Fregatte "Schleswig Holstein" mit zwei Schleppern

Fregatte "Schleswig Holstein" mit zwei Schleppern

Sondervermögen Bundeswehr: für Marine mehr Selters, wenig Sekt

Notwendiger Exkurs: Bundeshaushalt

Am 16. März 2022 hat die Bundesregierung den Haushalt für das Jahr 2022 verabschiedet sowie die Eckwerte für 2023 und den Finanzplan bis 2026 beschlossen. Einhundert Milliarden Euro sollen in ein sogenanntes Sondervermögen zur Ausrüstung der Bundeswehr fließen. Die dafür nötige Grundgesetzänderung wurde vom Kabinett ebenfalls auf den Weg gebracht.

Der Bundeshaushalt fällt 2022 mit 457,6 Milliarden Euro geringer aus als der des Vorjahres. Pandemie-bedingt erreichte er den Rekordwert von 556,6 Milliarden Euro. Elf Prozent des Haushalts, 50,3 Milliarden Euro, sind für den Einzelplan 14, den Verteidigungshaushalt vorgesehen (ESuT berichtete). Gegenüber den 8,2 Prozent von 2021 ein Anstieg um fast drei Prozentpunkte. In den Jahren nach 2022 soll der Verteidigungshaushalt auf 50,1 Milliarden Euro festgeschrieben werden.

Durch die Festschreibung auf 50,1 Milliarden Euro steht im Einzelplan 14 vordergründig mehr Geld zur Verfügung. Kumuliert ab 2023 insgesamt 12,4 Milliarden Euro mehr. Doch ist das nur die Hälfte dessen, was die Verteidigungsministerin noch im Februar gefordert hatte.

Auch wird der Weg zum Einhalten der von Bundeskanzler Olaf Scholz versprochenen zwei Prozent-Marge noch nicht erkennbar Verteidigungsausgaben. Im Jahr 2006 vereinbarten die Verteidigungsminister der NATO-Staaten, mindestens 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben bereitzustellen, um die militärische Einsatzbereitschaft des Bündnisses weiterhin zu gewährleisten. Beim Gipfel in Wales 2014 gelobten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, „eine reale Erhöhung der Verteidigungsausgaben in dem Maße anstreben, wie das Bruttoinlandsprodukt wächst, und darauf hinarbeiten, sich innerhalb eines Jahrzehnts der 2 %-Richtlinie anzunähern, um ihre NATO-Fähigkeitsziele zu erreichen und die Fähigkeitslücken der NATO zu schließen.“

Die Bundesregierung hat die NATO-Zielvorgabe, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufzuwenden, seit ihrem Bestehen verfehlt. Und wird mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf weiter vorbeischrammen. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 1,46 Prozent im Jahr 2022 sinkt weiter ab.

Das von Scholz angekündigte Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro soll aus der Klemme helfen. Seine Implementierung soll über eine Grundgesetzklausel erfolgen. Der Webseite der Bundesregierung ist zu entnehmen: „Die Bundesregierung hat zur verfassungsrechtlichen Absicherung des Sondervermögens auch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Es sieht einen neuen Absatz 1a in Artikel 87a des Grundgesetzes vor, der den Bund zur Errichtung des Sondervermögens mit eigener einmaliger Kreditermächtigung berechtigt. Diese Kreditermächtigung wird von den Kreditobergrenzen der Schuldenregel ausgenommen.“ (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/sondervermoegen-bundeswehr-2016560)

Doch nicht nur um das Verfahren, um das Sondervermögen auf die Bahn zu bringen, ranken sich Fragezeichen. Auch um seine schlussendliche Verwendung. Nach der Absicht seiner Geburtshelfer soll das Sondervermögen einen „signifikanten“ Beitrag dazu leisten, die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit der Bundeswehr weiter zu festigen. In Verbindung mit der Stärkung des originären Etats sollen die Verteidigungsausgaben dadurch auf über zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik, dem Bruttoinlandsprodukt, gehoben werden. Den konkreten Einsatz der 100 Milliarden Euro will die Bundesregierung in einem Wirtschaftsplan festlegen, berichtet das Handelsblatt am 16. März unter Verweis auf Reuters. Demnach sollen in dem Wirtschaftsplan alle Einnahmen und Ausgaben veranschlagt werden. Der solle zu einem späteren Zeitraum erstellt werden. ESuT-Informationen zufolge befindet sich eine Prioritätenliste in Bearbeitung. Wichtig ist, dass die angekündigten Milliarden nicht in Großprojekte in ferner Zukunft gesteckt, sondern schnell dort eingesetzt werden, wo Ausrüstung, Material und Waffen fehlen.

Dessen unbenommen reicht die als Zeitenwende angekündigte Finanzspritze nicht als Perspektive für eine nachhaltige Finanzausstattung der Bundeswehr. Bei konstantem Haushaltsansatz sinkt die Kaufkraft der zugebilligten Finanzmittel schon durch die Inflation.

Auf der Basis des Bruttoinlandsprodukts von 2021 sind jährlich 71,4 Milliarden Euro im Einzelplan 14 erforderlich (Datenquelle: Statistisches Bundesamt). Selbst bei günstiger Rechnung würde dieser Wert über die fünf Jahre nicht erreicht werden können. Wobei die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts wie auch die Inflation hier nicht berücksichtigt sind. Die 50,1 Milliarden Euro in 2023 laufen auf einen Anteil von 1,30 Prozent hinaus. Also eine Abnahme gegenüber 2022.

Ende Exkurs.

 

Marine: mehr Selters, wenig Sekt

Nach hier vorliegenden Informationen dürfte der Schluck aus der Pulle des Sondervermögens Bundeswehr für die Marine weit geringer ausfallen als es aus den gefälligen Ankündigungen des Bundeskanzlers Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 zu erwarten war. Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2022 vom 16. März 2022 bringt der Bundeswehr wie der Marine keinen Befreiungsschlag. Gegenüber der Vorgängerversion enthält er die notwendigen Angaben für die 2021 eingeleiteten Projekte und die Fortführung bereits entschiedener Rüstungsprogramme. Was die Marine betrifft, so wurde die Beschaffung des Flugkörpers Naval Strike Missile Block 1A (NSM) aufgenommen.

Marineforum wirft einen Blick auf die Bedarfe der Marine und die im Sinne des Sondervermögens möglichen Beschaffungen für die Marine. Welche strategischen Projekte ließen den kurzfristigen Geldsegen realisieren?

Frühere Entscheidungen

Vorerst ein Blick zurück. Gerade noch rechtzeitig vor dem Ende der Legislatur im September 2021 bewilligte der Deutsche Bundestag im Sommer 2021 27 Beschaffungsvorhaben. Die Marine konnte von den Entscheidungen in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause 8,9 Milliarden Euro für seegehende und fliegende Einheiten einfahren. U-Boote der Klasse 212 Common Design (U212 CD), Flottendienstboote, Betriebsstoffversorger, Erprobungsboote und Seefernaufklärer konnten unter Vertrag genommen werden. Hinzu kommen Aufwendungen für die Sicherstellung der Einsatzverfügbarkeit, mithin Modernisierung der Fregatten Klasse 123 und längst überfällige Modernisierungen auf den Minenjagdbooten Klasse 332C, für die querschnittliche Beschaffung von Radarnavigationssystemen und eines Kommunikationssystems zur Führung des Schadensabwehr- und Gefechtsdienstes an Bord. Auch wurden Haushaltsmittel für den Lenkflugkörper Naval Strike Missile Block 1A sowie für die Zertifizierung und Instandsetzung des Seezielflugkörpers RBS 15 Mk3 gebilligt. Bereits früher waren Entscheidungen zur Fregatte Klasse 126 (ex MKS 180 – Mehrzweckkampfschiff), zur Ergänzungsbeschaffung Korvette K130 und für eine neue Marinehubschraubergeneration gefallen. 2013 im Falle Sea Lion und 2020 für Sea Tiger. Im April 2021 hatten die federführenden Bundestagsausschüsse (Verteidigung und Haushalt) ihr Plazet zur Realisierung des Drohnensystems vom Typ Sea Falcon zur langen überfälligen Ausrüstung der Korvetten Klasse 130 gegeben. Insgesamt wird die Marine dann über 4 fliegende Segmente (je zwei Drohnen vom Typ Skeldar V-200) und Kontrollstationen auf den fünf Korvetten und im Marinefliegergeschwader 5 verfügen.

Über die Einheiten für die Deutsche Marine hinaus runden die Entscheidungen für ein Mehrzweck- und ein Erprobungsboot der Wehrtechnischen Dienststelle 71 im Rahmen der Beschaffungsmaßnahme ‚Seeversuch Küste‘ das Bild ab.

 

Fähigkeits- und andere Lücken

Auch wenn der parlamentarische Parforceritt vom Sommer 2021 für eine Runderneuerung der Marine wichtige „Pflöcke eingeschlagen“ hat, ist der Investitionsstau allerdings deutlich größer und dem friedensorientierten Sparkurs geschuldet. Bedarfe der modernen Kriegführung, auch in der Landes- und Bündnisverteidigung blieben vielfach unberücksichtigt.

„Dergels“

Bisher werden in den Beschaffungsvorhaben Unterstützungsfahrzeuge und andere Betriebsfahrzeuge der Marine (wie Tauchereinsatzboote und Hafenschlepper), die „Dergels“, zeitlich mehr als unzureichend berücksichtigt. In einer Beschaffungspriorisierung hatten u.a. die Hafenbetriebs- und Unterstützungsfahrzeuge nie einem Spitzenplatz, so sind u.a. die Schlepper (Hafen- und Seeschlepper) der Marine in die Jahre gekommen und in den Schlepp- und Bugsierfähigkeiten den neuen großen Einheiten der Klasse F125, F126 und auch den schon seit langem gefahrenen EGV nicht mehr angemessen. Die Verlängerung ihrer Nutzungsdauer, die in parlamentarischen Behandlungen (im April und im August 2021) als Option durchschimmert (‚bruchfreier Erhalt der durch Schleppfahrzeuge bereitgestellten Fähigkeiten‘), ist angesichts ihrer immer wieder hinausgezögerten Ersatzbeschaffung keine Lösung. Nicht nur deswegen, weil mit dem ihnen einhergehenden Material als auch Personal spezifische Qualifikationen verknüpft sind. Die Hafenschlepper der Klasse 725 A/B verfügen über einen Pfahlzug von maximal 23 Tonnen, dessen Betriebsfähigkeit, verständlich übersetzt, TÜV-überprüft sein muss. Die Besatzungen sind sicherheitsüberprüft, in militärische Seefahrt eingewiesen, leisten und können Schiessauswertungen und einiges mehr. Das Funktionspersonal von Marineschiffen macht in Stützpunkten, gerade bei heiklen Situationen, die Erfahrung, dass der Marineschlepper immer kommt und ihnen nichts erklärt werden muss.

Schleppbarkassen dienen stützpunktinternen Unterstützungsleistungen, beispielsweise bei der Verholung von Pontons und Ölschuten, bei Ein- und Ausdockvorgängen. Aber es wird eben nicht nur geschleppt. Außer Schleppen und Bugsieren erfüllen die Schlepper und Barkassen eine Reihe von Unterstützungsleistungen: Shuttleverkehr für Ankerlieger auf Reede, Taucherunterstützung, Sichern von Marine-Infrastruktur, Begleitung von Marineeinheiten (z.B. bei der Passage des Nord-Ostsee-Kanals). Zum Aufgabenkatalog der „Wangerooge“ und „Spiekeroog“, der Seeschleppers Klasse 722, gehört auch die Unterstützung beim ‚Überlebenstraining auf See‘. Flugzeugbesatzungen üben unter realen Bedingungen das Verhalten im Falle einer Notwasserung. Dieses Training wird für alle Luftfahrzeuge der Bundeswehr betrieben, welche über See fliegen müssen. Fällt bei Ausfall der „Wangerooge“ das Fliegen über See für die Pilot/innen der Luftwaffe aus?

Kasten

Marineschlepper: Übersicht über Klasse, Anzahl und Alter

Heimathafen Klasse Typ Anzahl Baujahr
Kiel 720 Bergungsschlepper 1 1967
722 Seeschlepper 1 1968
725 A/B Hafenschlepper 3 1987
946 Schleppbarkasse 1 1985
Wilhelmshaven 722 Seeschlepper 1 1968
725 A/B Hafenschlepper 3 1990
946 Schleppbarkasse 2 1985
Warnemünde 945 Schleppbarkasse 1 1989
Neustadt i.H. 945 Schleppbarkasse 2 1992
Eckernförde 946 Schleppbarkasse 1 1985

Das Ende der Nutzungsdauer wird für alle mit 2025 angegeben.

Quelle: Bundestagsdrucksache 19/31844

Ende Kasten.

Nun ist aus der Aufstellung unschwer zu erkennen, dass die Bundeswehr hier schon eher eine „historische Flotte“ betreibt, denn eine auf den heutigen, militärischen Bedarf ausgerichtete Unterstützungsfähigkeit. Mit dem Alter der Einheiten steigen die Instandsetzungsbedarfe und sinkt die Verfügbarkeit.

Einsatzboote

Zur mehrdimensionalen Seekriegführung gehören Einwirkmöglichkeiten von See an Land. Der Deutschen Marine stehen dafür vier ‚Wirkmittel‘ zur Verfügung: Neben Schiffsartillerie und dem auch gegen Landziele einsetzbaren Flugkörper RBS 15 MK 3, auch die personelle Komponente des Seebataillons und des Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM), allgemein als die Kampfschwimmer bezeichnet. Allerdings mangelt es an entsprechenden Verbringungsmitteln, die Bedarfe sind noch besser zu decken. Einsatzfahrzeuge stehen daher schon seit Langem auf der Bedarfsliste des Marinekommandos bzw. Einsatzführungskommandos. Mögliche Lösungen sind grundsätzlich verfügbar, allein die bedarfsgerechte Verfügbarkeit der notwendigen Haushaltsmittel für Beschaffung und Betrieb konnte im Einzelplan 14 (Verteidigung) nicht ermöglicht werden.

Küstenvorfeldüberwachung, der seeseitige Schutz maritimer Anlagen (harbour protection), taktische Mobilität über See und Evakuierungen über See finden sich in den konzeptionellen Grundlagen der Streitkräfte. Dabei meint ‚Taktische Mobilität über See‘ die Anlandefähigkeit für infanteristische Kräfte, also die Verbringung von Einsatzgruppen an Land – auch über größere Distanzen. Evakuierungen über See sprechen im Rahmen von „Operationen zur Evakuierung aus krisenhaften Lagen im Ausland“ (Konzeption der Bundeswehr, April 2018) im Grunde dasselbe an und unterscheiden sich in der Zielsetzung und Transportaufwand. Beide Fähigkeiten ‚Taktische Mobilität bzw. Evakuierung über See‘ müssen nicht zwangsläufig nur von den Marineeinsatzkräften, also vom Seebataillon und den Spezialisierten Einsatzkräften der Marine, den Kampfschwimmern, erbracht werden. Zu den abzuleitenden operativen Anforderungen eines derartigen (See-)Kriegsmittels gehören Wendigkeit, Schutz, eigene Feuerkraft, dabei begrenzt in Größe und Gewicht. Auch Mobilitätskriterien wie Eignung zum Straßentransport und unter Umständen womöglich auch Lufttransportmöglichkeit werden bei einer Auswahlentscheidung eine Rolle spielen. Neben diesen eher intrinsischen Gründen gibt es auch äußere Anreize. Die im Februar 2016 unterzeichnete Absichtserklärung zur schrittweisen Integration des Seebataillons mit den Kräften der Königlich Niederländische Marine implizierte auch Planungen mit Blick auf Einsatzboote des Seebataillons.

Doch währte es mit der Zeichnung des CPM-Phasendokumentes ‚Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung (FFF)‘ zum Projekt „Taktische Beweglichkeit maritimer Einsatzkräfte auf dem Wasser“ bis zum Januar 2021. Die FFF umreißt den Bedarf für insgesamt fünfzehn Einheiten – zehn für die Aufgaben des Seebataillons, fünf für die Kampfschwimmer. Noch im Mai 2021 steht das Verteidigungsministerium bei einer parlamentarischen Anfrage hinter zehn Mehrzweckkampfbooten für das Seebataillon und eine eigenständige Fähigkeit. Der Zeitraum für den Fähigkeitsaufwuchs wird bis 2027 angegeben.

Wegen der schnellen Verfügbarkeit schielt der Nutzer, das Seebataillon, auf marktverfügbare Produkte. Dazu gehören – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Typen aus skandinavischer Fabrikation. Darunter SAABs CB 90. Die finnische Marine Alutech mit zwei Typen: Watercat M18 „Jehu“ und Watercat 1250 Patrol von Marine Alutech.

Die Designlösung FCC17 Alligator der deutschen Fassmer Werft entspricht in etwa den drei Typen. Ebenso der Entwurf von „Team Deutschland“, dem Zusammenschluss von Hagenuk Marinekommunikation GmbH, Hensoldt Sensors GmbH, Tamsen Maritim GmbH und Plath Corporation GmbH.

Genaue Preise werden von den Produzenten nicht genannt. Als Anhaltswerte können herangezogen werden: die finnische Marine zahlte für ihre zwölf Watercat M18 „Jehu“-Kampfboote von Marine Alutech OY, Finnland, ca. 34 Millionen Euro, womit der Stückpreis bei 2,8 Millionen Euro liegt. Schweden beschaffte kürzlich 18 CB90 beim Hoflieferanten Saab für umgerechnet 39,7 Millionen Euro – Stückpreis 2,2 Millionen Euro. Die Schweiz veranschlagte für die Beschaffung von 14 Patrouillenbooten 16 (Watercat 1250 Patrol von Marine Alutech) knapp 45 Millionen Euro – 3,2 Millionen Euro pro Boot.

Der Bedarf ist anerkannt. Doch: Wie bei den „Dergels“ hapert es bei der Umsetzung: still ruht die See. Das Sondervermögen Bundeswehr könnte hier helfen.

 

Wo klemmst sonst?

Darüber hinaus steht der Fähigkeitserhalt des derzeit mit den Tendern der Klasse 404 abgebildeten Spektrums sowie notwendige Anpassungen zur Herstellung der Führungsfähigkeit (Projektbezeichnung „Mittlere Unterstützungseinheit“, MuSE) zur Beschaffung an. Zu den weiteren Prioritäten einer aufgabenorientierten Ausstattung mit dem Schwerpunkt Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) gehört die beschleunigte Beschaffung bedrohungsgerechter Minenabwehrfahrzeuge einschließlich der heute üblichen sogenannten ‚toolbox‘. Die Auslösung der Option auf die fünfte und sechste Einheit der Fregatte 126 käme nicht nur der Marine, sondern auch der deutschen Marineschiffbauindustrie gelegen. Zwei U-Boote aus dem norwegisch-deutschen Gemeinschaftsprogramm U212CD, die bisher als Option im Raum standen, gehören zu den, wenn auch nicht kurzfristig einzulösenden Prioritäten. Auch weitere Seeraumfernaufklärer P8 können die Betriebsbasis einer modernen Uboot-Jagd durchhaltefähig unterstützen und den Verfügungsbestand erhalten.

Akut sind außerdem weitreichende autonome Fahrzeuge auf einem höheren Platz in der Prioritätenliste vorstellbar. Munition, dazu zählen Flugkörper, Torpedos und Minen sowieso. Davon wird ein Element in Erfüllung gehen: Im Haushaltsentwurf 2022 vom 16. März findet sich, wie oben bereits erwähnt, immerhin die Beschaffung des NSM. Und ginge es nach dem Inspekteur, so würde er die Lager mit ET/AT füllen.

Mit dem geplanten Ende der Nutzungsdauer der drei Verbandsflugabwehrschiffe der Sachsen-Klasse entsteht ab Mitte der 2030er-Jahre eine Fähigkeitslücke in der maritimen Luftverteidigung für die Bereiche Verbandsflugabwehr und Gebietsschutz. Sie soll durch die „Next Generation Frigate“ geschlossen werden. Die in der Marine als F127 bezeichneten Schiffe sollen auch Optionen zur seegestützten Abwehr ballistischer und hypersonischer Flugkörper enthalten. Ganz im Sinne einer auf Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichteten Bundeswehr. Zur schnelle(re)n Realisierung und Gewinnung von betrieblichen und logistischen Synergien könnte sich eine ‚Military off the shelf‘ Lösung empfehlen. Schiffe und Konstruktionen unter NATO-Partnern sind verfügbar. Das auf der FREMM-Klasse basierende Design der für die US-Navy in Realisierung befindlichen „Constellation Class“ hätte nicht nur den rüstungspartnerschaftlichen Charme der transatlantischen Konstellation. Es eröffnete auch deutschen Werften Möglichkeiten.

Kommunikationsmittel für +Multi Domain Operations+ sowie Cyberfähigkeit in der Seekriegsführung sind Elemente, die mit einer Stärkung der Führungsfähigkeit der Marine, als auch streikräftegemeinsam inhärent abzudecken sind.


Korvetten K130

Auch die Idee der Neubeschaffung von Korvetten könnte eine Realisierung erfahren: fünf weitere Korvetten K130 als wirtschaftliche Lösung anstelle der Modernisierung des ersten Loses. Dem Argument, den Betrieb von zehn baugleichen Korvetten durchgehend sicherzustellen anstelle einer Modernisierung des ersten Loses, ist plausibel.

Die für das erste Los fällige Obsoleszenzbeseitigung und Anpassung der Systeme würden die Nutzungsdauer der Einheiten nicht verlängern. In den bisherigen Vorstellungen blieben der schiffbauliche Zustand und die Hauptkomponenten des Plattformbetriebs unberücksichtigt. Neue Hardware in alte Rümpfe zu bauen, bleibt nicht ohne Risiko, insbesondere in Hinsicht auf Verfügbarkeit. Mit einer Neubeschaffung von fünf weiteren Korvetten bei gleichem Rüstzustand wie die Einheiten des zweiten Loses ergeben sich Synergieeffekte in Ausbildung, Instandsetzung und Betrieb.


Fazit

Nach einer Analyse der bisherigen Bedarfslisten der Bundeswehr finden sich wenige strategische Projekte, die sich über den Geldsegen kurzfristig realisieren ließen. Kurzfristig oder ‚schnell‘ ist bei der Beschaffung von Rüstungsartikeln ohnehin ein Begriff wie aus einer anderen Welt. Was nicht nur mit der Fertigung, sondern auch mit den Verfahren zusammenhängt. Öffentliche Aufträge müssen ausgeschrieben werden. Europaweit, falls das zu beschaffende Material nicht unter die Kategorie ‚Schlüsseltechnologie‘ fällt. Sonderformen des Materialeinkaufs wie ‚einsatzbedingter Sofortbedarf‘ ermöglichen eine Überholspur. Derartige Ausnahmen sind parlamentsanhängig. Projekte, deren Beschaffungskosten über 25 Millionen Euro liegen, müssen vom Bundestag genehmigt werden. Um die 100 Milliarden abfließen zu lassen, wären also, vereinfacht dargestellt, viertausend 25-Millionen-Euro-Vorlagen erforderlich. Womit wiederum deutlich wird, wie eingeschränkt die Möglichkeiten zu pragmatischerem Vorgehen bei der Beschaffung sind. Letztendlich ist das Parlament Herrscher des Verfahrens. Es könnte die Weichen zum Verlassen der üblichen Beschaffungswege stellen.

Die 100 Milliarden Euro sind wichtig. Geld kommt - man ist geneigt zu sagen: Endlich! Es ermöglicht Löcher zu stopfen, Bestellungen zu vergrößern und Vorhaben zu beginnen, die bislang das Portemonnaie nicht hergab. Für die Marine ließen sich Unterstützungsfahrzeuge, Einsatzboote und eine Erweiterung der Flotte der Seefernaufklärer realisieren. Allerdings, die anfängliche Euphorie ist verflogen. Die Befürchtung, dass nicht viel übrig bleiben wird für See- und Seeluftstreitkräfte steht im Raum.

Stichwort ‚Marktverfügbare‘ Produkte. Im Falle der Marine heißt ‚marktverfügbar‘ ohnedies nicht, dass bei heutigem Kaufabschluss schon morgen ein neues Schiff oder Flugzeug den Fuhrpark bereichert. Statt der Eigenentwicklung einer Fregatte 127 auf ein existierendes Design (beziehungsweise im Begriff zur Entstehung) zurückzugreifen, käme zudem einem politischen Investment in die europäische oder transatlantische Partnerschaft gleich. Wobei mir beim Formulieren dieses Satzes die Auguren nationaler Schlüsseltechnologie und Wahrung des Werftenstandorts Deutschland bereits winken.

Fünf weitere Korvetten K130 könnten angesichts der anstehenden Modernisierung der fünf Einheiten des ersten Loses eine wirtschaftlichere Lösung darstellen und sich günstig auf die Verfügbarkeit von Einheiten der ohnehin kleinen Deutschen Marine auswirken. Tender, Minenjagdfahrzeuge, Flottendienstboote und Betriebsstofftransporter sind überfällige Ersatzbeschaffungen. Und tragen nicht zur Vermehrung von Flaggenstöcken bei, ebenso der Ersatz der Dergels. Zwei oder drei zusätzliche Seefernaufklärer P8 Poseidon stellten den ursprünglichen Flottenbestand dieser Fähigkeit her oder kämen ihm nahe. Die offenen Optionen für zwei weitere Fregatten der Klasse F 126 und für zwei weitere U-Boote U212CD vergrößerten den Fuhrpark der Marine, sollte sich die Bundesregierung zu ihrer Einlösung entscheiden.


Deutschland auf dem Weg zum drittgrößten Verteidigungshaushalt weltweit?

Über den Rand der Marineschirmmütze hinausgeblickt: das Sondervermögen Bundeswehr allein wird nicht das Dilemma der Bundeswehr lösen. Nicht nur wegen seiner Aufstellung. Benötigt wird eine Strategie in der Sicherheitspolitik, die die Zielvorgaben absteckt und Priorisierungen ermöglicht. Darüber hinaus wünschenswert: ein anderes gesellschaftliches Gespür für sicherheitspolitische Belange und einen anderen Umgang mit den Streitkräften. Gepaart mit der Einsicht, dass militärische Maßnahmen durchaus ein 'normales' politisches Instrument sein können.

Letztendlich erscheint auch eine andere Kultur der Rüstungsbeschaffung geboten. Strukturen, Verfahren und Gesetze verkomplizieren eine effiziente Beschaffung. Vereinfachungen ohne Aufgabe der Sicherheitsstandards oder Eingehen von Risiken für Leib und Leben der Soldaten/innen dürften machbar sein.

Die Nägel müssten schnell eingeschlagen werden. Die Industrie ist in Erwartungshaltung – nicht nur die maritime. Zu erwarten ist nun, dass sich die Rahmenbedingungen dahingehend ändern, um eine schnelle Umsetzung zu ermöglichen. Beschaffungs-, Haushaltsordnung, Vergaberecht, Rüstungsprozesse – sie werden mit dem Ausrufen einer Zeitenwende weder vereinfacht noch beschleunigt, noch weniger bürokratisch. Da sitzt der Gesetzgeber am Hebel.

Die Welt hat sich verändert, es wird Zeit, dass sich was dreht. Drücken wir uns die Daumen, dass mit dem lange gewünschten Schluck aus der Finanzpulle der gewünschte Effizienzeffekt eingefahren wird. Es wäre ein Trauerspiel, sollte dies nicht gelingen. Denn immerhin wird das versprochene Wachstum Deutschland zum drittgrößten Verteidigungshaushalt der Welt verhelfen. Die aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro möglich werdenden Investitionen und Rüstungsvorhaben können tatsächlich die Verfügbarkeit des Materials verbessern und damit kurzfristig die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erhöhen.

Auf der Basis des Bruttoinlandsprodukts von 2021 sind jährlich 71,4 Milliarden Euro im Einzelplan 14 erforderlich (Datenquelle: Statistisches Bundesamt). Selbst bei günstiger Rechnung würde dieser Wert über die fünf Jahre nicht erreicht werden können. Wobei die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts wie auch die Inflation hier nicht berücksichtigt sind. 50,1 Milliarden Euro, die für 2023 alloziert sind, laufen auf einen Anteil von 1,30 Prozent hinaus. Also eine Abnahme gegenüber 2022.

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5 Kommentare

  1. Was die Anschaffung von F127 Fregatten angeht . Kõnnte man auch auf das Tkms Design Meko A-300 PL zurückgreifen. Diese Fregatte hat alles was die Bundesmarine für die F127 geplant hat.

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  2. Eine K130 kostet 480 Millionen, verglichen mit anderen Korvetten oder einer Meko200, wie sie Ägypten für wenig mehr Geld erhält, ist, war und wird immer Geldverschwendung sein.

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  3. Klasse, danke!

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  4. Vielen Dank für die gute Zusammenfassung, lieber Herr Mergener. Vieles wird in der Tat sonst leicht übersehen!

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  5. Danke Herr Mergener für Ihre sachliche Darstellung der Erfordernisse für die Marine.
    Auch wenn Sie schon 2019 auf die überhöhten Forderungen für den Bau der beiden Betriebsstoffversorger hingewiesen haben, sollte man diese Preistreiberei auch 2022 auch deutlich ansprechen. Wenn es noch eines Beweises für eine Europaweite Ausschreibung von Schiffen bedurft hätte, dann sollte dieser Fall uns gemeinsam zum Nachdenken bringen.

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