Die Reparatur eines Fischerbootes erfordert traditionelles Handwerk

Die Reparatur eines Fischerbootes erfordert traditionelles Handwerk

Nur Schiffe im Kopf

Mit Ideen, Kreativität und Leidenschaft hat sich Tamsen Maritim einen Platz in der deutschen Werftenlandschaft erobert. Ein Besuch an der Warnow.
 
Werften waren immer schon spannend. Reportagen beginnen daher gern mit der Historie. Erzählungen handeln dann von Traditionen und von Baunummern, legendären Klassen und alter Handwerkskunst. Nicht so bei Tamsen Maritim. Zwar könnte man den Standort Rostock-Gehlsdorf bis 1850 zurückverfolgen, aber mit dem, was man heute vorfindet, hat das wenig zu tun. Keine Büsten von Gründern, keine Ölgemälde alter Schoner und schon gar keine Sammlungen aus Messing oder Takelagegedöns. Die Anlage ist fast neu, strahlt planerische Weitsicht aus, kein alter Backstein mit verbauten Ecken, die den Schiffbau mehrerer Jahrzehnte widerspiegelt, sondern frisch aufgeräumte deutsche Werftindustrie. Die Wege vom Empfang zum Chef, vom Besprechungsraum zur Planung und von allen Büros zu den Hallen sind sehr kurz. Man spürt keine Distanzen, weder räumlich noch persönlich. Und so nahbar fällt auch die Begrüßung aus, nämlich krawatten- und allürenfrei. Der erste Blick streift detaillierte Pläne an den Wänden und unzählige Kundenbilder mit Widmungen. Dazwischen wandert der Blick stets Richtung Wasser, was die Kreativität fördert.

Die Reparatur eines Fischerbootes erfordert traditionelles Handwerk

Die Reparatur eines Fischerbootes erfordert traditionelles Handwerk

Man wird geradezu überflutet von Informationen über Projekte und Ideen. Und davon hat Christian Schmoll, Geschäftsführer seit 2009, eine scheinbar unerschöpfliche Menge. Schon als Junge, so sagt er, hatte er zum Leidwesen seiner Eltern nur Schiffe im Kopf. Alles konnte warten, nur eben das nicht. Und diesen Enthusiasmus hat er sich erhalten, brennt für seine Projektideen, erzählt von seiner Leidenschaft fast im Flüsterton, springt dabei zwischen Fakten und Bewertungen und verbirgt den Stolz auf seine Werft und seine Mitarbeiter ganz und gar nicht. „Weil wir alles selber können“, begründet er dies. Der ehemalige Schiffsicherungsgast der Marine, Schlosser und Ingenieur blickt auf Erfahrungen bei großen deutschen Werften zurück und hat seine Bestimmung bei Entrepreneur, Luxus-Sportwagen-Händler und Helikopterpilot Heiner Tamsen offenbar gefunden.

Geschäftsführer Christian Schmoll

Geschäftsführer Christian Schmoll

Wie es dazu kam? 1994 gründeten auf dem Gelände der früheren Max-Rohde-Werft in Gehlsdorf die Werft Abeking & Rasmussen aus Lemwerder und die Meyer Werft aus Papenburg die A&R Neptun Werft. Bis heute wurden Wartungs- und Reparaturarbeiten an mehr als 1200 Yachten, Booten und Schiffen, insbesondere für die Deutsche Marine und den öAG, den öffentlichen Auftraggeber, durchgeführt. Der Technik im Werftgelände mit seinen Verfahrsystemen ist heute noch anzusehen, für wen sie erdacht wurde. Unter anderem gibt es eine bewegliche Pier-Anlage speziell für Schnellboote. In der ersten Ausbauphase wurden damals mehr als 23 Millionen Euro investiert, um die Werft voranzubringen, beispielsweise durch den Bau eines Schiffslifts mit einer Kapazität von bis zu 1500 Tonnen. In der zweiten Ausbauphase bis 2006 wurden 38 Millionen Euro für die Vergrößerung der Produktionshallen auf 24 000 Quadratmeter ausgegeben, dazu gehört die größte Fünf-Achsen-CNC-Fräse Europas für große Bauteile aus Kunststoff. Die zwei voneinander unabhängig arbeitenden Fräsportale sind für Bauteile von bis zu 73 Meter Länge und 13 Meter Breite konstruiert. Im Oktober 2009 – die Wirtschaftskrise hinterließ Spuren – übernahm der heutige Namensgeber die Werft. Unternehmensziel ist der Bau und die Reparatur von Behörden- und Spezialschiffen. Am Rande sei angemerkt, dass auch der 2012 gefertigte Gorch-Fock-Übungsmast für die Marineschule Mürwik hier entstand.

Der Werft-Prospekt zeigt nicht ohne Grund ein Gruppenbild aller Mitarbeiter: 130 Menschen arbeiten hier in Fertigung, Konstruktion und Design, ständig hat man bis zu 16 Azubis an Bord – und betreibt damit Vorsorge gegen Fachkräftemangel so gut es eben geht. Schmoll kennt seine Mitarbeiter, er weiß genau, wer welche besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse hat und welche Erfahrungsträger er in seinem Team hat. Er sorgt sich, weil die Generation der Spezialisten nach der Wende langsam in Rente gehen wird. Für ihn sind das eben nicht nur Arbeitsplätze, sondern wertvolle Fähigkeiten, die nicht austauschbar sind.

Neben der Wartung und Reparatur von Marine- und Behördenschiffen hat Tamsen Maritim auch den Service für Versorgungsschiffe der Offshore-Windparks parat. Dazu gehört der Bau von Formen zur Herstellung von Rotorblättern für Windenergieanlagen. Das ist ein breites Portfolio und der Rundgang durch die betriebsam gefüllten Hallen zeugt denn auch von der Vielfalt der Aufträge. Man staunt, was man alles sehen darf. In jeder Halle, an jedem Platz, in jeder Ecke wird an einem anderen Projekt gearbeitet. Ein Hafenschlepper, das Schul-Minenjagdboot Ex-Ensdorf der Marinetechnikschule, ein DGzRS-Kreuzer, ein Touristenschiff und am Rande ein traditionelles altes Fischerboot, welches von der immer seltener werdenden Zunft alter Holzschiffbauer kalfatert wird. Ein Herz für Schiffbautradition steht hier offenbar über dem Gedanken von Moderne und Profitabilität.

Rund 60 kleine und mittelgroße Schiffe werden pro Jahr gewartet und instand gehalten. Neben der Wartung von Behörden- und Fahrgastschiffen, Seenotrettungskreuzern, Schleppern und Einheiten der Deutschen Marine baut man auch neu: aktuell zwei  Patrouillenboote, die von der Generalzolldirektion bestellt wurden und für den Einsatz im Wattenmeer bestimmt sind. Die je 23 Meter langen Aluminiumrümpfe haben einen Tiefgang von nur 1,20 Metern. Bei Ebbe können die Boote trockenfallen, Finnen am Unterboden halten die Schiffe seitlich stabil. Ausgestattet sind sie mit je zwei 880 Kilowatt starken Motoren. „Die Aggregate erfüllen mit ihrem Abgasreinigungssystem die strengen Limits für Schiffsemissionen“, sagt Schmoll. Und: „Nach 20 Jahren entstehen in Deutschland zum ersten Mal wieder wattfähige Schiffe.“

Neubauten für den Zoll

Neubauten für den Zoll

Als trauriges Mahnmal versäumter Planungen und frühzeitiger Regeneration steht weit abseits der Hallen in mattgrüner Grundierung der Mehrzweckschlepper Wangerooge der deutschen Marine auf dem Helgen. Während große Teile seiner Technik ausgebaut in der Halle auf Aufarbeitung warteten, wurde kürzlich die Entscheidung zur Außerdienststellung getroffen. Viel war wohl nicht mehr zu retten, was genau erfährt man nicht. Wer Christian Schmoll ein wenig kennt, sieht ihm die Enttäuschung, insbesondere über die Kommunikation und den Ablauf förmlich an. Doch dem Profi kommt kein Wort der Kritik über die Lippen – als ehrenamtlich in der Vereinigung Reunion Marine Aktiver lebt er die Solidarität des blauen Tuches.

Was sind seine Pläne, will ich wissen? Davon hat er viele parat, im Kern will er reparieren, warten, konstruieren und neu bauen: „Wer repariert, kann auch bauen. Umgekehrt geht das nicht“, sagt er überzeugt. Und wie zum Beweis skizziert er seine Visionen von zukünftiger Minenabwehr, von Einsatzmöglichkeiten für Kunststoffteile auf Marineschiffen und von einer Produktfamilie für Behördenschiffe. Bedeutsam ist ihm dabei ein hoher Qualitätsanspruch, den er nicht nur sich selbst abfordert, sondern den er allgemein als Stärke deutscher Werften sieht. Die Frage, welches Bauvorhaben ihm besonders am Herzen liegt, beantwortet er spontan: ein Kampfboot für die Deutsche Marine. Seine konkrete Vorstellung eines zukünftigen Combat-Bootes ist das SMK 17, ein Gegenentwurf zu den schwedischen und finnischen Konstruktionen. Er zeichnet ein 45 Knoten schnelles und 20 Tonnen schweres Gerät für das Seebataillon, welches mit dem von Airbus gebauten Militärtransporter A 400M lufttransportfähig ist und flexibel an die Anforderungen von Spezial- und spezialisierten Kräften angepasst werden kann.

Dass es bereits marktverfügbare Systeme gibt, spornt ihn dabei an. Für dieses Projekt formierte sich das „Team Deutschland“ mit den Firmen Plath, Hensoldt und Hagenuk. Bisher kam es nicht zum Bau eines Prototypen, die Planungen sind – so Schmoll – aber baureif. Die Sorge der Werftindustrie, dass trotz der Einstufung des Marineschiffbaus als Schlüsseltechnologie aufgrund von Verfügbarkeit und damit Schnelligkeit im Sinne des neuen Beschaffungsbeschleunigungsgesetzes Aufträge und Wertschöpfungen ins Ausland abwandern könnten, teilt man auch an der Warnow. Gleichwohl werden bei Tamsen Maritim bereits zwei Arbeitsschiffe für die Bundeswehr gebaut. Wegen gleichzeitiger Produktionszeiten in Gehlsdorf werden die 20 Meter langen STS-Boote (Sicherung, Transport, Schleppen: siehe marineforum 5-22) derzeit in Kooperation auf der Werft SET Tangermünde an der Elbe produziert. Und Christian Schmoll macht Ernst: Man will Spezialschiffe bis zu einer Länge von 50 Metern entwickeln und bauen, dafür hat er das Konstruktionsteam auf 15 Mitarbeiter erweitert.

So ein Tag hinterlässt Eindrücke: Man hat Stahl und Aluminium angefasst, Schweißdraht gerochen und den Widerhall von Werkzeugen in großen Hallen gehört. Wenig verwunderlich, dass man anschließend selbst eine Weile nur Schiffe im Kopf hat.

Holger Schlüter

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