Radkorvetten Bremen und Hamburg, Abbildung: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

Radkorvetten Bremen und Hamburg, Abbildung: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

Von Enden und Anfängen

Die Deutsche Marine feiert ihren 175. Geburtstag. Doch der Weg zu Frieden und Freiheit war weit und durchzogen von Umbrüchen.

Am 14. Juni feiert die Deutsche Marine ihren 175. Geburtstag. Nanu? – mag sich mancher fragen. Historisch begründet durch das Ende des Zweiten Weltkriegs und den anschließenden Neubeginn hat doch die Bundeswehr – und damit auch die Marine – vor wenigen Jahren erst ihren 65. Geburtstag gefeiert. Wo kommen dann 170 Jahre her? Die Beantwortung ist ziemlich komplex ist und erfordert eine Lektüre der deutschen Geschichtsbücher über die vergangenen zwei Jahrhunderte.

Anfang des 19. Jahrhunderts war die politische Lage in Europa durch die noch nicht lange zurückliegende Französische Revolution und die sich anschließende Ära Napoleon geprägt. Nach der Abdankung Napoleons im April 1814 tagte von September 1814 bis Juni 1815 der Wiener Kongress mit dem Ziel, Europa nach den Befreiungskriegen neu zu ordnen. Ausgehend von einem freiheitlich-liberalen Grundgedanken und der Hoffnung auf einen gesamtdeutschen Nationalstaat war das Ergebnis für die über 40 deutschen Königreiche, Fürstentümer und freien Städte die Bildung des Deutschen Bundes, einer losen Konföderation der deutschen Nationalstaaten. Mitglieder waren darüber hinaus die Könige Großbritanniens, der Niederlande und Dänemarks, da diese jeweils auch Herrschaftsgebiete auf deutschem Territorium hatten. Der Deutsche Bund wurde von Beginn an durch die Rivalität zwischen dem Kaisertum Österreich und dem Königreich Preußen um die Führungsrolle belastet, hatte aber dennoch bis zum Deutschen Krieg im Jahre 1866 Bestand.

Mit der zunehmenden Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr auch der Handel über See einen spürbaren Aufschwung. Insbesondere die norddeutschen Staaten betrieben eine größere Handelsflotte. Seestreitkräfte zum Schutz der Handelsschiffe existierten jedoch im Bereich des Deutschen Bundes faktisch nur bei den ausländischen Mitgliedsstaaten Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden. Von den deutschen Staaten verfügten lediglich Österreich und Preußen über eine Flotte, beide jedoch ohne wirkliche Bedeutung. So wurden immer wieder Rufe nach der Einrichtung einer eigenen deutschen Flotte laut, die aber alle ungehört verhallten. Es sollte Jahre dauern, bis sich das änderte.

Geburtsstunde deutscher Marinegeschichte
Die Februarrevolution des Jahres 1848 in Frankreich löste in ganz Europa politische Unruhen aus. Etliche bisher untergründig schwelende Konflikte brachen offen aus; so auch ein Streit zwischen dem Königreich Dänemark und den beiden Herzogtümern Schleswig und Holstein. Holstein war Teil des Deutschen Bundes, das deutsch und dänisch besiedelte Schleswig nicht. Im Kern des Streits stand die Frage, ob Schleswig-Holstein – gemäß einer früheren Vereinbarung von 1460 sollten beide Herzogtümer „auf ewig ungeteilt“ bleiben – zum Deutschen Bund und einem späteren deutschen Nationalstaat oder zum Königreich Dänemark gehörte. Der als „Schleswig-Holsteinische Erhebung“ bekannte Streit eskalierte und führte im März 1848 zum Ersten Deutsch-Dänischen Krieg. Umgehend nahm die dänische Flotte eine Blockade der deutschen Küsten auf, kaperte mehrere Dutzend deutscher Handelsschiffe und brachte den deutschen Handel über See praktisch zum Erliegen. Das Fehlen jeglicher Seestreitkräfte zum Schutz der wehrlosen Handelsschiffe auf deutscher Seite machte sich schmerzlich bemerkbar und Rufe nach einer eigenen Marine wurden einmal mehr laut. Vor diesem Hintergrund beschloss die Deutsche Nationalversammlung am 14. Juni 1848 in der Frankfurter Paulskirche die Aufstellung einer eigenen Marine. Für den Bau der Schiffe wurden sechs Millionen Reichstaler bereitgestellt. Am Ende bestand die Flotte, als Reichsflotte oder Bundesflotte bezeichnet, aus 27 Ruderkanonenbooten sowie zwölf größeren Kriegsschiffen, von denen mehrere bereits Dampfschiffe waren. Alle führten die schwarz-rot-goldene Flagge – die erste deutsche Marine war geboren. Parallel baute das Königreich Preußen seine bereits bestehende kleine Marine weiter aus, behielt diese wegen interner Spannungen innerhalb des Deutschen Bundes aber unter eigener Kontrolle und Verfügungsgewalt.

Ganz nebenbei sei erwähnt, dass angesichts des Konflikts mit Dänemark auch die Schleswig-Holsteiner eine eigene kleine Flotte ins Leben riefen, unabhängig von der gesamtdeutschen Bundesflotte. Diese erzielte gegen die überlegene dänische Flotte einige Achtungserfolge, ist daneben aber insbesondere wegen zweier technischer Innovationen von Bedeutung. Das dampfgetriebene Kanonenboot Von der Tann verfügte nicht nur über eine neuartige und sehr leistungsstarke Antriebsanlage, sondern war auch eines der ersten nicht mehr per Schaufelrad, sondern durch eine Schraube angetriebenen Seefahrzeuge, was seinerzeit eine technische Revolution darstellte und sich in der Folge überall durchsetzte. Daneben entstand in der gleichen Zeit der Brandtaucher, das erste funktionsfähige U-Boot überhaupt. Zwar sank dies bereits beim ersten Tauchversuch in der Kieler Förde, dies lag aber nicht an der Konstruktion, sondern lediglich an mangelnder Bauausführung. Erfinder Wilhelm Bauer konnte sich samt seinem Team aus dem gesunkenen Boot retten und seine Idee weiter ausbauen und perfektionieren. Dieser erste Versuch, ein U-Boot zu bauen, stellt den Ursprung aller weiteren Entwicklungen bis in die heutige Zeit dar. Das Original des Brandtauchers, 36 Jahre nach dem Verlust vom Grund der Kieler Förde geborgen und restauriert, ist heute im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden ausgestellt.

Ende der Reichsflotte
Die Reichsflotte konnte im Konflikt mit Dänemark einige kleinere Erfolge erringen, erlangte aber nie eine wirklich durchgreifende Bedeutung. Einzige Begegnung mit der dänischen Flotte war das Gefecht von Helgoland am 4. Juni 1849, das letztlich aber ergebnislos abgebrochen wurde. Nach dem Ende des Kriegs mit Dänemark und dem Scheitern eines ersten Versuchs zur Ausrufung eines gesamtdeutschen Nationalstaats wurde durch den Bundestag beschlossen, die Flotte wieder aufzulösen. Am 31. März 1853 erging der Auflösungsbefehl – nachdem die Schiffe bereits teilweise an Preußen abgegeben oder versteigert und die Besatzungen entlassen worden waren – und die erste deutsche Marine war nach nur rund fünf Jahren schon wieder Geschichte.

Bestehen blieb die preußische Marine. Sie wurde zur Wahrung preußischer Interessen weiter ausgebaut, überstand die weiteren politischen Entwicklungen und bildete nach dem Krieg gegen Frankreich 1871 und der anschließenden Gründung des Deutschen Kaiserreichs den Nukleus für die Aufstellung der Kaiserlichen Marine. Angesichts eines neu entstandenen See-, Kolonial- und Weltmachtstrebens wurde diese in einem regelrechten Wettrüsten mit Großbritannien zu einer starken Hochseeflotte ausgebaut. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und auch der Monarchie wurde Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik weiterhin eine Marine zugestanden, die stärkemäßig aber erheblich beschränkte Reichsmarine. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde diese zur Kriegsmarine und erfuhr erneut eine starke Aufrüstung. Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete gleichzeitig auch deren Ende. Danach existierte in Deutschland für etwa zehn Jahre überhaupt keine Marine, wenn man von mehreren Tausend ehemaligen deutschen Marinesoldaten, die für einige Jahre unter alliiertem Kommando in Nord- und Ostsee eine große Anzahl Seeminen geräumt haben, einmal absieht.

Schwarz-Rot-Gold
Die nur kurz gestreifte Zeit von der Auflösung der Reichsflotte 1853 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 bündelt im Grunde vier Epochen von verschiedenen Marinen deutscher Nationen – die alle ausdrücklich nicht in das Geschichts- und Traditionsverständnis der heutigen Marine gehören. Sie alle führten verschiedene Flaggen – keine jedoch eine solche in den Farben Schwarz-Rot-Gold. Der Geschichtstreue halber muss an dieser Stelle aber vermerkt werden, dass diese Farben auch jene der Weimarer Republik waren und auch in der Gösch, einem kleinen „Fenster“ in der linken oberen Ecke der Flagge der Reichsmarine zu sehen waren. Dieser Umstand war jedoch nur von kurzer Dauer und durch die politischen Strömungen jener Zeit und die beiden großen Weltkriege eher bedeutungslos. Erst mit der eingangs erwähnten Aufstellung von Bundeswehr und Bundesmarine – und der Vollständigkeit halber auch der Nationalen Volksarmee und der Volksmarine der DDR – ab der Mitte der 1950er-Jahre erfuhr die schwarz-rot-goldene Flagge eine Renaissance.

Schleswig-HolsteinischeErhebung 1848, Abbildung: Archiv Deutscher Marinebund

Schleswig-Holsteinische
Erhebung 1848, Abbildung: Archiv Deutscher Marinebund

Die Flagge in den Farben Schwarz-Rot-Gold geht auf die bereits erwähnten Befreiungskriege der napoleonischen Ära Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Einer der Verbände der preußischen Armee war das Lützow´sche Freikorps, das nicht aus regulären Soldaten, sondern aus oberflächlich ausgebildeten Freiwilligen, im Grunde aus Zivilisten bestand, die, von einer freiheitlich-liberalen Überzeugung und von der Begeisterung für einen gesamtdeutschen Nationalstaat getrieben, an den Kämpfen teilnahmen. Für ihre Uniformen stand ausschließlich schwarzes Tuch zur Verfügung. Die daraus genähten Gehröcke wurden mit roten Aufschlägen und goldfarbenen Knöpfen versehen – und fertig war eine Uniform in Schwarz-Rot-Gold. Die Farben gelten seither als Symbol für einen freiheitlich-liberalen Grundgedanken und eine deutsche Republik. Sie fanden sich später auch in der Flagge wieder, die 1848 durch den Bundestag offiziell zur Flagge des Deutschen Bundes – und somit auch der Bundesflotte – erklärt wurde.

An dieser Stelle schließt sich im Grunde der Kreis. Der ausgeprägte Volkeswille nach einem gesamtdeutschen Nationalstaat war 1848 zwar am Widerstand und an der Macht der Obrigkeit gescheitert, aber die quasi gleichzeitig ins Leben gerufene Reichsflotte war eine vom Parlament kontrollierte gesamtdeutsche Marine mit dem Attribut der Bündnisfähigkeit. Der Reichsflotte war nur eine kurze Lebensdauer beschieden, aber sie weist etliche Parallelen zur heutigen Zeit auf. Sichtbares und verbindendes Element ist die schwarz-rot-goldene Flagge. Insofern sieht sich die heutige Marine der Bundesrepublik Deutschland in deren Tradition und erhielt aus diesem Grund 1995, also einige Zeit nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, erneut den Namen Deutsche Marine. Wenige Jahre später, am 14. Juni 1998, jährte sich der einstige Parlamentsbeschluss aus der Frankfurter Paulskirche zum 150. Mal und wurde offiziell als 150. Geburtstag der Marine begangen. Seitdem wird dieser Tag alljährlich als Marinegeburtstag gefeiert – in diesem Jahr eben zum 175. Mal.

Warum Deutsche Marine?
Auch wenn bereits erläutert, sei abschließend ein weiterer kurzer Blick auf die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Namen unserer heutigen Marine gerichtet. Bereits mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigte sich der Konflikt, der die Siegermächte in zwei Lager trennte, was sich innerhalb weniger Jahre als Teilung in die beiden großen Blöcke Ost und West und auch als Teilung Deutschlands manifestierte. Die NATO und der Warschauer Pakt wurden gegründet, beide Teile Deutschlands in die jeweiligen Blöcke integriert und wieder mit eigenen Streitkräften versehen. Auf westlicher Seite entstand ab Mitte der Fünfzigerjahre die Bundeswehr, auf östlicher Seite parallel die Nationale Volksarmee, in der Regel kurz NVA genannt. Beide erhielten auch eine maritime Komponente, die Seepolizei, ab 1960 im Osten die Volksmarine der NVA und im Westen die Seestreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland; letztere im allgemeinen Sprachgebrauch unter der Bezeichnung Bundesmarine über mehrere Dekaden hinlänglich bekannt.

Die Schiffe der Reichsflottewerden versteigert, Abbildung: Archiv Deutscher Marinebund

Die Schiffe der Reichsflotte
werden versteigert, Abbildung: Archiv Deutscher Marinebund

Mit dem Ende des Kalten Kriegs wurde das bis dahin geteilte Deutschland wieder vereinigt und zur Bundesrepublik Deutschland. Die DDR hörte auf zu existieren und mit ihr auch die Nationale Volksarmee. Teile des Personalkörpers der Volksmarine der NVA wurden in die Bundesmarine integriert; ansonsten war auch diese Geschichte und es gab im wiedervereinigten Deutschland nur noch eine Marine. Damit war der Weg frei, sich der oben beschriebenen Entwicklung in der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder zu erinnern. So wurde aus der Marine der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1995 offiziell die Deutsche Marine. Diese Umbenennung ist leider vergleichsweise wenig bekannt und so erklärt sich, dass auch heute, mehr als 25 Jahre später, die Bezeichnung Bundesmarine selbst in vielen Publikationen immer noch wie selbstverständlich genutzt wird, auch wenn es seit einem guten Vierteljahrhundert Deutsche Marine heißt.

Fregattenkapitän a.D. Achim Winkler ist ehemaliger Pressestabsoffizier der Deutschen Marine.

Achim Winkler

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