Die zukünftigen Transporthubschrauber CH-47 sollen auf dem NTV 130 landen können, Grafik: NVL

Die zukünftigen Transporthub- schrauber CH-47 sollen auf dem NTV 130 landen können, Grafik: NVL

Mehr als nur Tender

In weniger als zehn Jahren sollen die Tender der Klasse 404 ersetzt werden. Die Marine wünscht sich für die neuen Schiffe die Möglichkeit zur Übernahme weiterer Aufgaben. Auf dieser Basis hat die Werft NVL einen ersten Entwurf vorgelegt.

Im Zielbild für die Jahre nach 2035 sieht das Marinekommando sechs Unterstützungseinheiten in der Nachfolge der Tender Typ 404 vor. Die modular ausgestalteten Plattformen sollen „organische Logistik, Operationsunterstützung einschließlich Aufklärung“ sicherstellen, so die Zusammenfassung der Aufgaben und Fähigkeiten in der Broschüre zum Zielbild Marine 2035+. In Vorträgen wird das Paket von Vertretern der Marineführung erweitert auf „Amphibik, Führung, Transport einschl. Verwundetentransport“. Auch werden sie als Bestandteil eines Systems eines Einsatzverbandes mit und ohne autonome Systeme beschrieben.

So oder so bedeutet dies in der Tendernachfolge wohl eine offensichtliche Abkehr vom existierenden Konzept der Mittleren Unterstützungseinheit schwimmende Einheiten (MUsE). Anfang 2021 wurden die Rahmendaten von MUsE durch einen Vertreter des Marinekommandos auf einer Konferenz in London der internationalen Öffentlichkeit vorgestellt.

Von MUsE zum NTV 130
Mit dem im März veröffentlichten Zielbild stellt sich die Lage anders dar. Doch wie? Beim Blick des marineforums in die Kristallkugel sekundierte NVL. Unter Einbeziehung der generellen Fähigkeitsbeschreibungen der NATO (Bi-SC Agreed Capability Codes and Capability Statements) entwarfen Ingenieure und Designer an der Weser auf der Basis bisheriger Nutzungserfahrungen Eckpunkte einer Plattform, die der Unterstützungseinheit aus dem Zielbild entsprechen könnte. Wenn man so will, ist dieser Entwurf nicht das Ergebnis von Anforderungen eines etwaigen Kunden. Sondern steht am Ende eines Denkprozesses des Herstellers, bei dem er die Idee aus dem Zielbild mit den Erfahrungswerten der Industrie zusammenführt. Die NVL-Konzeptionäre arbeiteten die einschlägigen Designrahmenbedingungen und die Bauvorschriften, die für die Deutsche Marine gelten, ein und berücksichtigten sogenannte marktverfügbare Lösungen.

Am Ende steht ein mit Naval Tender Vessel 130 (NTV 130) bezeichneter Ansatz. Er skizziert ein geschlossenes, mehrrollenfähiges Unterstützungs- und Logistikschiff, das die Flexibilität eines großen Rumpfes mit internen Fahrzeug- und Stauraumdecks, Stauraum auf dem Wetterdeck und zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten bietet. Die Bezeichnung legt nahe, dass sich der Entwurf in den Dimensionen nicht sehr weit von der MUsE entfernt.

Um den Mobilitätsanforderungen, wozu auch ein weltweiter Einsatz gehört, zu entsprechen, ist die dieselelektrische Antriebsanlage grundsätzlich für eine Marschgeschwindigkeit von mehr als 18 Knoten, bei einer Mindestgeschwindigkeit von zwölf Knoten bei Seegang von Stärke fünf, ausgelegt. Laut NVL kommt der Entwurf auf eine Höchstgeschwindigkeit von 22 Knoten, wozu das Rumpfdesign beiträgt. Dabei wird der Vortrieb durch einen Propeller auf der Welle mit einem dahinter liegenden Gondelpropeller, beide gegenläufig (Contra-Rotating-Propeller, CRP), erzielt. Zur Erhöhung der Manövriereigenschaften befindet sich im Bug ein ausfahrbarer und um 360 Grad schwenkbarer Propeller.

Die Plattform ist für einen autarken Einsatzbetrieb von bis zu 21 Tagen ausgelegt. Durch die geschlossene Bauweise wird der Widerstandsfähigkeit gegen Witterungsbedingungen beim Einsatz in nördlichen Seegebieten ebenso wie dem Schutz gegen ABC-Bedrohungen Rechnung getragen.

Die NVL-Studie kommt auf eine Zuladungsfähigkeit für den Transport von Kraft- und Betriebsstoffen sowie Versorgungsgütern von bis zu 5000 Tonnen. Das ist deutlich mehr als bei den Tendern Typ 404 und ungefähr das Doppelte der angepeilten MUsE. Ausgehend von der Bauvorschrift 4250-1 sehen die Bremer eine Fähigkeit zur Versorgung mit Vorräten, Treibstoff und anderen Flüssigkeiten während der Fahrt und auf See vor. Hierbei wird der RAS-Mast in die Gesamtstruktur integriert, um den für Decksaufbauten nutzbaren Raum zu optimieren. Ein Landedeck ermöglicht die Aufnahme von mittleren bis schweren Hubschraubern und entsprechende Nutzungsmöglichkeiten der Plattform für vertikale Versorgung und medizinische Evakuierung. Hangar und Bodendiensteinrichtungen ermöglichen die Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten von Bordhubschraubern, organisch geht das Modell von einer Mitführung des Typs NH 90 aus, jedoch ist auf dem Wetterdeck die Möglichkeit zur Mitführung von schweren Transporthubschraubern wie dem CH 47 vorgesehen.

Tender Weser der Klasse 401, Foto: Bw

Tender Weser der Klasse 401, Foto: Bw

Hinsichtlich Sensoren und Effektoren verfügt das NTV 130 über entsprechende Mittel zur rechtzeitigen Entdeckung, Identifizierung und Verfolgung von Luftzielen bei Tag und Nacht sowie bei wechselnden Witterungsbedingungen. Für den Eigenschutz werden konzeptionell RAM, Millennium Gun und SeaSnake vorgehalten. Ein geeignetes Sonar soll die Minendetektion ermöglichen. Selbst an die Torpedoabwehr wurde gedacht und im Design die Integrationsfähigkeit für entsprechende Abwehrmittel Torpedotäuschkörper oder Sonarstörsender berücksichtigt. Entsprechend sollte das Führungs- und Waffeneinsatzsystem darauf ausgelegt werden, die auf die unterschiedlichen Bedrohungen reagieren zu können. Durch konstruktive Mittel sowie entsprechende Vorkehrungen während der Konstruktion wird eine Optimierung der Signaturen angestrebt.

Dem im Zielbild formulierten grundsätzlichen Rückgriff auf unbemannte Systeme wird Rechnung getragen. Im NTV 130 sind Decks-Stauräume, Hangars sowie die systemoptimierten Aussetz- und Aufnahmevorrichtungen ebenso vorgesehen wie integrierte und modulare Kontrollstationen.

Modulierbare Mehrrollenfähigkeit

Bahnbrechend ist die Gewährleistung echter Modularität, die neben einer lageabhängigen Konfiguration der Plattform auch Potenzial für zukünftigen Aufwuchs bietet. Ein containerbasiertes Ladungskonzept analog zu The Cube von SH Defence samt hohem Automatisationsgrad ermöglicht den integralen, aber auch gemischten Gebrauch der auftragsgerecht zusammenzustellenden Fähigkeiten – entweder nur Versorgungsschiff oder Führungsplattform mit Interventionsfähigkeit. Von der Konzeption her wird mit dem NTV 130 Mehrrollenfähigkeit erreicht. Sie reicht von der Einschiffungskapazität für eine Einheit mechanisierter Infanterie inklusive Unterkunftskapazität für zusätzliches Personal über die Einrüstung von Kontrollelementen für den Einsatz von Drohnen auf und unter Wasser sowie in der Luft (USVs, UUVs und UAVs) bis hin zur Verwendung als Hospitalschiff. Somit kann das NTV 130 als Tender alle Einheiten der Einsatzflottille 1 bedienen.

Als Plattform verbindet das NTV 130 grundlegende Fähigkeiten eines Marineschiffes (General Purpose Maritime Vessel) mit den eingeschränkten Fähigkeiten eines militärischen Hilfsschiffes (Naval Warship Limited) und kombiniert diese mit Fähigkeiten aus den Domänen Führung (Naval Commander Task Group – Surface), Unterstützung (Logistic Ship Small) und Wirkung (Amphibious Ship Small). Über die jeweilige Konfiguration entscheiden Lage und Auftrag.

Tender neckar mit Schnellbooten.Das Schiff wurde 1989 außer Dienst gestellt, Foto: Bw

Tender neckar mit Schnellbooten. Das Schiff wurde 1989 außer
Dienst gestellt, Foto: Bw

Das NTV 130 steht für den Versuch eines deutschen Schiffbauers, einem im Zielbild der Marine aufgeführten Element Gestalt zu geben. Dabei steht die Bremer Vision nicht allein, die Technische Universität Hamburg und die MTG haben ebenfalls einen Aufschlag in der Mache.

Offen ist die Finanzierung. Bisher ist nach Kenntnis der Redaktion ein derartiges Vorhaben nicht haushälterisch unterlegt. Für Forschung und Entwicklung stellt das ein Problem dar. Dabei war einmal angedacht, die Tender 404 ab 2029 zu ersetzen. Das CPM-Dokument „Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung“ für MUsE soll erstellt und gezeichnet worden sein. Womit die Frage im Raum steht, wieweit sich das Verteidigungsministerium den Vorstellungen der Marine anschließt.

Ergo: Es gibt einiges zu tun. Wünschenswert wäre ein rechtzeitiger, enger Dialog zwischen Marine, Industrie und Beschaffungsbehörde.

Hans-Uwe Mergener

1 Kommentar

  1. Per E-Mail erreichte uns dieser Brief eines engagierten Lesers des Marineforum, den wir mit Einverständnis unseres treuen Abonnenten hier online mit Ihnen teilen wollen:

    „Liebe Redaktion des Marineforums, danke für den Artikel von Uwe Mergener über die neuen Tender. Beim Lesen drängten sich mir ein paar Fragen auf.
    – Ist die Bezeichnung Tender für dieses Projekt angemessen? Bei drei verbliebenen Bootsgeschwadern braucht man offensichtlich keine sechs Geschwadertender. Auch scheinen die Schiffe ein ganz anderes Aufgabenprofil zu haben.
    – Zu diesem Aufgabenprofil gehört die Mitnahme von Drohnen, Hubschraubern und anderem Gerät, wie es im Zielbild Marine 2035+ beschrieben ist. Bei dem vorgestellten Entwurf sehe ich jedoch kaum Möglichkeiten für größere schwimmende Systeme. Dafür brauchte man doch wohl ein Welldeck.
    – Die einzige Kapazität für die erwähnte Aufgabe Amphibik scheint mir die Landemöglichkeit für schwere Hubschrauber zu sein, die jedoch nicht dauerhaft eingeschifft werden können. Landungsboote, die mit einem Transport mehr Menschen und Material mitnehmen können als Hubschrauber in vielen Flügen, sehe ich nicht.
    – Wenn ein Schiff mit verschiedenen kleinen Systemen bestückt wird, müssen die geführt werden. Die einfache Mitnahme reicht nicht, um sie sinnvoll im Verbund einzusetzen. Ein entsprechendes Führungssystem wird in dem Artikel nicht erwähnt. Meine Bitte an die Redaktion ist, an diesem Thema dranzubleiben und uns Leser zu den genannten Fragen auf dem Laufenden zu halten.“

    Wir bleiben dran, lieber Herr Kayat.

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