Schubverband „Reinhold Deymann“ teilautonom unterwegs. Foto: Reederei Deymann

Schubverband „Reinhold Deymann“ teilautonom unterwegs. Foto: Reederei Deymann

Ferngesteuerte Binnenschifffahrt

Duisburg: Nachdem die ersten führerlosen „Geisterschiffe“ auf Belgiens Wasserstraßen fahren, sollen nun Schiffe auch auf deutschen Wasserstraßen folgen. Die Kapitäne sitzen dann zukünftig nicht mehr an Bord, sondern an Land.

Seit wenigen Wochen sitzt ein belgischer Kapitän in den einstigen Haniel-Büros in Duisburg-Ruhrort an einem Schreibtisch. Mit Kopfhörer vor vier Computerterminals und sechs Kamerabildschirmen steuert er einen Binnenfrachter über den über 300 Kilometer entfernten belgischen Plassendale-Nieuwpoort-Kanal und den Fluss Yser. Zwei Regler reichen dem Flamen, um die unbemannte, mit Erdaushub beladene „Watertruck 8“ auf Kurs zu halten.

Seafar-Controlcenter: Bis zu drei Binnenschiffe lassen sich gleichzeitig fernsteuern. Foto: SEAFAR

Seafar-Controlcenter: Bis zu drei Binnenschiffe lassen sich gleichzeitig fernsteuern. Foto: SEAFAR

Fachkräftemangel

In der Duisburger Leitzentrale werden damit erstmals auch von Deutschland aus Binnenschiffe ferngesteuert gefahren. Der Probe-Betrieb startete offiziell am 28. Februar. Der Betreiber „Häfen und Güterverkehr Köln“ (HGK-Shipping) ist Marktführer mit über 350 eigenen und gecharterten Binnenschiffen. Die Technik, die derzeit auch die Reederei Deymann aus Haren an der Ems testet, stammt vom belgischen Technologie- und Serviceanbieter SEAFAR mit Sitz in Antwerpen, der die ferngesteuerte und besatzungsreduzierte Binnenschifffahrt im Fokus hat.

Mit der Gründung dieser deutschen Initiative wollen die drei Unternehmen die (teil-)autonome Binnenschifffahrt auf deutschen Wasserstraßen vorantreiben. Notwendig und unerlässlich sei das Projekt, begründet HGK-Shipping. Schon zwischen 2008 und 2018 schrumpfte die Berufsgruppe in Deutschland um 24 Prozent. Ein Drittel der Binnenschiffkapitäne sei darüber hinaus über 55 Jahre alt und werde somit in den nächsten zehn Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.

Einsparmöglichkeiten

Der „Büroarbeitsplatz“ soll den Arbeitsplatz für künftige Binnenschiffskapitäne attraktiver und zugleich effizienter machen. Per Bildschirm ließen sich zudem zwei bis drei Frachter gleichzeitig steuern und in weniger als drei Jahren habe sich die Investition in die Remote-Technik für die Reederei amortisiert, so SEAFAR.

Der Markt für die geplante Digitalisierung ist gewaltig. Rund 8000 Binnenschiffe transportieren aktuell Güter über Europas Flüsse und Kanäle. Viel Zeit verbringen sie gewöhnlich auch im Hafen. Während dieser Lade- und Wartezeiten sind Schiffsführer, von denen im 24-Stunden-Schichtbetrieb stets zwei an Bord arbeiten, zu entlohnen. Fernsteuernde Kapitäne nach dem Anlegen dagegen nicht mehr.

Testgebiete

Rheinabwärts ab Bonn startet HGK drei ferngesteuerte Frachter, die aus Sicherheitsgründen noch Schiffsführer an Bord vorhalten - als Back-up, falls eine Notsituation ein Eingreifen erfordert. Ähnliche Tests laufen auch auf dem Mittellandkanal nahe Münster und Osnabrück sowie auf dem Elbe-Seitenkanal, auf dem die Salzgitter AG ihre Stahlwaren nach Hamburg befördert. Auch der Mitbewerber Rhenus arbeitet derzeit an einer Remote-Lösung für seine Binnenschiffe. Als Testobjekt wurde die fast 50 Jahre alte "Ernst Kramer" ausgewählt. Rhenus hatte das ferngesteuerte Schiff auf der 13. Nationalen Maritimen Konferenz 2023 in Bremen erstmals einem breiten Publikum vorgestellt. So konnten Interessierte live verfolgen, wie der 105 Meter lange Frachter per Mobilfunk ferngesteuert den Duisburger Hafen und die Ruhrmündung befuhr.

Genehmigungsvorbehalte

Anders als in Belgien, wo im Hinterland von Oostende bereits drei Frachter unbemannt und zwischen Lüttich und Antwerpen weitere Schiffe mit reduzierter Crew verkehren, tun sich die deutschen Behörden mit Genehmigungen mangels Erfahrung noch schwer. Die Partner arbeiten deshalb daran, die bereits erhaltenen Genehmigungen für den angelaufenen Testbetrieb auf dem Niederrhein zu nutzen und mit den Behörden weitere Fahrtgebiete für diesen richtungsweisenden Lösungsansatz auszuweisen. Aktuell befinden sie sich in der Antragsphase für Streckenabschnitte im nordwestdeutschen Kanalgebiet, auf dem Mittellandkanal sowie für weitere Teilstücke des Rheins.

Erster Erfolg

Zur Förderung der automatisierten Schifffahrt hat die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) eine neue Rechtsgrundlage geschaffen. Demnach kann künftig bei bestimmten Pilotprojekten im Bereich der automatisierten Schifffahrt vorübergehend von der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RheinSchPV) abgewichen werden. Beispielsweise von der Pflicht zur Besetzung des Ruders.

Fernziel

HGK-Shipping prognostiziert, dass die Frachter in Deutschland in fünf Jahren komplett ohne Schiffsführer an Bord starten könnten; in ruhigen Gewässern wie Kanälen oder Hafenbecken sei sogar ein autonomer Betrieb ohne Steuermann an Land denkbar. Doch dazu gäbe es bislang nur vereinzelte Pilotprojekte. So im August 2023, als erstmals der Katamaran „MS Wavelab“ in der Kieler Förde autonom in See stach; nur vom Anschütz-Kontrollzentrum an Land per Fernsteuerung kontrolliert, zur Sicherheit war aber auch noch ein Kapitän an Bord.

marineforum.online berichtete darüber am 16. Aug 2023: Anschütz: Autonomes "Wavelab" auf der Förde

Auch die Volvo-Tochterfirma Penta hat schon vor Jahren ein Dockingsystem für Schiffe präsentiert, das autonomes Einparken im Hafen ermöglicht. So ausgestattet könnten Havarien in Häfen in ein paar Jahren der Vergangenheit angehören.

Volvo-Penta Einparkhilfe. Foto: Volvo

Volvo-Penta Einparkhilfe. Foto: Volvo

War noch etwas?

Technisch sei die Fernsteuerung durch die eingesetzten Sensoren, Kameras und Laser-Abstandsmessgeräte sowie die von drei Anbietern gleichzeitig genutzten 4G- und 5G-Netze sicher, so SEAFAR.
Aber die HGK-Reederei wolle bei der Technikanwendung dennoch nur schrittweise vorgehen, um die genehmigenden Schifffahrtsbehörden, die Schiffsversicherungen und Zertifizierungsgesellschaften nicht zu überfordern.
Die (teil-)autonome Binnenschifffahrt kommt also, die Frage bleibt: Wie schnell?

Quelle: Handelsblatt, Hafenzeitung

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