Seezielflugkörper LRASM an einer F/A-18, Foto: US Navy

Seezielflugkörper LRASM an einer F/A-18, Foto: US Navy

Mehr Mach, bitte!

Bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen hinken die amerikanischen Streitkräfte den Russen hinterher. Für die Jagdbomber der Navy wurde nun ein Entwicklungsprogramm angestoßen.

Die US Navy beauftragte am 27. März die konkurrierenden Firmen Raytheon und Lockheed Martin mit der Entwicklung eines flugzeugträgertauglichen Hyperschallmarschflugkörpers zur Bekämpfung von Seezielen. Das Entwicklungsprogramm trägt die Bezeichnung Hypersonic Air-Launched Offensive Anti-Surface Warfare Weapon oder kurz Halo.

Halo soll nicht direkt vom Schiff aus, sondern von trägergestützten Jagdflugzeugen, insbesondere von der F/A-18E/F, eingesetzt werden. Die Navy erwartet, dass Halo zu groß ausfällt, um in der internen Waffenkammer des Jagdbombers F-35C mitgeführt zu werden. Zwar dürfte diese Maschine den Marschflugkörper extern führen können, doch würden dadurch die Tarnkappeneigenschaften des Flugzeugs beeinträchtigt. Die neue Waffe soll die Geschwindigkeit ballistischer Flugkörper mit der anhaltenden Manövrierfähigkeit von Marschflugkörpern vereinen. Durch diese Eigenschaften soll der Hyperschallflugkörper in der Lage sein, die Vorwarnzeit des Gegners erheblich zu reduzieren und dessen Abwehroptionen deutlich zu reduzieren.

Um als Hyperschallwaffe zu gelten, müsste der Flugkörper grundsätzlich mit mindestens der fünffachen Schallgeschwindigkeit fliegen. Dieses Ziel dürfte Halo – trotz der offiziellen Bezeichnung Hypersonic – knapp verfehlen, erklärte der für flugzeuggestützte Offensivwaffen zuständige Programmdirektor, Rear Admiral Stephen Tedford. „Vom Geschwindigkeitsstandpunkt betrachtet, ist die Bezeichnung Halo etwas irreführend“, sagte er während des diesjährigen Sea-Air-Space-Symposiums der Navy League in Maryland. „Mach 5 ist für uns auch nicht ausschlaggebend. Es geht uns um Reichweite und Zeit. Können wir die angestrebte Distanz so schnell wie möglich zurücklegen? Die maximale Fluggeschwindigkeit wird voraussichtlich im oberen Mach-4-Bereich liegen. Unser Hauptaugenmerk liegt allerdings eher auf der Frage, ob wir das Ziel schnell genug anfliegen können, sodass wir die Zielkoordinaten nicht während des Flugs aktualisieren müssen.“

Der 2021 vorgestellte Konzeptentwurf eines flugzeuggestützten Hyperschallmarschflugkörpers, Grafik: Raytheon

Der 2021 vorgestellte Konzeptentwurf eines flugzeuggestützten Hyperschallmarschflugkörpers, Grafik: Raytheon

Auch die Einsatzreichweite steht noch nicht definitiv fest. Trotzdem wird Halo als weitreichende Offensivwaffe eingestuft (Navy Long-Range Fires). Die Flugdistanz dürfte folglich die Reichweite der heute durch die F/A-18 geführten Seezielflugkörper übersteigen. Der derzeit leistungsfähigste flugzeuggestützte Seezielflugkörper trägt die Bezeichnung AGM-158C LRASM (Long-Range Anti-Ship Missile). Diese Antischiffsrakete großer Reichweite wurde erst im Dezember 2019 in der Flotte eingeführt, wo sie von der F/A-18 eingesetzt wird. Der AGM-158C hat eine Reichweite von mehr als 200 Seemeilen und fliegt im Unterschallbereich.

Ramjet oder Scramjet?
Die genaue Antriebsart des Halo-Marschflugkörpers wurde noch nicht festgelegt. Die geforderte Leistung könnte grundsätzlich durch ein Staustrahltriebwerk (Ramjet) oder ein Überschallverbrennungsstaustrahltriebwerk (Scramjet) erbracht werden. Zusätzlich wird Halo aller Voraussicht nach mit einer heckmontierten Boosterrakete ausgestattet werden müssen, da der Hauptantrieb solcher Flugkörper – insbesondere im Falle des Scramjetantriebs – erst nach Erreichen einer hohen Fluggeschwindigkeit zündet. Diese Konfiguration entspräche jedenfalls den zuvor im Auftrag des Pentagons entworfenen Konzepten von Hyperschallmarschflugkörpern.

Das Pentagon erstellt diesbezüglich allerdings keine Vorgaben. „Ob Scramjet oder Ramjet, wir haben da keine Präferenz”, erklärte Admiral Tedford. „Uns geht es allein um die Leistung.“ Angesichts der Tatsache, dass die Navy bereits 2029 eine einsatzbereite Waffe haben will, geht der Admiral davon aus, dass der Flugkörper auf bereits existierender Technologie beruhen wird. Die Navy sowie die beauftragten Firmen werden auch auf Erkenntnisse und Technologien zurückgreifen können, die im Rahmen der Waffenforschung und -entwicklung der anderen Teilstreitkräfte gewonnen wurden. Hierzu gehört unter anderem die für die US Air Force bestimmte, flugzeuggestützte Hypersonic Attack Cruise Missile (HACM). Raytheon erhielt 2022 den Auftrag für die Serienentwicklung dieses Waffensystems, dass 2027 in Dienst gestellt werden soll.

Operativer Bedarf steigt
Die Entwicklung der neuen Waffe erfolgt unter Aufsicht des für Flugsysteme zuständigen Naval Air Systems Command (Navair). Nach Aussage des Kommandos ist der Hyperschallflugkörper erforderlich, um die steigende Leistungsfähigkeit gegnerischer Kampfsysteme auszugleichen. Hierzu zählen bessere gegnerische Sensoren zur frühzeitigen Ortung von anfliegenden Flugzeugen und Marschflugkörpern, Flugabwehrwaffen zur Bekämpfung von Flugzeugen und Flugkörpern sowie elektronische Kampfsysteme zum Schutz gegnerischer Schiffe vor ballistischen Raketen und Marschflugkörpern. Auch die Einführung weitreichender und sehr schneller Seezielflugkörper bei potenziellen Gegnern erhöht die Notwendigkeit, feindliche Schiffe im Kriegsfall schnellstmöglich präventiv neutralisieren zu können. Im Mittelpunkt der amerikanischen Planung steht die technologische wie quantitative Aufrüstung der russischen wie chinesischen Seestreitkräfte.

Konzeptbild des HACM, den Raytheonund Northrop Grumman gemeinsam für die US Air Force bauen, Grafik: Raytheon/Northrop Grumman

Konzeptbild des HACM, den Raytheon
und Northrop Grumman gemeinsam
für die US Air Force bauen, Grafik: Raytheon/Northrop Grumman

Nach Angaben des Programmbüros soll Halo vor allem in den Litoralgewässern sowie in den sogenannten A2/AD-Zonen (Anti-Access/Area Denial) eingesetzt werden, wo konventionelle Flugzeuge und Waffensysteme aufgrund eines gegnerischen Abwehrgürtels nur begrenzt operieren können. Ferner soll die Waffe gegen zeitkritische Ziele Verwendung finden, etwa gegen Schiffe mit hohem Kampfwert, die ihrerseits in der Lage wären, Präzisionswaffen, einschließlich Hyperschallwaffen und sogenannten Flugzeugträgerkiller-Raketen, auf amerikanische oder befreundete Kräfte abzufeuern. Die US Navy will durch den Einsatz von Hyperschallwaffen das Gefechtstempo bestimmen und die Reaktionsfähigkeit des Gegners einschränken, heißt es in einer Stellungnahme des zuständigen Navair-Programmbüros.

Programmverlauf
Die Ausschreibung für das Navy-Long-Range-Fires-Programm, die nun zur Entwicklung des Halo-Waffensystems führt, erfolgte 2021. Die Ende März vergebenen Aufträge haben einen kumulativen Wert von 116 Millionen Dollar und gelten für die erste Phase des Entwicklungsprogramms; das Pentagon gab nicht bekannt, ob die Gelder gleichmäßig unter den Bewerbern verteilt werden. Diese Projektphase läuft bis Ende 2024. In dieser Zeit entwickeln die beiden Firmen erste Entwürfe des Waffensystems und gewährleisten die technische Reife des Gesamtkonzepts sowie der Hauptkomponenten. Ein Hauptaugenmerk wird auf der Entwicklung des Antriebssystems sowie der Beweisführung der Einsatzreife des Antriebs gerichtet. Nach der für Ende 2024 angesetzten kritischen Entwurfsprüfung beginnt die Prototypenphase. Im Zeitraum 2024 bis 2028 will die Navy weitere 450 Millionen Dollar in die Entwicklung und Erprobung von Halo investieren.

Nach eingehender Prüfung der Prototypen im Windkanal sowie Bodentests des Antriebssystems soll 2026 die Flugerprobung beginnen. Die operative Einführung von Halo soll 2029 erfolgen. Nach Aussage von Admiral Tedford dürfte die Navy rund 800 der Hyperschallmarschflugkörper erwerben.

Sidney E. Dean

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