Brasilianischer Flugzeugträger und Flaggschiff "Sao Paolo" zur Flottenparade. Foto: Marinha do Brasil

Brasilianischer Flugzeugträger und Flaggschiff "Sao Paolo" zur Flottenparade. Foto: Marinha do Brasil

Brasilien: Die nächste Umweltkatastrophe mit Ansage

Update vom 5. Februar 2023

Und es kam, wie man es sich an fünf Fingern hätte abzählen können: Die brasilianische Marine hat am 4. Februar 2023 etwa 190 Seemeilen (350 Kilometer) vor der Küste - gerade noch innerhalb der brasilianischen Wirtschaftszone - auf 5.000 Metern Wassertiefe frei von Unterwasserkabeln und Schutzzonen den seit Monaten im Atlantik vagabundierenden und mit Schadstoffen verseuchten Schrott-Träger "Sao Paolo" kontrolliert versenkt. Es sei "alternativlos" gewesen - wegen des hohen Risikos eines jederzeit möglichen, unkontrollierten Versinkens des maroden, undichten ex-Flaggschiffs.

Umwelt - zum Scheitern verurteilt

Erstaunlich nur, dass es selbst nach dem Regierungswechsel in Brasilien nicht genug politischen Raum gegeben hatte für eine umweltverträglichere Lösung des "Abwrackens". Denn einen Tag vor dem gezielten Torpedobeschuss hatte die Generalstaatsanwaltschaft noch von der Regierung gefordert, die Versenkung aus Umweltschutzgründen (u.a. etwa 10 Tonnen verbaute Asbestisolierung) zu untersagen und den Träger entsprechend der Forderung des Umweltministeriums, wenn er schon nicht mehr als Schleppzug in See über Wasser zu halten ist, wenigstens so zu reparieren, dass er gesetzeskonform "entgiftet" werden könne.

Brasilianischer Flugzeugträger "Sao Paolo". Foto: Marinha do Brasil

Vorgeschichte (siehe unten)

Die brasilianische Marine hatte 2001 den 1963 als "Foch" gebauten Träger für 12 Millionen Dollar von Frankreich erworben, jedoch als Flaggschiff unter grün-gelber Flagge nur geringe Zeiten in See nutzen können. Für zwei Millionen Dollar wurde er im Sommer 2022 an ein türkisches Abwrackunternehmen versteigert und verzugslos auf den Weg dorthin gebracht, ohne dass erforderliche Angaben zu Umfang und Menge der Gefahrenstoffe an Bord vorlagen - woraufhin die Türkei die Annahme verweigerte und Spanien wie Marokko seine Einfahrt in das Mittelmeer untersagten. Der Schleppzug kehrte um, wurde von Spanien noch die Kanarischen Inseln passierend beobachtet - und dann nicht mehr offiziell gesehen.

Frankreichs Teil

Aber auch Frankreich muss sich unschöne Fragen gefallen lassen, hat es doch eine gute Möglichkeit vertan, Brasilien verantwortungsvoll die Hand zu reichen und bei der Entsorgung der (ursprünglich französischen) Schadstoffe entgegenzukommen.

Überall Müll

Ohnehin hat Brasilien ein immenses Problem mit Schiffswracks in seinen Küstengewässern: Allein in der Bucht von Guanabara, landeinwärts von Rio de Janeiro, liegen hunderte von aufgegebenen Schiffen - groß und klein - mehr oder minder mit Öl und Schmierstoffen beladen - mehr unter als über Wasser - an den Rändern der Mangrovenwälder versteckt oder einfach verlassen und vor Anker in der Bucht. Luftaufnahmen zeigen rostende Schiffsumrisse und schillernden Ölfilm allen Ortens. Seit im Jahre 2000 eine geborstene Pipeline weit über eine Million Liter Öl in die Gewässer abgab, haben sich die Wälder trotz Wiederaufforstungsmaßnahmen nicht erholen können und ziehen sich verschnupft zurück. Das einst blühende Leben auf und unter Wasser siecht nur noch vor sich hin. Wenig hilfreich ist natürlich auch die weiterhin ungeklärte Einleitung von 70% der Abwässer der 12-Millionen-Metropole in die Bucht. Und auch der Welt größte Mülldeponie "Jardim Gramacho" am Westende der Bucht auf einer Insel gelegen wurde erst 2012 geschlossen - womit leider auch gleich 1700 Arbeitsplätze für die "garbage pickers" verloren gingen.

Fazit

Aber wohin mit all dem Müll - an Land und auf See? Versenken, sagte die Regierung - dann sieht man es wenigstens nicht mehr - und bald wird man es auch schon vergessen haben!

Ursprünglicher Beitrag vom 26. August 2022

Brasilianischer Flugzeugträger "Sao Paolo" (ex-"Foch") bei der Abreise zum Abwracken in der Türkei. Foto: Instituto Sao Paolo

Brasilianischer Flugzeugträger "Sao Paolo" (ex-"Foch") bei der Abreise zum Abwracken in der Türkei. Foto: Instituto Sao Paolo

Der Flugzeugträger wurde 1963 noch unter dem Namen „Foch“ bei der Marine Nationale in Dienst gestellt, dann Ende 2000 nach 37 Dienstjahren an Brasilien weitergegeben, konnte aber dort als Flaggschiff „Sao Paolo“ nie richtig einsatzreif wiederhergestellt werden, ging daher 2017 aus dem Dienst und wurde schließlich an eine türkische Werft in Aliaga (nördlich Izmir) zum Abwracken versteigert.

Geballte Ladung Gift

Man kann davon ausgehen, dass sich in und am Schiff reichlich Gefahrenmaterial befindet, wie Asbest, PCB und Giftfarben, die nach internationalem Recht den Rumpf als Sondermüll qualifizieren und er somit besonderen Handelsbeschränkungen unterliegt. Zusätzlich war das Schiff 1966 im Pazifik atmosphärischen Atombombentests ausgesetzt gewesen. Allein dafür waren wohl an die 170 Tonnen Blei- und Cadmium-Farbe als Strahlungsschutz aufgebracht worden. Außerdem hatten sich noch zu französischen Zeiten wohl auch atomare Substanzen an Bord befunden, über die äußerst wenige Informationen erhältlich sind.

Internationale Regeln

Aber es gibt eine IHM-Liste, ein Inventory of Hazardous Materials, die vor dem Export des brasilianischen Trägers erstellt werden musste. Diesem Papier der brasilianischen Marine vertraut die türkische Seite nun aber gar nicht, denn sie konnte es nicht einsehen, konnte auch nicht mehr als gut 10% des Trägers besichtigen, und verlangt nun weitere Probenentnahmen und Prüfungen, um den genauen Schadstoffgehalt bestimmen zu können. Außerdem schlagen Umweltschützer in beiden Ländern Alarm, weil gemäß der Konvention von Basel und Barcelona unter diesen Umständen ein Export überhaupt nicht stattfinden darf. Entsprechend hat das Oberste Gericht der Türkei mit einer einstweiligen Verfügung den Import der "Sao Paolo" in die Türkei untersagt und eine Prüfung noch innerhalb brasilianischer Territorialgewässern verlangt.

Beispiel Clemenceau

Frankreich als ursprünglicher Besitzer der „Foch“ hatte gemäß dem Kaufvertrag von 2000 das letzte Wort bei einem eventuellen Weiterverkauf – auch als Wrack. Paris erklärte Brasilien, dass lediglich EU-Werften auf der Liste der genehmigten Abwrackunternehmen (approved ship recycling facilities) zum Bieterkreis zugelassen seien, so wie es das Izmir-Protokoll von 1996 zur Barcelona-Konvention vorsieht (Protocol on the Prevention of Pollution of the Mediterranean Sea by Transboundary Movements of Hazardous Wastes and their Disposal), wonach kein Gefahrenabfall das Mittelmeer passieren darf - außer zwecks Entsorgung in einem EU-Land. Diverse Umweltverbände fordern nun ein Eingreifen Frankreichs wie im Falle des Schwesterschiffes „Clemenceau“, das in 2006 nach Indien exportiert und wegen Illegalität des Vorgehens vom Präsidenten Jacques Chirac wieder nach Frankreich zurückgeholt wurde.

Dreistes Vorgehen Brasiliens

Brasilien hat den Schleppzug mit dem Träger aber schon Anfang August auf die Reise in das Mittelmeer geschickt. Dabei hat er die geplante Route entlang der brasilianischen Küste unverzüglich verlassen und ist schnurstracks ostwärts in internationale Gewässer gefahren. Brasilien meint nun, der türkischen Verfügung nicht mehr nachkommen zu müssen. Mittlerweile steht der Schleppzug vor der mauretanischen Küste, wenige Seetage entfernt von Gibraltar, allerdings ohne dass weder Marokko, Spanien oder Großbritannien benachrichtigt wurden oder ihre Einwilligung zur Passage der Gewässer gegeben hätten, wie es der Baseler Konvention zufolge erforderlich gewesen wäre. Brasilien schlägt daher schamlos vor, die erneuten Prüfungen „nach Ankunft“ in der Türkei durchführen zu lassen – im übrigen auch zu Lasten des Importeurs. Die Türkei weigert sich zurecht, denn mit diesem Vorgehen würde vorsätzlich internationales Recht gebrochen – sie fordert den Rücktransport nach Brasilien und eine Sperrung des Mittelmeeres für diesen Schleppzug.

Ende gut – alles Mist

Einige Nationen werden nun wohl gegen den Schleppzug vorgehen und das Drama wird unter den Blicken der Welt seinen Lauf nehmen. Sollte Brasilien nicht einlenken und keine andere Nation einknicken, dann wird der Schleppzug bei Gibraltar beleidigt umkehren und die Heimreise antreten. Wetten, dass er dort nie ankommen wird? Die Wetterbedingungen in einer atlantischen Schlechtwetterfront werden die Trosse reißen lassen - und der Schadstoffriese wird auf Tiefe gehen. Brasilien stellt sich als Opfer dar und wird sich frei aller Schuld sehen. Den brasilianischen Präsidenten wird das wenig kümmern. Wetten dass?

5 Kommentare

  1. Nu ist das Schiff tatsächlich versenkt worden – einige hundert Kilometer vor der brasilianischen Küste in einigen Tausend Metern Tiefe

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  2. Wie verkommen ist unsere Welt mittlerweile? Mir unbegreiflch, warum Frankreich seinen Schrott nicht selber entsorgen muss. Wenn ich mein schrottreifes Auto einfach auf meinem Grundstück vergammeln lasse, ist das Ordnungsamt sofort da.

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  3. Die einzigen, die sich für das Schiff noch interessieren, dürften Inder oder die Chinesen sein – letztere zum Studium wie bei der HMAS Melbourne. Wenn jetzt der Kahn auf See noch mehrfach den Eigentümer und Zielhafen wechselt, würde mich eine solche Offerte nicht wundern.
    Und abgesehen davon – der Weg um das Kap herum durch den in Indischen Ozean ist noch viel länger als zurück nach Brasilien. Da ist die Chance auf eine richtig starke Schlechtwetterfront dann noch etwas größer.

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  4. Das ist wirklich krass! Bin gespannt wie es weiter geht. Hoffe, ihr werdet berichten …

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