Als um die Jahreswende 2019/2020 die ersten Meldungen über das Auftreten eines neuen Virus im chinesischen Wuhan in den Medien auftauchten, hat sich kaum jemand vorstellen können, welch einschneidende Veränderungen die daraus entstehende Pandemie für die Gesellschaft und damit auch für die Streitkräfte mit sich bringen würde. Heute, fast ein Jahr nach den ersten Meldungen, ist es Zeit, ein Zwischenfazit und Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Um eines gleich vorweg zu nehmen: Die Marine hat die Herausforderungen der soweit einmaligen Ereignisse der Pandemie bisher erfolgreich bewältigt. Zusätzlich zu den oft im Fokus stehenden Hilfs-, Unterstützungs- und Schutzmaßnahmen wurden vor allem die Einsätze, Missionen, einsatzgleichen Verpflichtungen und Dauereinsatzaufgaben erfüllt und die dafür erforderlichen (Einsatz-)Ausbildungen durchgeführt.
Personalauflockerung
Als sich der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, am 17. März in seinem ersten Infobrief Corona an alle Marineangehörigen wandte, stellte er fest, dass die beginnende Pandemie das gesellschaftliche und politische Leben zunehmend bestimmt. Schnell mussten Entscheidungen getroffen werden. Es galt vor allem, die vordringlichste Aufgabe zu erfüllen, nämlich den priorisierten Einsatz-, Übungs- und Ausbildungsbetrieb fortzusetzen. Unter dieser Maßgabe wurden weniger priorisierte Vorhaben reduziert, Personal in den Dienststellen unter Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes ausgedünnt und die Kommunikations- und Arbeitsfähigkeit ortsunabhängig ermöglicht.
Die einzelnen Maßnahmen vor Ort unterschieden sich stark zwischen den Kommandos, Stäben, Landeinheiten, Schulen sowie den Schiffen und Booten während der Werftliegezeit, im Heimathafen und im Seebetrieb. So wurde, sofern bereits eine arbeitsfähige Ausstattung für die mobile Nutzung bereitstand, die Präsenzpflicht teils aufgehoben und das Personal ins Homeoffice geschickt. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit zum Schichtbetrieb geschaffen, wodurch das Personal tage- oder wochenweise getauscht werden konnte. An Bord im Werftbetrieb oder im Heimathafen wurden die Besatzungen ebenfalls auf das zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendige Mindestmaß gekürzt und wöchentlich gewechselt. Teilweise wurde das Personal im Rahmen von Rufbereitschaft und ortsunabhängigem Arbeiten oder mithilfe von Urlaubsgewährung oder Abbau von Überstunden nach Hause geschickt. Die Einheiten in See blieben von diesen Maßnahmen weitgehend unberührt.
Operationelles Hauptquartier
Im Marinekommando am Standort Rostock wurden drei Koordinierungselemente eingerichtet. In erster Linie wird damit die Ansprechbarkeit rund um die Uhr hinsichtlich aller mit dem Thema Covid-19 verbundenen Angelegenheiten für den Organisationsbereich Marine sichergestellt. Dies beinhaltet die sanitätsdienstliche Sicht als auch die generelle Koordination von Weisungen und die Weitergabe von Informationen. Die Unterstützungsleistung der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe nach Artikel 35 GG, die zum Beispiel Aufgaben der Logistik, der Desinfektion oder der Unterstützung von Gesundheitsämtern und Testzentren umfasst, wird seitdem ebenfalls zentral gesteuert.
In den eher ruhig verlaufenden Sommermonaten, in denen sich die Arbeitsabläufe eingespielt hatten, wurde die Personalstärke dieser Koordinierungselemente heruntergefahren, es kehrte Routine ein, allerdings immer vor dem Hintergrund, einen Personalpool vorzuhalten, der jederzeit reaktiviert werden kann. In der aktuellen Situation mit ansteigenden Infektionszahlen erweist sich dies als sehr hilfreich, da vermehrt die Unterstützung der Bundeswehr im zivilen Bereich angefordert wird.
Zukunftsmodell Homeoffice?
Um die Kommunikations- und Arbeitsfähigkeit auch in der Auflockerung sicherzustellen, bedarf es geeigneter und ausreichender IT. Zügig musste festgestellt werden, dass die Anzahl verfügbarer Geräte und Anbindungen mittels VPN-Tunnel nicht ausreichte, um das anvisierte Personal zum ortsunabhängigen Arbeiten zu befähigen. Nicht unerhebliche Performanceprobleme sorgten zusätzlich für Schwierigkeiten bei der Einwahl ins Bundeswehrnetz. Dadurch konnten Arbeitspotenzial und Expertise der nicht vor Ort befindlichen Mitarbeiter nicht vollumfänglich ausgeschöpft werden. Gleichzeitig zeigte sich immer wieder, wie schwierig sich inhaltliche Übergaben zwischen dem Personal gestaltet, das keine ständige Anbindung an den laufenden Prozess hat. Im besten Fall bremste es den Dienstbetrieb, teilweise gingen sogar Informationen verloren. Hilfreich erwies sich die temporäre Weisung, offen eingestufte Vorgänge auch auf privater IT bearbeiten zu können. Nachholbedarf gibt es auch fast ein Jahr nach Beginn der Pandemie bei der Ausstattung mit mobilen Zugängen. Nicht jedes Personal, das grundsätzlich die Arbeit ortunabhängig erledigen könnte, verfügt über die notwendige Soft- bzw. Hardware. Hier ist die Umsetzung einfach noch zu langsam, was eine schnellere Reaktion verhindert und damit den Handlungsspielraum verringert. Dabei hat sich doch gezeigt, wie effektiv auch im oft so skeptisch betrachteten Homeoffice Aufträge erledigt werden können. An dieser Stelle hat die Pandemie tatsächlich eine Chance geboten. Mit geeigneter Infrastruktur, Vertrauen und angepasstem Arbeitsverhalten kann Homeoffice auch für die Marine in vielen Bereichen ein erfolgsbringender Faktor werden.
Alltag in der Flotte
Der Dienstalltag in der Flotte wurde vor allem unter dem Motto „Infektionsschutz gewährleisten, gleichzeitig führungsfähig und einsatzbereit bleiben“ organisiert. Personal wurde ebenfalls auf das notwendige Maß reduziert. Schlüsselpersonal in den Stäben und Geschwadern wurde, sofern möglich, mit mobiler IT ausgestattet oder es wurde eine Art Schichtbetrieb eingeführt.
Auf den seegehenden Einheiten wurde in der Regel nur den Kommandanten als Informationsträgern eine mobile Ausstattung zur Verfügung gestellt. Dort wo es kaum möglich ist, den Mindestabstand einzuhalten, nämlich auf den seegehenden Einheiten, suchte man nach anderen praktikablen Lösungen. So wurden Besatzungen geteilt, wobei sich jeweils nur eine Hälfte, die betriebsfähige Mindestbesetzung für den Hafen- oder Werftbetrieb, an Bord befand. Das Minenjagdboot Datteln bewies, wie trotz beengter Platzverhältnisse mit umfunktionierten Halstüchern der Eigenschutz und die Hygienemaßnahmen bereits in der Anfangszeit an Bord umgesetzt und der Betrieb aufrechterhalten werden konnte.
Im Seebetrieb standen die Besatzungen vor ganz anderen Herausforderungen. Die Crew des Tenders Donau musste 102 Tage auf Landgang während ihrer Teilnahme an der SNMCMG 1, dem Minenabwehrverband der NATO, verzichten. Als äußerst positiv für alle Beteiligten sei hier jedoch auch erwähnt, dass eine durchgängige Zeit in See von 14 Tagen ohne Außenkontakte oder Einschiffung eine anschließende Isolation in häuslicher Umgebung ersetzen kann – Stichwort Kohortenisolierung. So konnte die Besatzung der Fregatte Baden-Württemberg nach der Warmwassererprobung ohne Verzögerung im Heimathafen an Land gehen.
Einsätze gehen weiter
Der Einsatzbetrieb der Flotte blieb weitgehend unberührt, sieht man von den umfassenden Hafenbeschränkungen für die Besatzungen und der damit einhergehenden Versorgung der Einheiten ab. Gerade am Anfang der Pandemie unterlagen die einzelnen Bestimmungen einer sehr hohen Dynamik durch die sich nahezu täglich ändernden Rahmenbedingungen. Zusätzlich kam erschwerend hinzu, dass jedes Land andere Regelungen getroffen hat, die Hafenplanung, Verlegung, die Nachversorgung und die industrieseitige Instandsetzung im Auslandshafen erheblich beeinflussten. Die Marine ist in diesem besonderen Fall ganz unterschiedlich vorgegangen. Eine Einheit wurde beispielsweise aus dem NATO-Verband im Mittelmeer herausgelöst und dafür in die Ostsee verlegt. Anders beim Einsatzgruppenversorger Berlin – fast 170 Tage war das Schiff im Einsatz in der Ägäis. Mit Verlassen des Heimathafens im April 2020 wurde die Besatzung isoliert und die Prophylaxe erhöht – dazu gehörten Abstandsregeln, das Tragen von Masken sowie der Verzicht auf Außenkontakt und Landgänge. Sowohl vor dem Transit als auch vor dem ersten Einlaufen im Mittelmeer wurde die komplette Besatzung getestet, sodass man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sagen konnte, dass niemand eine Coronavirus-Infektion aufweist. Mit der auch im weiteren Verlauf durchgeführten Kohortenisolierung – einzig im Hafen auf Kreta gab es die Möglichkeit, die Pier ohne weitere Kontakte zu begehen – gelang es, eine mögliche Infektion mit dem Virus zu verhindern. Um eine Prüfung an Bord vornehmen zu können, wurden ambulante Tests entwickelt, die durch einen extra eingeschifften medizinisch-technischen Laborassistenten und zusätzliches Gerät im bordeigenen Rettungszentrum See analysiert werden konnten. Zusätzlich wurde das Personal an Bord telemedizinisch, also per Bildtelefonie, begleitet. Mit diesem hohen Aufwand wurde die Berlin das erste Marineschiff weltweit, dass Coronatests auf See durchführen ließ. Ein großer und weit über die Grenzen Deutschlands registrierter Erfolg.
Weitere Einschränkungen verhinderten zunächst geplante Besatzungswechsel, wie während des Einsatzes Unifil auf der Korvette Ludwigshafen Am Rhein, oder Personaltausch im Unifil-Hauptquartier im Libanon wurden von der UN untersagt und mussten nach hinten verschoben werden. Gleichzeitig konnten diese nur mit stark reglementierten vierzehntägigen Quarantänemaßnahmen sowohl in Deutschland als auch im Gastgeberland – und umgekehrt – durchgeführt werden. Die Marine muss, und das wird aus der aktuellen Einsatzsituation ersichtlich, Lösungen für solche Lagen erarbeiten, um die Auswirkungen für das Personal und die Angehörigen zu minimieren und um überhaupt an den Einsätzen durchhaltefähig teilnehmen zu können.
Lessons Identified
Die Marine befindet sich noch im Ausnahmemodus, die Pandemie ist noch lange nicht überwunden, weshalb das aktuelle Handeln weitestgehend davon beeinflusst wird. Aber als Zwischenfazit kann die Marine sagen, dass sie bis dato glimpflich davongekommen ist. Nicht zuletzt aufgrund der strikten Einhaltung von Maßnahmen, von Personalauflockerungen, der Schaffung von Möglichkeiten des mobilen Arbeitens, einer Anpassung der Ausbildung und dem Charakter des Dienstes an Bord. Aber auch, und das sei hier an dieser Stelle hervorgehoben, dem disziplinierten Verhalten der Marineangehörigen selbst ist es geschuldet, dass die Marine ihren Kernauftrag erfüllen kann und handlungsfähig bleibt. Alle Einsätze, Missionen und einsatzgleichen Verpflichtungen können sichergestellt und der Schutz der Marineangehörigen vor Covid-19 konnte bislang gewährleistet werden. Reibungsverluste lassen sich in so einer komplexen und unbekannten Lage nicht verhindern. Gerade zu Beginn der Pandemie mit einer sehr dynamischen Lageentwicklung mussten Prozesse erst gefunden werden und sich einspielen.
Bleibt zum Abschluss vielleicht noch die Frage, ob es nicht notwendig wäre, vorbereitete Pläne und Weisungen „in der Schublade“ vorzuhalten. Sicher eine Möglichkeit, allerdings ist das Bereithalten von dezidierten Plänen für eine derart überraschend auftretende Pandemie weder möglich, noch realistisch planbar, noch notwendig. Aktuell zeigt sich allerdings auch, dass sich die Vorbereitungen und die Erfahrungen aus dem Frühjahr auszahlen. Deutlich schneller können Weisungen umgesetzt und Kräfte aktiviert werden. Aus vielen Ereignissen wurde gelernt, erste Konsequenzen gezogen und auf die Herausforderungen ist die Marine besser vorbereitet. Nun heißt es aber auch, nicht locker zu lassen und gleichzeitig unter den Rahmenbedingungen weiterhin bestmöglich durch die Pandemie zu kommen.
Text: Juliane Lüben
Foto: Bundeswehr/Björn Wilke
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