von Patrick Mundstock, dem Gewinner unseres Aufsatzwettbewerbes:
Mehr als 95 Prozent des weltweiten internationalen Handels verläuft über die Meere und Ozeane dieser Erde. Auf ihnen sind jedes Jahr rund 47.000 Handelsschiffe aus aller Welt unterwegs und transportieren ca. sieben Milliarden Tonnen Wirtschaftsgüter, Tendenz steigend. Immer größer, immer schneller und immer mehr lautet dabei die Devise der Reedereien. Die Häfen werden gigantischer und das Handelsvolumen wächst jedes Jahr. Somit ist die Prosperität nahezu jeder wirtschaftlich handelnden Nation im besonderen Maße von maritimer Sicherheitspolitik abhängig. Und dennoch sieht sich maritime Sicherheit einer so weitreichenden Problematik gegenüber, dass ihr mittlerweile sogar internationale Organisationen wie die Europäische Union und die Vereinten Nationen vollste Aufmerksamkeit zukommen lassen – „Sea Blindness“ in den Köpfen der Bevölkerung.
„Das Thema Maritime Sicherheit wird in unserer Gesellschaft eher stiefmütterlich behandelt.“ Mit diesen Worten eröffnete der Flottillenadmiral a.D. Henning Bess seine Rede zur maritimen Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert im Jahr 2013 in Potsdam. Was hier so scherzhaft beschrieben wurde, ist in Wahrheit ein Problem, dem selbst das Vereinte Königreich als Europas stärkste und größte Seefahrernation ausgeliefert ist. „Sea Blindness“ meint dabei das fehlende Gespür und Bewusstsein von Politik und Gesellschaft für die seeseitigen Interessen eines Landes, verbunden mit der Bedeutung für die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Es meint dabei die Art und Weise, wie die breite Masse der Bevölkerung das Meer wahrnimmt. Egal ob als Urlaubsort, Energie- und Nahrungsressource oder als Verbindungsweg zwischen Ländern und Kontinenten. Maritime Fragen genießen weder in Deutschland noch in Europa große Aufmerksamkeit, obwohl sie einen wichtigen Pfeiler des wirtschaftlichen Wohlstands darstellen. Wer fernab der Küste aufgewachsen ist, weiß in der Regel wenig bis gar nichts über die Ozeane, obwohl sie ca. 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Die Seefahrergeschichte führte mit Unglücken wie dem Untergang der Titanic und zahlreichen Seeschlachten von Nelson bis Skagerrak zur Entwicklung einer gewissen Ehrfurcht vor der Macht des Meeres. Die Bilder vom gestrandeten Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ gingen überfallartig durch die ganze Welt, jedoch stehen sie meist nur kurz im Fokus der Medien und im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ereignisse wie diese erschweren es der maritimen Gemeinschaft, ihre eigene Legitimität zu kommunizieren. Wer denkt, dass „Sea Blindness“ eine zum Elefanten gemachte Mücke ist, der irrt gewaltig. Seit kurzem gibt es die Gemeinsame Maritime Sicherheitsstrategie der Europäischen Union. Doch statt die Ziele der maritimen Strategie gemeinsam als Staatenbund anzugehen, um so effektiv und effizient wie möglich zu arbeiten, kämpfen die Hauptinitiatoren mit dem Problem der „Sea Blindness“. Besonders Staaten ohne eine direkte Meeresanbindung zeigen in den Treffen der EU keine vitalen Interessen an maritimer Sicherheit, obwohl sie mittelbar von dieser abhängig sind.
Ist die Rede von Sicherheitspolitik, schwirrt in den Köpfen der Bevölkerung hauptsächlich das Bild militärischer Interventionen umher. Dabei umfasst vor allem maritime Sicherheit weitaus mehr, als den Einsatz grauer Schiffe zum Schutz internationaler Seewege. Illegale Fischerei, Waffen- und Menschenschmuggel sowie die Nutzung des Meeres als Energieressource sind nur einige Beispiele aus dem Ressort maritimer Sicherheitspolitik. Und dennoch liegt die Begründung für das Desinteresse in der Sache selbst, denn maritime Interessen einer Nation liegen hauptsächlich im Spektrum der Außen- und Sicherheitspolitik. Nicht nur, dass es ohnehin für den gesamten maritimen Bereich sehr schwer ist, Ereignisse und Bilder von hoher See tief in das Land hinein zu transportieren, um somit den Bürgern, Politikern und Medien maritime Vorgänge verständlich zu machen. Zusätzlich erschwert wird dieser Prozess dadurch, dass sich der Einsatz des Militärs durch Kommunikation kaum legitimieren lässt. Seit jeher ist die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen ein sensibles Thema in der Gesellschaft. Speziell in Deutschland stehen die Bürger der Anwendung militärischer Macht und Gewalt ablehnend gegenüber, auch wenn sie – wie im Falle der Bundeswehr – hauptsächlich zur Friedenssicherung eingesetzt wird. Was durch die Kriegsschiffe der internationalen Marinen in den weltweiten Seegebieten geleistet wird, ist für den Bürger im Landesinneren nicht nur nicht nachvollziehbar, es interessiert ihn auch schlichtweg nicht. Sicherlich kann ein Tom Hanks als Captain Phillips in üblicher Hollywood-Manier einen Eindruck dessen geben, welche Gefahren durch die hiesige Piraterie vor der Küste Afrikas drohen, jedoch ändert ein guter Film noch lange nichts an der grundsätzlichen Einstellung der Bevölkerung.
Doch die Frage, wie diese Einstellung geändert werden könnte und – noch viel wichtiger – wer diese Wandlung umsetzen soll, sind entscheidende Fragen. Einen maritimen Erzählfaden zu spinnen, meint dabei auch mehr, als lediglich das bei den Bürgern vorherrschende maritime Bild von Palmen und weißen Stränden zu korrigieren. Das gesponnene Garn muss die Legitimität maritimen Handelns darstellen und darüber hinaus auch die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Aspekte integrieren.
Es erweckt den Eindruck, dass die von der alten Garde der Marine beschriebene Seefahrerromantik in der heutigen Zeit wohl kaum jemanden dazu treibt, seinen Dienst für das Vaterland auf hoher See zu leisten. Die einstige Faszination der Marinesoldaten und Seefahrer, in die entferntesten Länder zu fahren und dabei die schönsten Häfen der Welt zu sehen, ist spätestens seit dem Zeitpunkt vorbei, an dem sich Fluggesellschaften im Konkurrenzkampf um die Fluggäste befinden und Kreuzfahrtschiffe ihre Routen auf der ganzen Welt haben. Mit Flugpreisen, die so niedrig sind, dass sie es sogar der breiten Mittelschicht erlauben nahezu überall hinzufliegen, verliert das Seefahrerdasein seinen Reiz. Zusätzlich sorgt der allseits vorherrschende demographische Wandel dafür, dass besonders in Europa der Zuwachs älterer Generationen zu einem erheblichen Nachwuchsmangel in der Seefahrt führt. Dennoch wird im Grunde fast jeder Marineuniformträger bestätigen können, dass er mit seinen Geschichten über die Zeit auf hoher See der Mittelpunkt einer jeden Familienfeier ist. Doch was genau die Daseinsberechtigung der Marine darstellt, ist für viele Verwandte und Freunde oft unklar. Das Presse und Informationszentrum der Marine hat im Auftrag der Marineführung vor einigen Jahren eine groß angelegte Imagekampagne ins Leben gerufen. Mit dem Slogan „Meer. Für Dich.“ sollte das Bewusstsein für maritime Aktivitäten bis tief ins Landesinnere hineingetragen werden. Die eigens dafür definierten Botschaften beinhalten im Wesentlichen alle relevanten Informationen.
- „Unser Wohlstand hängt wesentlich vom Handel über die Weltmeere ab.“
- „Der Handel über die Weltmeere erfordert sichere Seewege.“
- „Eine starke Marine schützt diese Seewege.“
Ob die Kampagne bisher mit Erfolg gekennzeichnet ist, lässt sich nur schwer sagen und darüber hinaus auch schwer ermitteln. Was allerdings für Aufsehen sorgte, war eines der veröffentlichten Videos der Kampagne. Es konstruiert das normale Leben der Gesellschaft ohne das Vorhandensein sicherer Seewege. Das Ergebnis sind leere Obststände in Supermärkten, kein Benzin an den Zapfsäulen und keine Unterhaltungselektronik. Was in der Theorie sicherlich logisch erscheint, sorgte in der Realität für einigen Spott in den Medien und sozialen Netzwerken. Schuld daran war ein im Video vorkommendes Schild mit der Aufschrift „Heute keine Bananen“, welches anscheinend gewisse Parallelen mit der Lebensmittelversorgung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik aufwies. Nun mögen durchschnittliche Kommunikations-Agenturen zwar behaupten, dass auch negative PR zu mehr Awareness führen kann, jedoch verlief speziell in diesem Fall das öffentliche Interesse relativ schnell zwischen den neuen Geschichten der C-Prominenz und der Wettervorhersage. Daher stellt sich auch weiterhin die Frage, wie man aus den Tiefen des maritimen Desinteresses auftauchen kann. Der russische Schriftsteller Tolstoi sagte einmal sinnbildlich, dass man Dinge erst dann zu schätzen lernt, wenn sie nicht mehr da sind. Allerdings wäre es weitaus mehr als unzumutbar, die deutschen Häfen für einen Tag zu schließen, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von maritimer Sicherheit zu demonstrieren. Dies würde sicherlich zum gewünschten Ergebnis führen, gleichsam aber auch fatale Folgen mit sich bringen. Demnach kann dieser Faden auch nicht weitergesponnen werden. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten Europas an einem regelbasierten und sicheren Seeraum sind der Beweis dafür, dass „Sea Blindness“ kein generelles Substanzproblem darstellt, sondern weitreichend als Kommunikationsproblem angesehen werden kann. Daher könnte der Schlüssel in der Kommunikation selbst liegen. Durch ein integriertes und ganzheitliches Kommunikationsmanagement, wie es bereits von namenhaften PR Agenturen und Großkonzerne angewandt wird, ließe sich langfristig auch mehr Awareness für die maritimen Interessen generieren. Mit einem Webstuhl, dessen Bestandteile das gesamte Handwerkszeug der Public Relations abbilden und einem Faden, bestehend aus den Bildern und Ereignissen der maritimen Welt, könnten Geschichten und Kampagnen entstehen, die weit ins Landesinnere getragen werden. Ermöglicht werden kann das alles mit dem Einsatz verschiedenster Kommunikationsinstrumente und passender Botschaften.
Was außerdem bleibt, ist die Möglichkeit, auf den bereits fahrenden Zug aufzuspringen und sich bei jenen mit einzuhaken, die sich schon jetzt der Relevanz der maritimen Sicherheit bewusst sind. Besonders in Deutschland sind das die großen Unternehmen, die unser Land zu dem wirtschaftlichen Global-Player haben wachsen lassen, der es heute ist. Gemeint sind keine Geringeren als beispielsweise die Automobil-, Stahl- und Technikgiganten Deutschlands. Für die Erzeugung ihrer Wirtschaftsgüter sind sie ausnahmslos auf den Import der Rohstoffe aus Übersee angewiesen. Teilweise geben sie in Eigenregie Vorträge und Konferenzen zur Thematik maritime Sicherheit. Berücksichtigt man die Anzahl der in den Unternehmen gebundenen Mitarbeiter, die grundsätzlich als Adressaten der Vorträge betrachtet werden können, so wäre die Reichweite um ein vielfaches höher, als bei den bisherigen Kommunikationsaktivitäten der Marine. Das Ergebnis wäre mehr Awareness in der breiten Masse der Bevölkerung. Wenn dieser Anteil der Bürger die Abhängigkeiten irgendwann realisiert und sie zum Interesse der Wähler werden, rückt die Thematik auch automatisch in das Interessenfeld der Politiker und es käme zu einer Art Dominoeffekt.
Welchen steigenden Stellenwert maritime Sicherheit in der deutschen Regierung genießt, wird besonders bei Betrachtung des neuen Weißbuches deutlich. Darin heißt es: „Die Sicherheit maritimer Versorgungswege und die Garantie der Freiheit der hohen See sind für eine stark vom Seehandel abhängige Exportnation wie Deutschland von herausragender Bedeutung. Störungen unserer Versorgungslinien durch Piraterie, Terrorismus und Regionalkonflikte können Auswirkungen auf den Wohlstand unseres Landes haben.“. Verbunden mit der neuen maritimen Sicherheitsstrategie der Europäischen Union ist hier eine deutliche Trendwende erkennbar, was die Bemühungen angeht, gegen „Sea Blindness“ vorzugehen. Ein wesentlicher Punkt, der dabei nicht vergessen werden darf, ist die Tatsache, dass maritime Sicherheit in diesem Ausmaß ein noch relativ junges Thema in der internationalen Staatengemeinschaft darstellt. Daher liegt der zweite Schlüssel zum Spinnen eines maritimen Erzählfadens in der Zeit. Solange die in Deutschland und Europa vorherrschende „Sea Blindness“ nicht überwunden wurde, solange gilt: „Wenn man das Meer nicht versteht, ist kein Land in Sicht“.
Seid fast einem Jahrzehnt wird versucht der Deutschen Marine durch die Aufgabe der „Maritimen Sicherheit“ Hand in Hand mit der maritimen Wirtschaft politisches Gehör zu verschaffen. Herr Mundstock fasst die Diskussion der Vergangenheit treffend zusammen. Das ist ein Verdienst. Der Artikel ließt sich jedoch, als sei er vom PIZ selbst verfasst worden, leider keine neuen Erkenntnise oder mutigen Thesen. Schade, denn so werden wir zur keiner Diskussion kommen. Die Wirkung bleibt aus.
Wenn es uns in den letzten 10 Jahren nicht gelungen ist die Nachricht zu verkaufen, dann sollte man nicht fragen ob das Medium oder die Art und Weise richtig ist, sondern vielleicht die Nachricht ändern. Gibt es denn keine anderen Aufgaben mehr für die Marine?
Zumal der Fokus gefährlich einseitig ist. Eine starke Präsenz der Deutschen Marine am Horn von Afrika konnte die Entführung der Hansa Stavanger nicht verhindern. Private Sicherheitsunternehmen leisten den notwendigen und angemessenen Schutz inzwischen für ein Bruchteil der Kosten! Genauso agieren private Organisationen kostengünstiger bei der Rettung von Flüchtlingen. Es fehlt das Alleinstellungsmerkmal!
Wenn wir Aufgaben von zivilen Institutionen in der (zivilen) maritimen Sicherheit übernehmen, dann werden wir uns auch mit diesen vergleichen müssen. Im deutschen Küstenmeer haben andere in diesem Bereich das Sagen. Und die werden immer betonen, wieviel besser und effektiver sie die Aufgaben der maritimen Sicherheit warnehmen können. Wer den Wolf zum Schäferhund macht, der wird weder die Herde effektiv schützen, noch das Rudel führen können.
Guter Kommentar – in der Tat scheint mir dieser Beitrag bei denen, die „schon katholisch bzw. konfirmiert“ – und damit eben nicht „seeblind“ sind – weniger zu bewirken, als jener der dritten Preisträgerin mit seinen originellen Ideen. Das immer gleiche Lied des Seetransports und seines Schutzes zu singen, den es braucht um eine leistungsfähige, importabhängige Wirtschaft unter Dampf zu halten, das bringt aber auch bei der „seeblinden“ Zielgruppe nichts. Genauso wie im positiven Sinne die Mogadishu-Befreiung hat sich in deren Gedächtnis negativ ein Ereignis wie der „Hansa Stavanger-Vorfall“ eingegraben. Weniger weil es überhaupt zur Geiselnahme kam, sondern warum die Deutsche Marine bei dem Befreiungsversuch nicht nur nicht zum Zuge kam, sondern ganz offensichtlich auch die erforderlichen Mittel dafür nicht besaß – und immer noch nicht besitzt…und auch nicht in der konkreten Planung hat (JSS)…