Grigorovich-Fregatte "Admiral Makarov". Foto: MoD Russland

Grigorovich-Fregatte "Admiral Makarov". Foto: MoD Russland

Schwarzmeer-Flotte aktuell

Als wäre nach dem Brand/Untergang der „Moskwa“ hier wie dort die Frage nach dem verbleibenden Bedrohungspotenzial und dem Verbleib der zusammengezogenen russischen Seestreitkräfte gleichzeitig aufgekommen, erschien im ukrainischen Nachrichtenportal „Ukrainskaya Pravda“ am Donnerstag, 14. April 2022, mittags die Antwort aus Kiewer Sicht. Sie ist kurz und bündig: 56 Startsilos für Marschflugkörper bleiben südlich der Ukraine noch übrig!

Das Potenzial

Das ist weiterhin noch ein unverändert übermächtiges Zerstörungs-Potenzial, denn die „Moskwa“ hatte bekanntlich keine Landziel-Fähigkeiten an Bord. Auch ist hier nicht bekannt, wieviele Kalibr-Nachladungen der leergeschossenen Schwarzmeer-Startsilos in der Russischen Föderation vorhanden sind, bzw. zum Nachladen bereits auf Reserve- und auch Gefechtsbestände der anderen Flotten zurückgegriffen worden ist – aber endlos kann der Vorrat an Kalibr-Marschflugkörpern auch nicht sein! Dennoch ist die Aufstellung recht aufschlussreich:

2 Grigorovich-Fregatten „Admiral Essen“ und „Admiral Makarov“, je 8 x SS-N-30;

3 Buyan-M-Kleinkorvetten „Vyshny Volochyok“, „Ingushetia“ und „Grayvoron“, je 8 x SS-N-30;

4 Kilo-U-Boote „Rostov-on-Don“, „Stary Oskol“, „Veliky Novgorod“ und „Kolpino“, je 4 x SS-N-30 über Torpedorohr.

Macht zusammen 56 Flugkörper.

Klein- und Großrechnung

Das erscheint aber deutlich zu kurz gerechnet, denn zum gegnerischen Potenzial sollte man richtigerweise auch die nach der Sperrung des Bosporus durch die Türkei im Mittelmeer „festsitzenden“ Einheiten der Schwarzmeer-Flotte, wie auch die Raketenkorvetten der Kaspischen Flottille zählen.

Kaspische Flottille, in unmittelbarer Reichweite zur Ukraine – diese Einheiten hatten ihre Marschflugkörper bereits gegen Syrien eingesetzt:

2 Gepard-Korvetten, „Tatarstan“ und „Dagestan“, je 8 x SS-N-30;

3 Buyan-M-Kleinkorvetten, „Grad Sviyazhsk“, „Uglich“, „Veliki Ustyug“, je 8 x SS-N-30.

Schwarzmeer-Flotte, im östlichen Mittelmeer am Rande der FK-Reichweiten zur Ukraine, wahrscheinlich abgestützt auf die neu errichteten Hafenanlagen in Tartus an der syrischen Westküste - und von russischer Seite für das dortige Szenario vor Ort belassen:

1 Grigorovich-Fregatte „Admiral Grigorovich“, 8 x SS-N-30;

1 Buyan-M-Kleinkorvette „Orekhovo-Zuyevo“, 8 x SS-N-30;

2 Kilo-U-Boote „Novorossiysk“ und „Krasnodar“, je 4 x SS-N-30 über Torpedorohr.

Aus den anderen Flotten führt die Nachrichtenlage aus Kiew noch die folgenden größeren Einheiten auf:

2 Slava-Kreuzer „Marschall Ustinov“ und „Varyag“, (Nord-/Pazifik-Flotte);

2 Udaloy-Fregatten „Vitseadmiral Kulakov“ und „Admiral Tributs“, (Nord-/Pazifik-Flotte);

1 Gorshkov-Fregatte „Admiral Kasatonov“ (Nordflotte), vermutlich mit Zirkon-Hyperschallwaffen an Bord.

Bei dieser Zählweise sind es deutlich über 100 Startanlagen, die auf die Ukraine gerichtet sein könnten!

Buyan-M-Klasse Korvette "Grad Sviyazhsk" beim Kalibr-Start. Foto: Staatl. Medien

Amphibische Kapazitäten

Nicht aufgeführt sind in dieser Aufstellung die amphibischen Einheiten diverser Flotten, die noch vor der Sperrung des Bosporus in das Schwarze Meer einlaufen konnten. Nicht bekannt ist jedoch der Beschädigungsgrad, den zwei Ropuchas bei dem ukrainischen Angriff auf Berdjansk erlitten haben.

Schwarzmeer-Flotte

2 Alligator-Klasse (1171), „Nikolay Filchenkow“, „Orsk“, („Saraotw“ in Bedjansk zerstört)

3 Ropucha-I-Klasse (775), „Nowocherkassk“, „Tsesar Kunikov“, „Jamal“;

1 Ropucha-II-Klasse (775M), „Azov“;

Baltische Flotte

3 Ropucha-I/II-Klasse (775/775M).

Nordflotte

1 großes Landungsschiff Ivan Gren-Klasse (11711), „Petr Morgunov“;

2 Ropucha-I/II-Klasse (775/775M).

Diese zwölf Schiffe machen insgesamt das Gros der russischen Landungskapazität aus. Ausnahmen bilden hier die möglichen Werftlieger (einer Nordflotte, zwei Baltische Flotte) und die drei Einheiten der Pazifischen Flotte, die bekanntlich für die Verschiffung des Truppennachschubes von Kamtschatka nach Wladiwostok eingesetzt waren.

Großes Landungsschiff der Ivan Gren-Klasse "Petr Morgunov". Foto: Michael Nitz

Fazit

Unter FK-Bedrohung aus der ukrainischen Küste ist es nunmehr zwingend erforderlich, für einen amphibischen Landungsverband den notwendigen Schutz im Nahbereich zu gewährleisten. Dazu verbleiben jetzt nur noch die beiden Grigorovich-Fregatten. Die Kleinen Kampfkorvetten verfügen außer der leichten Nahbereichs-Flugabwehr Igla-1M aus ein oder zwei eher achteraus gerichteten Gibka-Startern (unbekannter Waffenwirksamkeit) über keine nennenswerten CIWS-Abwehrsysteme gegen moderne Seeziel-FK. Sollten britische Seeziel-Flugkörper das ukrainische Arsenal ergänzen, werden sich die russischen Kräfte deutlicher auf Distanz bewegen müssen, als dass sie direkt auf die Küste zusteuern könnten. Das lässt eine Anlandung im Raum Odessa sehr schwierig und verlustreich werden. Um die erklärte offensive Stoßrichtung der russischen Kräfte in die Donbass-Regionen unterstützen zu können, müssten sich die amphibischen Operationen jetzt in dem Küstengebiet des Asowschen Meeres konzentrieren, auch wenn man sich dort kürzlich erst eine blutige Nase geholt hatte.

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2 Kommentare

  1. Zu den amphibischen Fähigkeiten.
    Amphibious Warfare beinhaltet die komplexesten Operationen im maritimen Umfeld überhaupt, da in Planung und Durchführung ein sehr hoher Koordinierungsbedarf zwischen See-, Land- und Luftstreitkräften erforderlich ist. Von daher muss die Frage gestellt werden, ob die russischen Streitkräfte zu amphibischen Operationen in einem auch nur teilweisen gegnerischen Küstenstreifen überhaupt in der Lage sind. Ich kann mich daran erinnern, dass bereits in der Vergangenheit schon den sowjetischen Kräfte nur begrenzte amphibische Fähigkeiten attestiert wurden.

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  2. Moin,

    die Hyperschall-Flugkörper „Tsirkon“ werden gegenwärtig noch im Rahmen der See-Erprobungsphase an Bord der Fregatte „Admiral flota Sovetskogo Soyuza Gorshkov“ (Projekt 22350) im Bereich der Nordflotte erprobt. Eine Übernahme des Systems durch die russische Seekriegsflotte ist bisher noch nicht erfolgt.

    Zu ergänzen ist die Auflistung noch um die erste Einheit des Projekts 22800 „Karakurt“ unter dem Namen „Tsiklon“, die in Kertsch gebaut wurde und gegenwärtig die Erprobungen im Schwarzen Meer durchläuft; im Laufe dieses Kalenderjahres ist mit dem Zugang der Korvette (mit dem FK-Nahbereichsabwehrsystem „Pantsir-S“) in den Bestand der russischen Schwarzmeerflotte zu rechnen.

    Bei der Auflistung der ukrainischen Plattform „Ukrainskaya Pravda“ fehlen die Küsten-Raketenkomplexe der russischen Seekriegsflotte; die russische Schwarzmeerflotte verfügt unter anderem über Systeme vom Typ SS-C-8 „Sizzler“ (mit „Kalibr“-FK).

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