Matthias Schmitt, Axel Schulz und Dirk Jacobus (v.l.) nach der Übergabe, Fotos: Bw/Rodewald

Matthias Schmitt, Axel Schulz und Dirk Jacobus (v.l.) nach der Übergabe, Fotos: Bw/Rodewald

Eine lange Reise

Als Flottillenadmiral Axel Schulz, Kommandeur der Einsatzflottille 2, am 19. Januar das Kommando über das 4. Fregattengeschwader übergab, war dies keine Zeremonie, wie man sie aus dem Marinestützpunkt Heppenser Groden kennt. Kapitän zur See Dirk Jacobus übergab seine vier Schiffe der BADEN-WÜRTTEMBERG-Klasse an Kapitän zur See Matthias Schmitt und beendete damit eine Kommandeurszeit, die mit fünfeinhalb Jahren nicht nur einen Rekord darstellt, sondern eine Zäsur der Marine darstellt. Als Jacobus das Geschwader übernahm, war die Fregatte BADEN WÜRTTEMBERG gerade ein Jahr zu Wasser und wurde wegen diverser Mängel 2017 an den Hersteller zurückgegeben. Jacobus, der sich mit KARLSRUHE, AUGSBURG und LÜBECK noch auf die letzten „Arbeitspferde“ der Klasse 122 abstützen konnte, durfte 2019 endlich die Indienststellung der ersten 125 erleben. Seit der Indienststellung der RHEINLAND PFALZ im Juli 2022 darf er sich nun rühmen, der erste Kommandeur eines Fregattengeschwaders zu sein, der nicht nur den Wechsel einer ganzen Klasse führte, sondern auch eine gänzlich neue Schiffsklasse in Fahrt gebracht hat. Seine erfolgreiche Zeit an der Spitze des 4. Fregattengeschwaders war begleitet vom nahenden Ende einer schwierigen Zeit und vor allem von Debatten um den Zweck der Klasse 125. Trotz der Zweifel mancher Beobachter ist Jacobus von diesem Waffensystem überzeugt. Nach 2059 Tagen als Kommandeur hielt er ein flammendes Plädoyer für „seine“ Schiffe, eingebettet in seinen Dank an alle beteiligten Besatzungen, Kommandanten und Verantwortlichen, die den diesen langen Weg ebneten. Das marineforum veröffentlicht Auszüge aus seiner Abschiedsrede.

Mann mit Weitsicht: Kapitän zur See Dirk Jacobus, Foto: hsc

Mann mit Weitsicht: Kapitän zur See Dirk Jacobus, Foto: hsc

„Am meisten überrascht hat mich allerdings, wie viel Überzeugungskraft es bedurfte, um zu unterstreichen, dass die Entwicklung des Waffensystems F 125 mit der damit verbundenen Zielsetzung und Konzeption weder damals noch heute ein Fehler war. An jeder Ecke gab es Skeptiker, sicherlich gefördert durch die entsprechende mediale Begleitung, die sich ein Urteil über die Sinnhaftigkeit und die Effektivität dieser Schiffe, vor allem aber der Besatzungen gebildet hatten – ein Urteil das weit überwiegend lautete: Die können ja gar nix! Nicht durchhaltefähig, keine Identität, fehlende Sorge um das unvertraute Waffensystem, nicht einsetzbar im Gefecht, kein U-Jäger, kein Air Defender, kein Krieger eben …

Wir haben den Grundstein dafür gelegt zu beweisen, dass das, was unsere Vorväter erdacht haben, gar nicht mal eine so schlechte Idee war. Wir haben das Reachback für die Besatzungen auf funktionsfähige Beine gestellt, wir haben bis heute vier Besatzungen vollständig durch den inhaltlich selbständig neu entwickelten EAP geführt, und das sogar höchst erfolgreich. […] Im Sinne eines funktionsfähigen Gesamtsystems F 125 mussten einzelne Besatzungen häufig schwer Verdauliches schlucken, um alle Besatzungen in diesem fein verzahnten Räderwerk intakt halten können, immer mussten sich die Besatzungen gegenseitig helfen, ohne Vorwurf auch dann, wenn uns selbst an irgendeiner Stelle Fehler unterlaufen waren. […] Ohne die kompromisslose Rückendeckung und die gestalterischen Freiräume einerseits, aber auch die tatkräftige, fachliche und truppendienstliche Unterstützung unserer Flottille andererseits, wären wir sicherlich in mancher Prozess-Sackgasse steckengeblieben, stattdessen konnten wir mit Vehemenz etliche „Iss-so-weil-war-schon-immer-so“-Mauern durchbrechen. Ich möchte mir erlauben, meiner Flottille zuzurufen, den eingeschlagenen Weg des Initiativ-und-selbständig-Möglichmachens so konsequent weiterzugehen, wie er gerade gegangen wird. […] Die wohl größte Innovation aus diesem Engagement, unser Einsatzausbildungszentrum Mehrdimensionale Seekriegsführung, ist ein Erfolgsmodell, ohne das insbesondere während Corona, aber perspektivisch auch für die hohen Anforderungen an das Mehrbesatzungsmodell aus meiner Sicht Einsatzfähigkeit gar nicht mehr denkbar ist. Ausbildung vor Ort durch Soldaten, die aus dem auszubildenden System stammen und die notwendige Erfahrung und den Biss mitbringen, Besatzungen in jeder Phase der Team- und Individualausbildung zu formen, das ist eines der größten Pfunde, die die Marine derzeit auf die Waage bringt. Ich kann nur davor warnen, dieses wirkliche Erfolgsmodell gegebenenfalls irgendwann aus strukturellen oder administrativen Gründen wieder zu beschneiden. In diesem besonderen Fall muss man die Stärken von etwas Einzigartigem vor der systemkonformen Gleichmacherei schützen, dies gilt im Übrigen genauso für die einzigartigen Fähigkeiten des Waffensystems F 125 an sich.

Auch die Eigeninitiative im Bereich der Personalgewinnung halte ich für einen Weg, der unbedingt weiter zu verfolgen ist. Authentisch für uns werben geht nur mit authentischen Erfahrungsträgern und aktuellem Wissen vom Berufs- und Tätigkeitsbild auf See. Deswegen müssen wir die Organisation mit unseren personellen Fähigkeiten vor Ort und in der Fläche unterstützen. Gerade für uns als Marine gilt: Menschen begeistern Menschen – und nicht wohlklingende, schlagwortartige, generalistisch zutreffende Botschaften, die keine Bilder in den Köpfen unseres Nachwuchses erzeugen.

Dank auch an Industrie und Projekt – und das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch angesichts der jahrelangen Verzögerungen. Natürlich haben gerade wir am Ende des Prozesses oftmals mit den scheinbar unnötigen Hürden gehadert, die sich unter anderem aus verzögerten Vertragsschlüssen, Prozesskonformität oder auch aus unerwarteter Minderleistung ergeben haben. Aber, selbst mit Tisch sitzend, muss man auch erkennen, dass hier oberflächliche Schelte gegenüber dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) oder der Arge F 125 beziehungsweise der Industrie viel zu kurz greift. Es ist nun mal kein Selbstgänger, einen so weitreichend innovativen Prototypen mit extrem langer Bauzeit ständig den sich weiterentwickelnden Gesetzes- und Vorschriftenlandschaften anzupassen – unser System ist nun mal eher starr als flexibel. Ich denke, wir müssen für aktuelle und zukünftige Rüstungsprojekte solche gordischen Knoten vorzeitig durchschlagen, denn sonst war F 125 nur das erste Projekt, das solcher Verzögerung ausgesetzt war, sicher aber nicht das letzte. Ich danke dem BAAINBw und der Industrie dafür, dass Sie uns zugehört haben und uns haben mitgestalten lassen. Sie haben schnell gemerkt und schnell auch in ihre Überlegungen einbezogen, dass ohne den Endnutzer Fortschritt nicht machbar ist.

Wenn es uns gelingt, insbesondere den Steinschlägen im personellen Bereich einigermaßen schadlos zu entgehen, wenn wir zum Beispiel aufhören, ständig zivile – und für das Militär einfach nicht passende – Normen fraglos zu übernehmen, sei es beispielhaft im Bereich der Arbeitszeit oder sei es im Bereich der Ausbildung und Qualifikation vor allem bei den Nebenaufgaben, dann werden die Schiffe und Besatzungen das tun können, was sie sollen: fahren und kämpfen. Wer insbesondere beim Lean Manning ernsthaft glaubt, die ständig wachsende Fülle von bürokratischen Nebenaufgaben an seefahrende Besatzungen ebenso koppeln zu können wie an jede andere militärische Dienststelle, der irrt. Unsere auf das Wesentliche reduzierten Besatzungen können nicht zur Bewältigung aller Nebenaufgaben im Bereich Datenschutz, IT-Sicherheit, Arbeitsschutz, SAP, Administration und Verwaltung etc. auf jeden neu erdachten Lehrgang gehen, den die Streitkräfte zu bieten haben. Wenn das schon doktrinär so sein muss, dann muss das Reachback das strukturell stemmen können und vorschriftentechnisch auch dürfen – gerade hier ist noch ein langer Weg zu gehen und der sollte besser nicht im Schritttempo gegangen werden. Wir müssen noch viel mehr [Menschen] als bisher den Mut haben, uns das Dienen durch das Knüpfen x-facher Sichernetze nicht selbst schwer zu machen, wir müssen den Fähigkeiten unserer Besatzungen vertrauen und sie durch wirkliche Entlastung von Bürokratie genau darauf konzentrieren lassen, wofür wir Streitkräfte eigentlich haben: Die Landes- und Bündnisverteidigung und den militärischen Anteil zur gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge – ich denke, selten war dies so anschaulich begründet wie durch die täglichen Nachrichten der heutigen Zeit.

Holger Schlüter

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