Nach einer Verlautbarung des US-Verteidigungsministeriums vom 30. Mai 2025 wurde Raytheon Missiles and Defense ein Vertrag (N00024-25-C-5501) über zunächst 536,75 Millionen US-Dollar für Integrations- und Produktionsunterstützungsleistungen für das Multifunktions-Weitbereichsradar AN/SPY-6(V) zugesprochen. Die Mitteilung führt aus, dass bei Ausübung aller Optionen der kumulierte Wert des Vertrags auf über 2,88 Milliarden US-Dollar ansteigen könnte.
Von besonderer Relevanz ist, dass dieser Vertrag explizit Käufe für die US-Regierung (71,4 %) und die Regierung Deutschlands (28,4 %) im Rahmen des Foreign Military Sales (FMS)-Programms kombiniert. Dies signalisiert eine substanzielle deutsche Investition in die Produktionsunterstützung dieses Radarsystems. Demnach ist die Schlussfolgerung zulässig, dass die Deutsche Marine zukünftig mit dem AN/SPY-6 ausgestattet sein wird.
Auf deutscher Seite erfolgte im Dezember 2024 mit der Genehmigung von 44,5 Millionen Euro durch den Deutschen Bundestags für vorbereitende Studien zur Integration des Aegis-Kampfführungssystems in das bevorzugte Design der F127-Fregatten ein Schritt, der auf die Präferenz für ein US-System hindeutete. Die Fregatten der Klasse F127 sollen ab Mitte der 30er Jahre die jetzigen Luftverteidigungsfregatten der Klasse F124 ersetzen. Nach den kürzlich veröffentlichten Zielvorstellungen der Marine ‚Kurs 2025‘ sind sechs Einheiten vorgesehen.
Ein modulares S-Band Radar

SPY-6-Radargeräte werden aus einzelnen Bausteinen gebaut, die als modulare Radar-Baugruppen bezeichnet werden, oder aus eigenständigen Radargeräten, die in 2 x 2 x 2-Fuß-Boxen geliefert werden. Foto: RTX.com/Raytheon
Das AN/SPY-6 ist die S-Band-Radarfamilie der nächsten Generation der US-Marine, entwickelt von Raytheon (jetzt RTX Corporation). Es ist ein Active Electronically Scanned Array (AESA) 3D-Radarsystem, das mit seinen sogenannten Radar Modular Assemblies (RMA) auf einer modularen Architektur basiert. Jedes RMA ist eine eigenständige Radarantenne in einem 2x2x2 Fuß großen Gehäuse. Die RMA können wie "Bausteine" verwendet werden, um Antennenanordnungen unterschiedlicher Größe und Leistungsfähigkeit zu bilden. Diese Skalierbarkeit ermöglicht den Einsatz auf verschiedenen Schiffsklassen, von Zerstörern bis zu Flugzeugträgern.
Technologisch nutzt das AN/SPY-6 Galliumnitrid (GaN)-Halbleiter in seinen Sende-/Empfangsmodulen, was eine höhere Leistungsdichte ermöglicht. Im Vergleich zu älteren Systemen wie dem AN/SPY-1D(V) ist das AN/SPY-6 über 30-mal empfindlicher und kann Ziele von halber Größe in doppelter Entfernung erkennen. Es ist in der Lage, gleichzeitig über 30-mal mehr Ziele zu verarbeiten und unterstützt integrierte Luftverteidigung (IAMD) gegen alle Arten von Luft-, Weltraum- und Überwasserzielen sowie die elektronische Kriegführung. Eine erste Variante ist seit 2024 auf der „USS Jack H. Lucas“ (DDG 125) im Einsatz.
Die Betonung der Modularität in beiden Radarsystemen stellt eine bedeutende strategische Designentscheidung dar, die über die anfänglichen Anschaffungskosten hinausgeht. Ziel ist es, die Lebenszykluskosten zu optimieren, indem einfachere Upgrades, Wartungsarbeiten und Anpassungen an zukünftige Bedrohungen ermöglicht werden, ohne dass umfassende Systemüberholungen erforderlich sind. Dies trägt direkt zur langfristigen Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit bei, was für Marinen angesichts sich wandelnder Bedrohungsszenarien und Budgetbeschränkungen von entscheidender Bedeutung ist. Außerdem ermöglicht die Modularität eine Skalierbarkeit und Anpassungsfähigkeit an verschiedene Schiffsklassen und Missionsanforderungen.
SPY-6, nicht SPY-7
Die deutsche Beteiligung am Raytheon-Vertrag für die AN/SPY-6-Produktionsunterstützung ist ein starkes Indiz für das Interesse an diesem System und eine tiefere Integration in die US-Verteidigungsarchitektur. Gleichzeitig hat man sich damit gegen Lockheed Martins konkurrierendem AN/SPY-7 ausgesprochen. Ebenfalls ein hochmodernes AESA-Radarsystem optimiert zur Unterstützung von IAMD und in modularer Bauweise. Die Wahl wird nicht nur technische Aspekte berücksichtigt haben, sondern auch strategische Überlegungen zur Interoperabilität und den Beitrag zur Stärkung der nationalen Industrie. Die Entscheidung für AN/SPY-6 bringt auch eine im Vergleich zu AN/SPY-7 größere Tonnage der Einheit mit sich.
Strategische Notwendigkeit und strategische Positionierung
In jedem Fall ist sie ein eindeutiges Zeichen zum Einstieg der Deutschen Marine in die Weltraumüberwachung, was im ersten Versuch bei der Klasse F124 gerade gescheitert ist.
Die jetzt bekannt gewordene Genehmigung unterstreicht einerseits das Bestreben nach Interoperabilität mit den USA, ist andererseits eine Absage an ein europäisches Projekt. In Europa hat sich bisher Norwegen für das SPY-6 interessiert, eine Beschaffungsentscheidung wurde noch nicht getroffen. Weltweit hat neben Japan auch Singapur Interesse an AN/SPY-6 bekundet. Spanien entschied sich für seine F110-Fregatten für AN/SPY-7. Ebenso Kanada (River Class) und Japan.
In diesem Segment greift die französische Marine auf Radarentwicklungen von Thales, die Marina Militare auf Leonardo zurück.
Schlüsselvarianten der AN/SPY-6 Familie

Radargeräte der SPY-6 Familie werden auf sieben Schiffsklassen der US Navy eingesetzt. Foto: RTX.com/Raytheon
- AN/SPY-6(V)1 (AMDR): Die größte Variante, mit vier festen Antennenflächen, von denen jede 37 RMA besitzt und eine 360-Grad-Abdeckung bietet. Sie ist für Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse Flight III konzipiert.
- AN/SPY-6(V)2 (EASR Rotating): Eine einzelne rotierende Antenne mit 9 RMA. Sie ist für amphibische Schiffe der San-Antonio-Klasse und America-Klasse sowie als Nachrüstung für Flugzeugträger der Nimitz-Klasse vorgesehen.
- AN/SPY-6(V)3 (EASR Fixed): Drei feste Antennenflächen, jede mit 9 RMA. Diese Variante ist für Flugzeugträger der Gerald-R.-Ford-Klasse und Fregatten der künftigen Constellation-Klasse ausgelegt.
- AN/SPY-6(V)4: Vier feste Antennenflächen, jede mit 24 RMA. Diese Variante ist für die Nachrüstung von Zerstörern der Arleigh-Burke-Klasse Flight IIA geplant.
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