FAYETTE, die am Seemanöver mit Griechenland beteiligt war, in der Region zu belassen. Die Namensgebung des Manövers „Evnomia“ (rule of law) und Macrons Aussage, dass es keiner fremden Nation, keiner Kompanie und keinem Schiff erlaubt werden solle, in das Seegebiet ohne Erlaubnis einzufahren, kann als kaum versteckte Drohung an die Türkei angesehen werden. Frankreich geht es bei seinem Engagement nur vordergründig um die Einhaltung des – ohnehin nicht ganz klar definierten – internationalen Rechts in der Region und auch die Gasfunde dürften angesichts der ungesicherten Profitabilität eine eher untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr möchte Frankreich seine Rolle als regionale Seemacht auch im östlichen Mittelmeer wiederherstellen, welche es in den Auseinandersetzungen um Syrien und Libyen in letzter Zeit zu verlieren drohte. Dabei geriet Frankreich immer wieder mit der Türkei in Konflikt. Dies ist besonders evident in Libyen, wo Macron mehr oder weniger offen den Rebellenführer Chalifa Haftar unterstützt, während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu der international anerkannten Regierung in Tripolis hält. Dort war es am 10. Juni 2020 zu einem Zwischenfall gekommen, als sich die französische Fregatte CORBET drei türkischen Kriegsschiffen genähert hatte, die das unter der Flagge Tansanias fahrende Handelsschiff CIRKIN mit Ziel Libyen eskortierten. Die türkischen Kriegsschiffe hätten nach französischen Angaben, mehrfach die Feuerleitradars auf die französische Fregatte gerichtet. Die Türkei bestreitet den Vorgang. Die COURBET zog sich nach dem Vorfall rasch zurück. Frankreich setzte daraufhin vorübergehend seine Beteiligung am NATO-Seeüberwachungseinsatz Sea Guardian aus.
Italiens Positionierung in diesem Streit ist demgegenüber weit weniger klar. Zwar waren italienische Kriegsschiffe ebenfalls am Seemanöver zwischen Griechenland und Zypern beteiligt, doch wurde dies vom italienischen Verteidigungsministerium nicht als politisches Signal, sondern als Durchführung eines Routinemanövers im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft mit Zypern und Griechenland gewertet. Da die italienische Position in Libyen wesentlich näher an der türkischen liegt, ist dies auch wenig verwunderlich. Der italienische Verteidigungsminister Lorenzo Guerini hat sich deshalb auch im Juli nach Ankara begeben, um das gemeinsame Interesse an Stabilität im Mittelmeer zu unterstreichen und gleichzeitig versucht, diplomatisch im Streit zwischen den NATO-Partnern zu vermitteln.
Libyens Regierung ist besonders auf die Unterstützung des Warlords Haftar durch Russland, Ägypten und Frankreich auf die Hilfe Ankaras angewiesen, deshalb war es auch nicht überraschend, als Tripolis und Ankara am 27. November 2019 ein Abkommen über die gegenseitige Abgrenzung ihrer Seegebiete verkündeten, welches auf den jeweiligen Festlandsockeln beruht und sich mit der von Griechenland geforderten AWZ deutlich überschneidet. Umgekehrt hat die Republik Zypern Abkommen mit Ägypten, Israel und dem Libanon (letzteres noch nicht vom Libanon ratifiziert) über die Anerkennung der jeweiligen AWZ erzielt. Hier hat Erdogans Unterstützung für die Muslimbrüder in Ägypten und der Zwischenfall mit der MAVI MARMARA mit der nachfolgenden Auseinandersetzung mit Israel sicherlich dazu beigetragen, dass türkische Befindlichkeiten hier keine Rolle gespielt haben. Als sich im Januar 2019 die Energieminister von Ägypten, Zypern, Israel, Italien, Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde in Kairo trafen, um die Einrichtung des Gasforums Östliches Mittelmeer zu diskutieren, war die Türkei, neben dem Libanon und Syrien, ebenfalls nicht beteiligt.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Die Europäische Union befindet sich hier in einer Zwickmühle. Griechenland und die Republik Zypern verlangen als EU-Mittglieder eine eindeutige Akzeptanz ihrer Position. Sie drängen auf Sanktionen gegen die Türkei, um diese zum Einlenken zu zwingen. Zypern war deshalb sogar bereit, die Verhängung von Sanktionen gegen den belarussischen Präsidenten Lukaschenko per Veto zu verhindern und hat die vorherige Zustimmung der EU zu Zwangsmaßnahmen gegen Ankara zur Vorbedingung gemacht.
Die EU ist in dieser Frage aber alles andere als einig. Während Frankreich auf Konfrontation setzt, ist die deutsche Regierung bemüht, ihren diplomatischen Einfluss auf beide Seiten auszuüben, um zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Während die Union grundsätzlich die griechische und zypriotische Position unterstützt, soll zunächst jedoch der diplomatische Weg ausgelotet werden, bevor weitere Sanktionen gegen Ankara verhängt werden. Die Vorfestlegung auf die Akzeptanz der griechisch-zypriotischen Sichtweise macht es aber zugleich eher unwahrscheinlich, dass die EU hier eine entscheidende Rolle spielen könnte. Daher sind bilaterale Bemühungen Deutschlands und anderer EU-Mitglieder wie Italien, die über einen guten Draht sowohl zu Ankara als auch zu Athen verfügen, wahrscheinlich eher geeignet, hier zu einer positiveren Entwicklung beizutragen.
Die NATO ist ebenfalls nicht in der Lage, Druck auf ihre beiden streitenden Mitglieder Türkei und Griechenland auszuüben. Griechenland ist Anfang September aus von der NATO lancierten Vermittlungsgesprächen ausgestiegen, da die Türkei nicht auf Athens Vorbedingung, ihre Schiffe aus dem umstrittenen Seegebiet abzuziehen, eingegangen ist. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schilderte die Gespräche nicht als Versuch, den Konflikt zu lösen, sondern lediglich diesen zu deeskalieren.
Interessant ist, dass die USA derzeit kein besonderes Interesse zeigt, sich der Auseinandersetzung zu widmen. Das Manöver, welches der amerikanische Zerstörer WINSTON S. CHURCHILL mit den Fregatten BURGAZADA und BARBADOS der türkischen Marine durchführte und das fast parallel mit den französisch-italienisch-griechischen und zypriotischen Militärübungen stattfand, wurde von der US Navy als das bezeichnet, was es war: eine Routineübung mit dem Ziel, Manövrierfähigkeiten, Interoperabilität und Kommunikation zwischen den alliierten Marinen zu erproben und die gemeinsamen maritimen Sicherheitsanstrengungen zu stärken. Eine politische (Um-)deutung des Manövers, wie sie etwa die Franzosen bezüglich ihrer Übungen kommuniziert hatten, wurde nicht vorgenommen. Trotzdem deutete die türkische Presse die türkisch-amerikanischen Marinemanöver als Unterstützung für die Türkei. Die offizielle Position der US-Regierung ist, dass die Seegrenzen von den betroffenen Staaten auf der Grundlage des Völkerrechts einvernehmlich festgelegt werden müssen. Die Vereinigten Staaten unterstützen dabei den Dialog, und die Verhandlungen und ermutigen Griechenland und die Türkei, in Sondierungsgesprächen zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.
Tatsächlich scheint hierin eine mögliche Lösung zu bestehen. Am 22. September beschlossen Griechenland und die Türkei, ihre bilateralen Sondierungsgespräche wieder aufzunehmen. Griechenland hat in letzter Zeit einige erfolgreiche Verhandlung bezüglich seiner Seegrenzen geführt. So wurde am 9. Juni 2020 ein Abkommen mit Italien unterzeichnet, in dem beide Seiten diplomatische Kreativität bewiesen haben. Am 6. August kam es dann zur Unterzeichnung eines Abkommens mit Ägypten zur teilweisen Abgrenzung der jeweiligen AWZ. Beide Abkommen zeigen, dass Griechenland durchaus in der Lage ist, vom Äquidistanzprinzip abzurücken.
Schwieriger dürfte es werden, auch Gespräche zwischen der Türkei und der Regierung der Republik Zypern über die Seegrenzen und eine gemeinsame Nutzung der Gasvorkommen zu erreichen. Hierfür wäre aber eine wie auch immer geartete Einbindung der türkischen Zyprioten eine Voraussetzung.
Die neuen Verhandlungen sind sicherlich auch auf die diplomatischen Bemühungen von verschiedenen Seiten zurückzuführen. Diese Bemühungen dürfen nicht nachlassen, um eine, von keiner Seite gewünschte, Eskalation des Konfliktes zu verhindern.
Autor Priv.-Doz. Dr. Jan Asmussen ist Politikwissenschaftler und Historiker am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
0 Kommentare