"Moskwa" - das Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte. Foto: Russische Marine

"Moskwa" - das ehemalige Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte. Foto: Russische Marine

Ukrainische Südoffensive nutzt Schwachstellen der russischen Marine

Nach dem Erstarken der ukrainischen Küstensicherung im Nordwest-Quadranten des Schwarzen Meeres in den letzten Wochen könnte die gerade gestartete Südoffensive der ukrainischen Streitkräfte Erfolg versprechen, denn Russland ist offensichtlich nicht mehr in der Lage, diesen Küstenabschnitt von See aus zu kontrollieren und "nieder" zu halten. Im Gegenteil: Die Ukraine hat mit einzelnen Schritten gezeigt, dass sie die gegnerischen Kräfte um Sewastopol durch gezielte Angriffe durchaus so stören kann, dass sich die russische Marine nur noch im Bereich der Küstenverteidigung der Krim sicher bewegt.

Auf dem Zeitstrahl gesehen

Mit der Beschädigung und dem Versenken der „Moskwa“ am 14. April wurde faktisch die weitreichendere Luftverteidigung und Luftraumkontrolle der russischen Marine ausgeschaltet, weil selbst die verbleibenden modernen Einheiten der Schwarzmeer-Flotte für den Luftraum eigentlich nur über „Point-Defence-Weapons“ verfügen. Die daraufhin auf der Schlangen-Insel aufgebaute provisorische „Ersatz-Luftverteidigung“, mit der man den See- und Luftraum vor Odessa hätte kontrollieren können, wurde durch die ukrainische Rückeroberung am 30. Juni zunichte gemacht. Den nun zum Zuge kommenden, auf der Krim stationierten Marinefliegerkräften wurden mit dem Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt Saky am 9. August und wenige Tage später im Bereich der Stadt Dzhankoi kräftig die Flügel gestutzt. Auch mit Drohnenangriffen auf die Stabsgebäude im Hafenkomplex von Sewastopol – wenn auch ohne gravierende Schäden anzurichten – wurde die Marineführung in ihren operativen Möglichkeiten eingehegt. Die Ablösung des Chefs der Schwarzmeer-Flotte ist auch nicht gerade ein Motivationsschub für die Einheiten unter dem Andreaskreuz! Das Erzwingen der Aufnahme von Getreidelieferungen über See aus den ukrainischen Häfen (und damit die de facto Aufhebung der Seeblockade), sowie die Zuweisung der Verantwortung für die globale Ernährungskrise an Russland darf auf ganz anderer Ebene auch zum Gesamtbild mit dazugerechnet werden.

Gezeitenwechsel?

Alles stärkt erkennbar das ukrainische Narrativ der beabsichtigten Rückgewinnung der südlichen Gebiete um Khersones. Und eines ist auch deutlich geworden: Weder die Fähigkeit, einen erfolgreichen amphibischen Angriff auf die wichtige Hafenstadt Odessa durchzuführen, noch Putins ursprüngliches geostrategisches Ziel, die gesamte Südküste der Ukraine vom Asowsche Meer über die Krim hinaus bis nach Transnistrien (und damit den Großteil des Schwarzen Meeres) zu kontrollieren, sind weiterhin aufrecht zu erhalten. Zwar steht eine kaum noch vorhandene ukrainische Marine der gesamten Schwarzmeer-Flotte gegenüber, aber diese wirkt eher erschöpft und scheint nur noch zu begrenzten Operationen aus der Landsicherung der Krim heraus befähigt. Das ist ein fatales Bild. Die Ukraine tut jetzt gut daran, das aus der russischen „Schwachstelle“ auf See generierte Momentum auszunutzen für seine Landoperationen. Das funktioniert aber nur, wenn weiterhin über See in Richtung Krim mit allen Möglichkeiten so dosiert gestört wird, dass sich eine russische Unterstützung der eigenen Landkräfte in Grenzen halten muss. Ein übertriebener ukrainischer Einsatz über See könnte allerdings auch zu einem Sichaufbäumen der Schwarzmeer-Flotte führen, die sicher nicht so müde sein muss, wie sie gerade erscheint! Außerdem liegt da immer noch das ukrainische Atomkraftwerk am Dnepr, mit dem Russland ein makaberes Spiel treibt.

Strategische Hoffnung

Jedenfalls ist gut zu erkennen, wie die Ukraine jetzt den strategischen Druck über See für ihre Landoperationen umsetzen kann. Vielleicht trägt auch dazu bei, dass die „solidarische Gemeinschaft der Seefahrernationen“ (The Conversation vom 31.08.2022, siehe Quelle) zunehmend in der Lage ist, mittels Sanktionen eine Kontrolle über globale Lieferketten auszuüben und so strategische Effekte zu erzielen, die auf längere Sicht einen von Landmächten wie Russland geführten Krieg „austrocknen“ können. Sind wir da schon - oder ist das nur "wishful thinking"?

Quellen: Eigene Berichterstattung; The Conversation, Melbourne, 31.08.2022; „Ukraine war: how Kyiv’s southern offensive will exploit Russia’s naval vulnerabilities“

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