Heinz Schulte ist Mitglied im Vorstand des Deutschen Maritimen Instituts, Foto: privat

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Von der Weite des Horizonts

Stovepiping ist ein Prozess, bei dem der Betrachter durch einen engen Kamin Tageslicht sieht und dies für den Horizont hält. Dieses Phänomen ist weit verbreitet und wird oftmals unvollständigen Erkenntnissen von Nachrichtendiensten („need to know“) zugeordnet. Der vormalige Generalinspekteur hat die militärischen Teilkräfte aufgefordert, jeweils ein „Zielbild“ für ihren Bereich vorzulegen. Die Marine hat ein „Zielbild ab 2035“ erstellt. Nun ist es dem neuen Generalinspekteur aufgetragen, die verschiedenen Zielbilder neben- und übereinander zu legen. Jedoch: Die Summe der einzelnen Zielbilder ergibt noch kein Ganzes! Hier bedarf es einer energisch ordnenden Hand, die man bislang vermisst hat.

Man darf annehmen, dass alle militärischen Teilkräfte ihre Zielbilder sauber abgeleitet und sachgerecht formuliert haben. Für das Zielbild 2035+ der Marine gilt dies allemal! Nun muss der Generalinspekteur – in Kenntnis der Haushaltslage und der politischen Zielsetzung der Bundesregierung – sortieren und Prioritäten setzen. Damit wird kein Zielbild, welcher militärischen Teilkraft auch immer, eins zu eins umgesetzt. Es gilt, ein sicherheitspolitisches Destillat aufzusetzen, dass die aktuellen Herausforderungen quer durch die Last und mögliche Entwicklungen am Horizont (militärpolitisch wie technologisch) widerspiegelt.

Kehren wir zum Zielbild 2035+ der Marine zurück. Positiv fällt auf, dass die Marine nicht am Status quo festhält, sondern technologisch nach vorn schaut: „Zugleich verändern technische Neuerungen die Bedingungen im maritimen Operationsraum massiv. Neue Unterwasser-Sensorik, umfassende land-, luft- und raumgestützte Aufklärung machen das Gefechtsfeld zunehmend gläsern. Aus den resultierenden großen Datenmengen erzeugen komplexe IT-Systeme, künftig auch mit Hilfe Künstlicher Intelligenz, umfassende Lagebilder.“

Mit dieser Einordnung wie den Hinweis auf die wesentlichen Operationsräume („Hohe Gefechtsbereitschaft und Präsenz in den Operationsräumen Nordatlantik, Nord- und Ostsee bereits im Frieden.“) hat die Marineleitung den Grundton getroffen, dem man sich in anderen militärischen Teilbereichen und „Unter den Linden“ nicht verschließen wird. Zum (maritimen) Lagebild gehört auch der Beitrag der Marine zum Schutz maritimer kritischer Infrastruktur, zu dem die Marine ein lesenswertes Gedankenpapier vorgelegt hat.

An dieser Stelle sei auf die Herausforderung durch unbemannte Systeme verwiesen. Hierzu lesen wir im Zielbild: „Schon jetzt gilt es, Einsatz und Betrieb unbemannter Systeme mit Experimentiervorhaben zu erproben, Erfahrungen zu sammeln. So kann die Marine schließlich in die risikominimierte Beschaffung in den aufgezeigten Stückzahlen einsteigen.“

Mit kleinen unbemannten Systemen geht die Marine einen Weg, der die personellen und finanziellen Grenzen berücksichtigt. Es wird eine Diskussion – auch auf diesen Seiten – zum Future Combat Surface System, das eine begrenzte Zahl Korvetten ergänzen soll, geben.

„Unter den Linden“ wird der russische Einfall in die Ukraine weitgehend als „Landkrieg mit neuen Elementen“ (Bereitstellung von nahezu Echtzeitaufklärung durch die Amerikaner, Drohnen und EloKa, komplexe logistische Unterstützung) wahrgenommen. Dass dieser Konflikt mit dem Schwarzen Meer (Krim) und der Ostsee (Baltische Staaten) auch eine maritime Komponente hat, wird niemand in Berlin abstreiten. Wohlmeinende werden auch die Bedeutung der Ostsee im Kontext high north zur Kenntnis nehmen.

Absehbar, dass es in maritimen Zirkeln eine Diskussion über die angemesse Zahl von künftigen Flaggenstöcken geben wird; „Lordsiegelbewahrer“ werden zur Feder greifen. Dies wird aber der künftigen Rolle unbemannter Systeme wie auch der Erwartungshaltung der Politik nicht unbedingt gerecht. Das Zielbild 2035+ ist ein bedeutsamer Beitrag zum sicherheitspolitischen Diskurs in der Republik.

Wie setzt man den stovepipe-Faktor außer Kraft? Indem man trennende Kaminwände einreißt; ein gemeinsamer, großer Kamin erlaubt den Blick auf die Weite des Horizonts.

Heinz Schulte ist Mitglied des Vorstandes des Deutschen Maritimen Instituts.

Heinz Schulte

1 Kommentar

  1. Mit dem Blick auf 2035+ sollten wir vorsichtig mit spezifischen Festlegungen zu künftigen Plattformen sein. Am Ende der Dienstzeit von VA Krause sprach dieser vom Indischen Ozean als dem künftigen Mare Nostrum der Deutschen Marine. Wer kann denn heute wirklich einschätzen, welche Krisen und Konflikte wir Europäer in 2035 meistern müssen.?

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