Weitgehend unbemerkt von der europäischen Medienöffentlichkeit hat die chinesische Marine in den letzten Jahren ein geradezu atemberaubendes Wachstum erfahren, das die Kräfteverhältnisse im indopazifischen Raum auf den Kopf stellt und die amerikanische Vormachtstellung auf den Weltmeeren ernsthaft gefährden könnte.
Rein numerisch war die chinesische Marine (People’s Liberation Army – Navy, kurz „PLAN“) schon im Kalten Krieg eine ansehnliche Flotte aus zahllosen (Flugkörper-)Schnellbooten, kleinen Landungsbooten und dieselelektrischen U-Booten für den küstennahen Einsatz. In den letzten Jahren hat sich die Zusammensetzung der PLAN jedoch spürbar verändert, hat die Brown Water Navy von einst einen massiven Zulauf an großen Einheiten zu verzeichnen. Mittlerweile verfügt die PLAN über 370 „battle force ships“ (im amerikanischen Verständnis große Überwasserkampfschiffe, große amphibische Einheiten und U-Boote), was sie vor der U.S. Navy (296 vergleichbare Einheiten) zur weltweit größten Marine macht. Perspektivisch dürfte China seiner Flotte bis 2030 weitere 65 „battle force ships“ zuführen, was den Abstand zur U.S. Navy noch vergrößern würde.
Auch in Fragen der Qualität werden der PLAN vom Office of Naval Intelligence der U.S. Navy teilweise westliche Standards bescheinigt – nicht zuletzt weist die PLAN dank ihres sprunghaften Wachstums nur einen geringen Anteil älterer Schiffe auf. Wohin also steuert die PLAN mit ihren 350000 Angehörigen und auf welche Herausforderungen muss sich der Westen einstellen?
Schiffbau am Fließband
Das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch der Sowjetunion hatten weitreichende Auswirkungen auf das Machtgefüge in Ostasien, wo sich die traditionelle Landmacht China fortan in der Lage sah, vermehrt in ihre Seestreitkräfte zu investieren. War die PLAN bis dahin auf die Verteidigung küstennaher Gewässer beschränkt, wurde ihr nun eine zentrale Rolle beim Aufbau einer Militärmacht von Weltrang zugewiesen, die Chinas politisches Gewicht in der Welt nachhaltig stärken soll.
Sichtbarstes Zeichen für Chinas neuen maritimen Anspruch ist der Aufbau einer eigenen Flotte von Flugzeugträgern. Den Anfang machte die 1998 von der Ukraine in fast schrottreifem Zustand erworbene ehemalige Varyag, die von der PLAN nach einer langwierigen Grundüberholung 2012 als Liaoning (ca. 61000 Tonnen, bis zu 40 Luftfahrzeuge) in Dienst gestellt wurde. Die mit der Liaoning gesammelten Erfahrungen wurden beim Bau eines ähnlichen Trägers berücksichtigt, der 2019 als Shandong (ca. 70000 Tonnen) von der Flotte übernommen wurde. Mit der weitaus größeren Fujian (ca. 90000 Tonnen) beschritt man 2024 schließlich schiffbautechnisches Neuland (u.a. Startkatapulte statt „Ski Jump“-Rampe), sie stellt den ersten rein chinesischen Trägerentwurf dar und wird wohl über weit mehr Luftfahrzeuge als ihre beiden Vorgänger verfügen. Ihr konventioneller Antrieb schränkt sie als Instrument globaler Machtprojektion zwar ein, dennoch hebt sie Chinas maritime Fähigkeiten auf ein neues Niveau. Ein vierter Träger – wohl mit Nuklearantrieb – befindet sich derzeit im Bau, er könnte mit geschätzten 110000 Tonnen zum größten Flugzeugträger der Welt avancieren. Auch nach dem absehbaren Ausscheiden der Liaoning in den 2030er Jahren dürfte die Trägerflotte weiter wachsen. Langfristig ist mit mindestens vier Trägern von der Größe der Fujian und darüber hinaus zu rechnen, die Fujian könnte dabei der letzte konventionell angetriebene Träger sein.
Ergänzt wird das Wachstum der Trägerflotte von einem rasanten Aufbau gleich mehrerer Klassen von Zerstörern, mittlerweile verfügt die PLAN in diesem Segment über mehr als 50 Schiffe. Die größten Zerstörer der Renhai-Klasse (Typ 055) können dabei wegen ihrer rund 13000 Tonnen Wasserverdrängung durchaus als „Kreuzer“ bezeichnet werden und verfügen über 112 VLS-Zellen, die neben weitreichenden Luftabwehrraketen HHQ-9 (Reichweite bis zu 250 km) und Cruise Missiles vom Typ CJ-10 (Reichweite 1500-2000 km) auch Lenkflugkörper zur Bekämpfung von Schiffen und U-Booten verschießen können. Acht Schiffe der Renhai-Klasse stehen bereits im aktiven Dienst, acht weitere sollen folgen.

Auch bei Fregatten und Korvetten konnte die PLAN in den letzten Jahren zahlreiche neue Einheiten in Dienst stellen und ihre Flotte damit nicht nur ausbauen, sondern auch verjüngen. Als Beispiel seien die bislang 35 Fregatten der Jiangkai II-Klasse genannt (Typ 054A, ca. 4000 Tonnen), von denen in einzelnen Jahren bis zu vier Einheiten fertiggestellt wurden. Oder die Korvetten der Jiangdao-Klasse (Typ 056/056A, ca. 1500 Tonnen), von denen zwischen 2013 und 2021 insgesamt 72 Einheiten in Dienst gestellt wurden (22 davon dienen mittlerweile in der China Coast Guard, kurz CCG).

Beim U-Boot-Bau lässt sich in den letzten Jahren eine gewisse Akzentverschiebung erkennen. Während die Zahl der dieselelektrischen U-Boote seit 2000 bei etwa 55 stagniert, hat es bei nukleargetriebenen Jagd-U-Booten einen Zuwachs von fünf auf neun, bei ballistischen U-Booten von zwei auf sieben Einheiten gegeben; weiterer Zuwachs ist in beiden Segmenten zu erwarten. Allerdings scheint die PLAN gravierende Probleme bei der Entwicklung leiser Antriebssysteme zu haben, nicht zuletzt deshalb dürfte es 2021 einen mutmaßlich chinesischen Hackerangriff auf den russischen Rüstungskonzern Rubin Design Bureau gegeben haben. Um seine U-Boote leiser und schneller zu machen, arbeitet China ähnlich wie die USA bereits seit längerem an einem Laserantrieb.
Ein besonders dramatisches Wachstum hat die amphibische Komponente der PLAN in den letzten Jahren erfahren, vor allem wurde der ohnehin schon große Pool an kleinen bis mittelgroßen Landungsschiffen (darunter alleine 29 Panzerlandungsschiffe mit 3500 bis 4000 Tonnen) um bislang acht Docklandungsschiffe der Yuzhao-Klasse (Typ 071; 25000 Tonnen) ergänzt, die größenmäßig der amerikanischen San Antonio-Klasse entsprechen. Hinzu kommen bislang drei Hubschrauberträger der Yushen-Klasse (Typ 075; 36000 Tonnen), die über ein Welldeck verfügen und neben einer Bataillonskampfgruppe an Marineinfanteristen auch 60 Panzerfahrzeuge und 28 Hubschrauber mitführen können. Die auf acht Schiffe ausgelegte Klasse soll schon bald durch die noch größere Yulan-Klasse (Typ 076) verstärkt werden. Alles in allem könnte die PLAN damit künftig über ein amphibisches Fähigkeitsspektrum verfügen, das dem der U.S. Navy ebenwürdig ist. Für Taiwan stellt dieses Potenzial zusammen mit dem PLAN Marine Corps (40000 Angehörige in sechs Brigaden) freilich eine enorme Bedrohung dar, ebenso für Japans südliche Inseln.

Begleitet wird das Wachstum der PLAN von einem massiven Ausbau der CCG, die im Zusammenhang mit Inselstreitigkeiten im Ost- und Südchinesischen Meer häufig zum Einsatz kommt und längst die Rolle einer zweiten Marine einnimmt. Territoriale Ansprüche werden meist mit „Water Gunning“, Laser- und Schallangriffen sowie Rammversuchen untermauert, wie die philippinische Küstenwache jüngst wieder bei den Spratly-Inseln erfahren musste. Die CCG ist alleine zwischen 2012 und 2020 von 156 auf 524 Einheiten angewachsen und wird durch die paramilitärische Maritime Volksmiliz ergänzt.
Alles in allem verschlingt Ausbau der chinesischen Seestreitkräfte gegenwärtig ca. 55% des Verteidigungshaushalts und zeigt die enorme Leistungsfähigkeit der chinesischen Schiffbauindustrie. Eine Studie des Office of Naval Intelligence der U.S. Navy schätzt das Schiffbaupotenzial Chinas (pro Zeiteinheit produzierbare Tonnage) auf das 232(!)-fache der USA. Auch wenn dieses Verhältnis im technisch anspruchsvollen Marineschiffbau deutlich geringer ausfallen dürfte, verfügt China damit über die wirtschaftliche Basis zum Aufbau einer Marine von Weltrang.
Globale maritime Ambitionen?
Chinas maritime Aufrüstung kann als Baustein einer global ausgerichteten Strategie interpretiert werden, mit der das Land bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts zur führenden Weltmacht aufsteigen möchte. Weiterer zentraler Bestandteil dieser Strategie ist die 2013 von Staatspräsident Xi Jinping verkündete „Belt and Road Initiative“ (BRI), die seither weltweit große Infrastrukturprojekte fördert und Chinas wirtschaftlichen Einfluss stärkt. Die BRI beinhaltet die Idee einer „maritimen Seidenstraße“, weshalb chinesische Investitionen über staatseigene Unternehmen wie COSCO oder China Merchants in zahlreiche Hafeninfrastrukturprojekte geflossen sind, vor allem in Afrika, Asien und Europa. Obwohl die BRI primär wirtschaftlichen Zielen dient, schafft sie gerade in der Dritten Welt Abhängigkeiten, die der PLAN Zugang zu Stützpunkten verschaffen können. In Djibouti am Horn von Afrika verfügt man bereits über einen Stützpunkt, die von China ausgebaute Marinebasis Ream in Kambodscha könnte in Zukunft ebenfalls von PLAN-Einheiten angelaufen werden.
Fernab ihrer Heimatgewässer unterhält die PLAN bislang jedoch keine nennenswerte Präsenz, wie sie für eine Blue Water Navy zu erwarten wäre, stattdessen tritt sie häufig im Rahmen chinesisch-russischer Seemanöver in Erscheinung. So fanden Übungen beider Staaten in den letzten Jahren im Mittelmeer, in der Ostsee und im Schwarzen Meer statt, hinzu kamen seit 2019 gleich fünf gemeinsame Seemanöver unter Einbeziehung iranischer Einheiten im strategisch wichtigen Golf von Oman.

Während es in Übersee meist beim reinen Übungsbetrieb ohne offene Machtdemonstration bleibt, zeigt die PLAN im eigenen Küstenvorfeld ein deutlich aggressiveres Auftreten, besonders gegenüber Japan und Taiwan. Als ein chinesisch-russischer Flottenverband im Juni 2022 beispielsweise die japanischen Hauptinseln umrundete, ließen es sich chinesische Einheiten nicht nehmen, die Tsugaru Meerenge zwischen den japanischen Hauptinseln Honshū und Hokkaidō zu durchqueren. Nur zwei Monate später mobilisierte die PLAN anlässlich des Taiwan-Besuchs von Nancy Pelosi (damalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses) kurzfristig 13 Schiffe für eine maritime Machtdemonstration unmittelbar vor der taiwanesischen 12-Meilen-Zone. Weitere See-/Luftmanöver innerhalb der Luftraumüberwachungszone Taiwans folgten 2023 und 2024, im Oktober 2024 kam dabei eine Kampfgruppe um den Flugzeugträger Liaoning der Südspitze Taiwans bedrohlich nahe.
Bereits im September 2024 befanden sich erstmals alle chinesischen Flugzeugträger gleichzeitig auf See, als Liaoning und Shandong mit jeweils fünf Begleitschiffen östlich der Philippinen bzw. im Südchinesischen Meer operierten, während die Fujian im Gelben Meer ihre vierte Erprobungsfahrt absolvierte; parallel dazu operierte eine Überwasserkampfgruppe aus vier Schiffen im Japanischen Meer. Nicht umsonst versetzt das Wachstum der PLAN vor allem Chinas Nachbarn in Alarmstimmung.
Jenseits bloßer Zahlenvergleiche
Vom Standard einer Blue Water Navy ist die PLAN aufgrund struktureller Probleme und diverser Schwächen allerdings noch weit entfernt. Zwar verfügt das Land über eine 30000 km lange Küstenlinie, besitzt jedoch nur einen eingeschränkten Zugang zu den offenen Ozeanen. Direkt vor der chinesischen Küste erstreckt sich von Japan aus mit den Ryūkyū-Inseln, Taiwan, den Philippinen und der Insel Borneo eine erste Inselkette, eine zweite Inselkette von Japan über die Ogasawara-Inseln und Guam bis nach Papua-Neuguinea liegt nur wenig weiter östlich davon. Beide Inselketten gestatten eine Überwachung des Schiffsverkehrs von und nach China, was maritime Operationen in Übersee naturgemäß erschwert. Chinas wiederholt vorgebrachte Ansprüche auf Taiwan, die japanischen Senkaku-Inseln und einige Inselgruppen im südchinesischen Meer (Paracel- und Spratly-Inseln; teilweise hat China hier Stützpunkte errichtet) dienen wohl auch dem Ziel, China aus dieser geostrategischen „Umklammerung“ zu befreien. Im Gegensatz dazu können die USA im Atlantik und im Pazifik auf ein freies und sicheres Küstenvorfeld bauen, das weltweiten Einsätzen großer Flottenverbände nicht im Wege steht.

den Kern der amphibischen Kräfte der PLAN, Foto: Chinesische Medien
Daneben mangelt es der PLAN in Übersee noch immer an Stützpunkten, die die notwendige Logistik großer Flottenverbände gewährleisten könnten. Gegenwärtig kann die PLAN lediglich auf die kleinen Basen in Djibouti und Ream (Kambodscha) setzen, weitere mögliche Stützpunkte in Bata (Äquatorialguinea), Duqm (Oman), Gwadar (Pakistan), Hambantota (Sri Lanka), Khalifa (VAE), Vanuatu und auf den Salomonen sind über das Niveau von Absichtserklärungen und Vorsondierungen noch nicht hinausgekommen. Eine leistungsfähige Flotte an Versorgungsschiffen, die den Mangel an Basen in Übersee kompensieren könnte, ist nur in Teilen vorhanden.
Im Vergleich dazu verfügen die USA im indopazifischen Raum dank ihrer Verbündeten und Partner (u.a. Australien, Japan, Philippinen, Singapur, Südkorea) sowie eigener bzw. assoziierter Territorien (u.a. Guam, Nördliche Marianen, Marshallinseln, Palau) über ein enges Netz sich gegenseitig stützender Basen. Auch in anderen Weltgegenden kann die U.S. Navy auf eine landbasierte Infrastruktur zurückgreifen, etwa im Mittelmeer oder im Persischen Golf.
Ohnehin entspricht die Zusammensetzung der PLAN nur bedingt dem Kräftemix einer Blue Water Navy, insbesondere fehlen ihr nukleargetriebene Flugzeugträger und (leise!) Jagd-U-Boote zur Machtprojektion fernab eigener Küsten. Die grundlegende Modernisierung der Korvettenkomponente und der noch immer bestehende große Pool an Flugkörperschnellbooten und dieselelektrischen U-Booten entspricht vielmehr dem Standard einer littoral ausgerichteten Marine, die unter dem Schutzschild landbasierter Flugkörper und Luftstreitkräfte operiert. Mit seinen ballistischen Raketen der Typen DF-21 (1500 km Reichweite) und DF-26 (bis zu 4000 km Reichweite, daher oft als „Guam Killer“ bezeichnet) und seiner großen Zahl an Kampfflugzeugen der 4. und 5. Generation wäre China eher eine A2/AD-Strategie („anti-access/area denial“) im Bereich der ersten und zweiten Inselkette möglich, die das Land zwar seeseitig stärkt, aber letztlich doch auf heimatnahe Gewässer beschränkt.
Darüber hinaus dürfte der massive Zulauf an neuen Schiffen seit 2000 schon bald zu explodierenden Unterhaltungskosten führen, wenn mehr und mehr dieser Schiffe erste längere Instandsetzungs- und Modernisierungszyklen durchlaufen müssen. Die für ein weiteres Flottenwachstum nötigen Mittel dürften dann knapp werden. Ebenso ist zu erwarten, dass die anderen Teilstreitkräfte in Zukunft wieder einen höheren Anteil der Verteidigungsausgaben für sich beanspruchen werden, und das vor dem Hintergrund einer schwächelnden Volkswirtschaft.
Schließlich mangelt es der PLAN schlichtweg an Führungspersonal mit Einsatzerfahrung. Hier rächt sich das atemberaubende Wachstum der letzten Jahre, das nur teilweise zur Herausbildung eines neuen maritimen Selbstverständnisses geführt haben dürfte. Andererseits hat die PLAN die Professionalisierung ihrer Schiffsbesatzungen seit 2000 systematisch vorangetrieben, insbesondere wurde das Unteroffizierskorps vergrößert und reformiert. Inwieweit dies fehlende Einsatzerfahrung kompensieren kann, muss offenbleiben.
Ausblick
Keine Frage, das jüngste Wachstum der chinesischen Marine stellt eine ernste Gefahr für die amerikanische Vormachtstellung auf den Weltmeeren dar. Mit Blick auf das bisher erreichte Fähigkeitsspektrum und die geostrategischen Einschränkungen der PLAN ist die Bedrohung für Chinas unmittelbare Nachbarstaaten jedoch weitaus akuter, könnte die PLAN im Rahmen einer regionalen A2/AD-Strategie Chinas Nachbarstaaten und der Weltwirtschaft großen Schaden zufügen.
Von zentraler Bedeutung für den weiteren Weg der PLAN wird sein, wie China künftig mit der Taiwan-Frage umzugehen gedenkt. Sollte man eine offene militärische Konfrontation suchen – ob im Zuge einer Invasion oder einer Seeblockade – hätten die USA und ihre Verbündeten ernste Probleme, einer dann heimatnah operierenden PLAN die Stirn zu bieten. In jedem Falle tut der Westen gut daran, die weitere maritime Entwicklung Chinas zu beobachten.



