Ein Minentaucher findet beim Absuchen der Anlandungszone eine Anti-Invasionsmine. Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

Ein Minentaucher findet beim Absuchen der Anlandungszone eine Anti-Invasionsmine. Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

Verbundene Seeminenabwehr

Wenn auch mit einer gewissen Phasenverschiebung, so verlief die Weiterentwicklung von Unterwassersprengmitteln zur Bekämpfung von Überwasserfahrzeugen und U-Booten kongruent zur Perfektionierung ihrer Abwehrmaßnahmen. Es etablierte sich der Grundsatz, dass der Seemineneinsatz und die Seeminenabwehr sich gegenseitig bedingen.

So entstanden in den nachfolgenden Jahrzehnten verschiedene Mittel der Seeminenabwehr: nachgezogene mechanische Räumgeräte zum Schneiden von Ankertauminen, nachgezogene Elektroden und Geräuscherzeuger, die die Sensorik von Grundminen ansprechen sollten und schließlich Sonarsysteme, die eine Detektion gefährlicher Gegenstände in der Wassersäule und auf dem Meeresboden ermöglichen. Die Bekämpfung erfolgt im Fall der sonargestützten Minenjagd mithilfe von zumeist drahtgelenkten Unterwasserdrohnen oder durch Minentaucher. Eine Besonderheit stellt das System Troika dar, bei dem ferngelenkte Überwasserdrohnen vom Typ Seehund ein akustisches und magnetisches Feld eines wesentlich größeren Schiffes simulieren, auf das die Sensorik von modernen Seeminen anspricht.

Es haben sich somit zahlreiche Techniken zur Seeminenabwehr entwickelt, die je nach Bedrohung und Umweltbedingungen zum Einsatz kommen. Diesen Mix aus sonargestützter Minenjagd, dem schiffsfeldsimulierenden Minenräumen und dem Minentauchen bezeichnet man als verbundene Seeminenabwehr. Sie wird in der Deutschen Marine mit der Bootsklasse 332 abgebildet, die in drei unterschiedlichen Modifikationen (332 C, 332 CL, 332 B) die jeweils spezifische Ausrüstung an Bord hat.

Bedrohung

Seeminen haben das Potenzial, Bedrohungen in Seegebieten aufzubauen, sodass das Risiko, beim Befahren dieser Gebiete einen Schaden zu erleiden, steigt. Damit können Seeminen die maritime Geografie verändern, da Gebiete, die vermint sein könnten, gemieden werden müssen.

Zur Verfügung steht ein breites Spektrum unterschiedlicher Minen. Ankertauminen setzen sich bei Kontakt ihrer Stoßhörner mit der Außenhaut eines Schiffes um. Auf dem Meeresboden verbrachte Grundminen reagieren auf Änderungen des Erdmagnetfeldes, der Akustik und der Druckverhältnisse bei Überfahrt eines Fahrzeugs. Sie setzen sich direkt um oder arbeiten Zählschritte ab, um erst bei einem zuvor definierten Überlauf zu explodieren. Moderne Seeminen sind unter Umständen sogar mobil und graben sich ein, um sich für Sonare unauffindbar zu machen. Dem gleichen Zweck gilt die Verwendung von Werkstoffen, die ihre Stealth-Qualitäten verbessern. Insgesamt gilt, dass Seeminen sowohl auf dem Grund als auch in der Wassersäule mit ihrer hoch spezialisierten Sensorik und in der Kombination ihrer sensorischen Elemente vielfältige Möglichkeiten in der Kriegführung eröffnen.

Eine Drohne vom Typ Seefuchs an Bord des Minenjagdbootes M 1059 Weilheim. Foto: Bundeswehr/Marcel Kröncke

Bootsklassen

Die Deutsche Marine hat eine jahrzehntelange Expertise bei Einsatz und Bekämpfung von Seeminen aufgebaut. Die beiden Disziplinen waren immer untrennbar miteinander verbunden. Nach Ende des Kalten Krieges wurde die etwa 70 Einheiten umfassende Flotte der Minenabwehrfahrzeuge nach und nach so weit abgebaut, dass heute nur noch zehn Boote zur Verfügung stehen:

Fünf Boote der Klasse 332C, die mithilfe eines rumpfmontierten Minenjagdsonars Minen detektieren und klassifizieren. Im Nachgang wird die eventuell erforderliche Bekämpfung mit Drohnen des Typs Seefuchs oder Minentauchern durchgeführt.
Drei Boote der Klasse 332CL, die ebenfalls Minenjagd betreiben und bis zu vier Räumdrohnen vom Typ Seehund im Minenfeld führen können.

Zwei Minentauchereinsatzboote 332B, die von hoher See kommend bis zum Strand die besonderen Fähigkeiten der Minentaucher einsetzen. Dabei werden sie durch autonome Unterwasserfahrzeuge unterstützt.
Alle Boote sind hochgeschützt: Durch Verwendung amagnetischen Schiffbaustahls, amagnetischer Systemkomponenten und entsprechender Antriebsanlagen ist ihre magnetische und akustische Signatur so reduziert, dass sie geschützt im Minenfeld operieren können. Dies ist notwendig, weil einerseits die Grenzen eines Minenfeldes nie mit hundertprozentiger Sicherheit ausgemacht werden können und die Boote zum Relokalisieren und Bekämpfen von Seeminen in das Minenfeld einfahren müssen.
In ihrer Gesamtheit bilden die Boote, verteilt über die Klassen, die verbundene Seeminenabwehr ab. Schwerpunkt ist die Minenjagd: Erst wenn Umweltbedingungen diese nicht zulassen oder einschränken, kommt das Simulationsminenräumen zum Einsatz. So wurde hunt where you can, sweep where you must zum strukturbestimmenden Grundsatz für die Seeminenabwehr in der Deutschen Marine. Seehunde und zukünftig autonome Unterwasserfahrzeuge als Sonarträger erlauben es, die Minenabwehreinheit so weit und so lange wie möglich aus dem Minenfeld herauszuhalten. Sollte ein Aufenthalt darin nicht zu vermeiden sein, erlauben die geschützten Boote Operationen im Minenfeld.

Fähigkeitslücke

Die zwischen den Jahren 1993 und 1998 in Dienst gestellten Einheiten der Klasse 332 werden gegen Ende der Dekade das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen. Obsoleszenzen verschiedener Systemkomponenten führen dazu, dass diese Einheiten nicht ohne erheblichen Aufwand einsatzfähig gehalten werden können. Die Projektleitung im BAAINBw sorgt in der Nutzung dafür, dass die Einsatzreife der Einheiten erhalten werden kann, jedoch wird dies mit zunehmendem Alter der Boote nur mit großem technischem und finanziellem Aufwand möglich sein. Daher wurde planerisch festgelegt, dass ab dem Ende der Dekade Nachfolgeeinheiten in Dienst gestellt werden.

Hinzu kommt eine Änderung der Einsatzformen. Die Boote wurden in den 1980er-Jahren für den Einsatz in Nord- und Ostsee entwickelt und gebaut. Rumpfform und Minenjagsonar wurden dafür optimiert. Spätestens seit Ende der 1990er-Jahre hat sich das Einsatzgebiet auch auf die europäischen Randmeere ausgeweitet. Dort herrschen Umweltbedingungen, die sich erheblich von denen in heimischen Gewässern unterscheiden.
Fähigkeiten, die im Verband durch andere Einheiten wahrgenommen wurden, beispielsweise die Verteidigung gegen Luftfahrzeuge oder die elektronische Aufklärung und entsprechende Gegenmaßnahmen, sind auf der Klasse 332 nie oder nur sehr schwach implementiert worden. In heutigen und zukünftigen Szenarien ist die Fokussierung auf die Seeminenabwehr nicht mehr ausreichend.

Hinzu kommt, dass der technologische Trend bei der Seeminenabwehr in Richtung einer abstandsfähigen Ortung und Bekämpfung von Seeminen geht. Das heißt, dass unbemannte Über- und Unterwasserfahrzeuge autonom im minengefährdeten Gebieten eingesetzt werden. Die Einheiten, die diese autonom operierenden Drohnen führen, verbleiben weit außerhalb des Minenfeldes und befahren es nur anlassbezogen. Der Grundsatz dabei lautet: unmanned where you can – manned where you must.

Zukünftiger Fähigkeitsträger verbundene Seeminenabwehr

Der Erhalt der Fähigkeit zur Seeminenabwehr ist unabdingbar, da sie erst die Entfaltung anderer Fähigkeiten in der Dimension See möglich macht. Ein zukünftiger Fähigkeitsträger Seeminenabwehr muss also die verbundene Seeminenabwehr sicherstellen, wobei die sonargestützte Minenjagd Schwerpunktaufgabe bleibt, hochgeschützt und standkräftig sein, sich selbstständig gegen Bedrohungen aus der Luft und über Wasser stellen können, am Lagebild, und zwar nicht nur dem Unterwasserlagebild bezogen auf Seeminen, teilhaben und dazu beitragen sowie abstandsfähig wirken können.

Das auf Initiative Deutschlands 2013 eingerichtete Projekt Maritime Mine Countermeasures New Generation (MMCM NG) der European Defence Agency (EDA) mit den teilnehmenden Nationen Belgien, Estland, Schweden, Norwegen und den Niederlanden hatte die Forderungsanalyse und -abstimmung und die Planung des Erhalts der Fähigkeit zur Seeminenabwehr im multinationalen Rahmen zum Ziel.

2014 arbeitete das Marinekommando auch auf Grundlage der bis dahin im Projekt der EDA erzielten Ergebnisse die Initiative Spezialisierter Fähigkeitsträger Seeminenabwehr aus. In ihr finden sich die oben beschriebenen Fähigkeiten für die zukünftigen Minenabwehreinheiten. Zugleich wurde eine Nutzung von flexiblen Modulen der Seeminenabwehr, die auch von anderen Fähigkeitsträgern aus eingesetzt werden können, sowie eine Intensivnutzbarkeit mit einer Reserve für zukünftige Technologien beschrieben.
Die Arbeit der EDA im Projekt MMCM NG gab dem Erhalt der Fähigkeit zur Seeminenabwehr neue Impulse. Bereits die Vorläufige Planungsweisung 2020 forderte zwingend den Fähigkeitserhalt zur Abwehr von Seeminen und Kampfmitteln im maritimen Umfeld. Die Ergänzende Planungsweisung 2017 untermauerte den Fähigkeitserhalt sowie -aufwuchs durch die Forderung nach unbemannter und ferngesteuerter Ortung von Kampfmitteln und Minen. Erneute Bekräftigung erlangt die Forderung in der mittelfristigen Finanzplanung 2022.

Die Operationszentrale des Minenjagdboots Grömitz. Foto: Bundeswehr/ Björn Wilke

Die Operationszentrale des Minenjagdboots Grömitz. Foto: Bundeswehr/ Björn Wilke

Ergebnisse der ersten Analysephase

Im August 2017 wurde durch das Verteidigungsministerium die Erstellung des Dokuments Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung (FFF) beauftragt. Es wurde äußerst engagiert binnen Jahresfrist erstellt. Neben dem rein beschreibenden und Hintergründe erörternden Dokument an sich ist der priorisierte Forderungskatalog (PFK) für die weitere Projektarbeit von entscheidender Bedeutung. Hier wurden die Forderungen in die Fähigkeitsdomänen Führung, Aufklärung, Wirkung und Unterstützung aufgeteilt. Hinzu kamen Betrachtungen zu querschnittlichen Forderungen und Anforderungen an die Missionskomponenten.

Das zukünftige Minenabwehrfahrzeug muss im vollen Umfang an den Lagebildern der taktischen Ebene in den Dimensionen See und Luft, bei küstennahen Operationen auch Land, aktiv und passiv teilhaben. Es soll einen Beitrag zum Lagebild für eigene und verbündete Kräfte zur Verfügung stellen und an diesem teilhaben. Darüber hinaus soll der Stab eines Kommandeurs aufgenommen werden können und dessen Führungsfähigkeit sicherstellen.
Im Einsatzgebiet muss der Fähigkeitsträger mit eigenen Sensoren das Lagebild über und unter Wasser aufklären. Die hohe Qualität der Aufklärung ist ausschlaggebend für die grundsätzlich abgesetzt operierenden Einheiten. Mittel des elektronischen Kampfes und der elektronischen Schutzmaßnahmen flankieren die Fähigkeitsdimension.

Im Bereich Wirkung muss der Fähigkeitsträger neben der Minenabwehr auch in der Lage sein, asymmetrische Bedrohungen aus der Luft und über Wasser abwehren zu können. Er ist zur Minenjagd grundbefähigt, technisch für die Aufnahme von Minentauchern ausgelegt und kann unbemannte Über- und Unterwassersysteme einsetzen.

Um die Flexibilität der verbundenen Seeminenabwehr zu steigern und zukunftsfähig auf technologische Weiterentwicklungen reagieren zu können, wird der grundbefähigte Fähigkeitsträger durch Missionskomponenten ergänzt. Diese umfassen die erweiterte Minenjagd mit abgesetzten, unbemannten Über- und Unterwassersystemen, Treibminenbekämpfung sowie die Bekämpfung von getarnten, versandeten und eingespülten Minen, das Minenräumen durch unbemannte Fahrzeuge, die erweiterten Fähigkeiten zum Minentauchen sowie die Befähigung zum Mineneinsatz.

Abgesehen vom Mineneinsatz und Minenräumen können diese Komponenten als Module auch anderen Fähigkeitsträgern und für den landbasierten Einsatz zur Verfügung gestellt werden.
Im Bereich der querschnittlichen Fähigkeiten wird gefordert, dass eine geringe Signatur gewährleistet wird, ein gegebenes Geschwindigkeitsprofil in Verbands- und Einzelfahrt eingehalten wird und die Aufwuchsfähigkeit über die Lebenszeit gegeben ist.

Zweite Analysephase

Der zweite Teil der Analysephase hat mit Billigung der FFF im Januar 2021 begonnen und wird vom Projektreferat für Minenabwehrfahrzeuge im BAAINBw durchgeführt. Zunächst gilt es, die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen der ersten Analysephase sowohl im nationalen als auch im EDA-Rahmen den Forderungen des PFK gegenüberzustellen, um weiteren Untersuchungsbedarf zu identifizieren, sofern dieser nötig ist. Die zu erstellenden Lösungsvorschläge bilden dann die technische Bewertung der funktionalen und operativen Forderungen ab, die wiederum durch den Generalinspekteur der Bundeswehr im Rahmen der sogenannten Auswahlentscheidung zu billigen ist. Erst mit ihr ist auch eine konkrete Verankerung des Finanzbedarfs im Einzelplan 14 möglich. Der Wettbewerb für den Neubau der Minenabwehreinheiten wird dann in den Jahren 2024 bis 2025 stattfinden. Sofern es gelingt, im Jahr 2025 einen Bauvertrag abzuschließen, ist mit dem Zulauf der ersten neuen Einheit zum Ende dieser Dekade zu rechnen.

Autor: Fregattenkapitän Thomas Klinke ist Leiter Gesamtintegration Unbemannte Unterwasserfahrzeuge im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr.

1 Kommentar

  1. PEGASSSO.

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