Wichtiger Bestandteil der Ausbildung an der Marineschule Mürwik ist die neu eingeführte Militärische Segelausbildung. Damit werden die modernen Sunbeam-Boote zu unersetzlichen Hilfsmitteln.
Im Bootshafen der Marineschule Mürwik hat sich 2020 viel getan. Zunächst gingen im letzten Sommer sieben neue Dienstsegelboote in die Nutzung der MSM über (siehe MarineForum 10/2020), zugleich wurde das dienstliche Segeln unter dem Titel Militärische Segelausbildung (MSA) völlig neu konzipiert. Grund genug, um nach einem Jahr eine erste Bilanz zu ziehen. Das MarineForum traf in Mürwik Fregattenkapitän Michael Hufnagel, den Leiter Seemannschaft der MSM, und seine seemännische Nummer eins, Kapitänleutnant Stephan Tief. Beide haben maßgeblich an der Entstehung und Umsetzung des Konzepts der Militärischen Segelausbildung mitgewirkt. Das Gespräch fand an Bord des Segelbootes Pollux statt, kurz bevor Tief mit vier Offizieranwärtern (OAs) zu einer Schulungsfahrt auslief.
Herr Kapitänleutnant Tief, an der MSM wird seit Gründung im Jahr 1910 in der Offizierausbildung gesegelt. Was ist das Neue an der Militärischen Segelausbildung?
Tief: Die Militärische Segelausbildung ist deutlich mehr als einfach nur Segeln in Uniform. Sie ist zentraler und wesentlicher Bestandteil der Ausbildung zum Marineoffizier. Wir wollen die OAs auf ihre Rolle als militärische Führer, Ausbilder und Erzieher vorbereiten – im Einsatz wie im Grundbetrieb. Das Berufsfeld des Marineoffiziers ist durch die Dimension See geprägt. Das bedeutet, Denken und Handeln der Marineoffiziere müssen durch die See bestimmt sein. Dieser Grundsatz ist eine zeitlose Forderung für die Ausbildung und Erziehung zum Marineoffizier. Ein Schlüssel zur Umsetzung dieser Forderung ist neben einer fordernden Theorieausbildung die praktische Bordausbildung. Mit der Aus- und Weiterbildung auf Dienstsegelbooten wird die Abhängigkeit von der Dimension See sowie die Notwendigkeit, das eigene Handeln an den aktuellen Umwelteinflüssen auszurichten, deutlich. Nirgendwo sonst lassen sich Raum-Zeit-Faktoren so direkt und unmittelbar vermitteln. Auf den kleinen Booten werden Navigation, Nautische Gesetzeskunde und Erfahrungen aus dem Simulator in die Praxis umgesetzt. Die persönlichen Erfahrungen auf See wirken prägend auf das Führungsverhalten der zukünftigen Marineoffiziere, besonders in Belastungssituationen. Wir wollen Erlebnisse in See schaffen, die Teamgeist, Kameradschaft und Einsatzbereitschaft abbilden und die OAs an unsere Marine und die See binden, so wie es der „Kompass Marine“ uns allen vorgibt. Das Herz der OAs soll gewissermaßen blau schlagen, auch wenn viele der OAs nach dem Offizierlehrgang zunächst für vier Jahre an Land gehen, um zu studieren.
Die maritime Prägung und viele der Punkte, die Sie gerade aufzählen, bildet doch auch das Segelschulschiff Gorch Fock ab, oder?
Hufnagel: Ja, das ist richtig. Man darf aber weder die Gorch Fock noch die Militärische Segelausbildung losgelöst voneinander betrachten. Der Ausbildungszyklus beginnt mit der Segelausbildung an der MSM, setzt sich mit der maritim-militärischen Grundlagenausbildung auf dem Segelschulschiff fort und wird durch Praktika auf Einheiten der Flotte komplettiert. Wir sind deshalb sehr froh, dass sich die Gorch Fock ab dem Spätsommer 2021 wieder in den Ausbildungsbetrieb einreiht. Das Segelschulschiff ist integraler Bestandteil des Wirkverbunds praktische Bordausbildung und von elementarer Bedeutung für die Ausbildung unseres Nachwuchses. Sie gehört ganz einfach zur Marineschule Mürwik. Das bedeutet, die MSA kann und soll das Segelschulschiff nicht ersetzen, sondern ergänzen. Mit der MSA wollen wir das nautisch-seemännische Fundament legen und die OAs mit den Standards der Flotte vertraut machen. Die OAs sollen konsequent die Befehls- und Meldesprache nutzen, mit den Booten eine erste Verbandsorganisation kennenlernen und die Grundsätze der Fühlungslehre auf eine kleine Besatzung anwenden. Es ist für die OAs ein wertvolles Aha-Erlebnis zu sehen, wie die Theorie aus dem Hörsaal in der Praxis verknüpft wird und sich theoretisches Wissen in seemännisch-navigatorische Kompetenzen umwandelt. Diese Verknüpfung nennen wir den Wirkverbund der Bordausbildung.
Dann geht es bei der MSA also weniger um das Ablegen von Segelscheinen, sondern um die Vorbereitung der OAs auf die graue Flotte?
Hufnagel: Ziel der MSA ist eine kompetenzorientierte Ausbildung, die es den OAs erlaubt, Boot und Besatzung seemännisch, navigatorisch und technisch sicher zu handhaben. Mit den erworbenen Fähig- und Fertigkeiten ist das Erlangen des Segelscheins fast ein Nebeneffekt. Aber in der Tat ist der Wiedererkennungswert zur grauen Flotte ein erklärtes Ziel. Die jungen Offiziere knüpfen nach dem Studium an das Gelernte an, haben gewisse Standardformate und Seeroutinen bereits verinnerlicht und können sie – angewandt auf ihren jeweiligen Einheiten – in der ersten A-wertigen Verwendung umsetzen. Der Vergleich zu einer Seeklarbesichtigung nach den Standards der Flotte ist beabsichtigt. Das schafft Handlungssicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Aus diesem Grund ist die MSA dreiphasig angelegt. Die MSA I ist mit einem Isex zu vergleichen, die MSA II geht als Dual Ship Exercise einen Schritt weiter und die MSA III ist an ein Squadex angelehnt.
Das bedeutet, dass die Militärische Segelausbildung auch für die Ausbildenden eine neue Herausforderung darstellt. Wie bereiten Sie die Bootsführer darauf vor?
Tief: Neben den Ausbildern der MSM haben wir schon immer auf Kameradinnen und Kameraden aus der Truppe und auf entsprechend befähigte Reservisten zurückgegriffen. Das wird auch zukünftig so sein. Allerdings gibt es mit der MSA kein Segeln mehr unter dem Motto „alles wie immer“. Wir legen mehr Wert als zuvor auf die Ausbildungsqualitäten der Bootsführer. Es reicht nicht, nur ein guter Segler zu sein, wir wollen auch den guten Ausbilder, die gute Ausbilderin, um Offiziere und OAs auf ihre zukünftigen Aufgaben und Tätigkeiten vorzubereiten. Wirkliches Führen durch Vorbild eben. Dazu gilt es, einen gemeinsamen Abholpunkt zu schaffen und alle Bootsführer in das Konzept MSA einzuweisen. Wir werden den Ausbildungsstandard harmonisieren und sicherstellen, dass die Bootsführer wirklich all das beherrschen, was sie vermitteln sollen. Dazu ziehen wir einmal jährlich alle externen Bootsführer heran, um sie hausintern zu schulen. Alle passionierten Segler der Marine sind willkommen, die unsere Standards ausbilden möchten. B- und C-Scheininhaber sind an dieser Stelle herzlich aufgefordert, mich zu kontaktieren.
Dann kommen die neuen Dienstsegelboote ja gerade richtig, um sie beim Konzept Militärische Segelausbildung einzusetzen. Wurden die Sunbeams 36.2 für diesen Zweck beschafft, oder wie kann es dazu?
Hufnagel: Die Boote werden dringend benötigt, denn praktische Bordausbildung ist unverzichtbar. Um dem Personalbedarf der Marine gerecht zu werden, bildet die Marineschule zudem in den letzten Jahren eine steigende Zahl von OAs aus. Zum einen mussten wir mit einer Ergänzungsbeschaffung auf diese Crewstärken reagieren, zum anderen sind die Dienstsegelboote vom Typ Nadine 24 und Hanseat 70B bereits seit fast 40 Jahren in der Nutzung. Wir pflegen sie gut und nutzen sie weiterhin, aber eine Erweiterung der Ausbildungsflotte war notwendig. Durch den Zulauf der Boote haben wir rund 25 zusätzliche Ausbildungsplätze generiert. Damit können wir den gesteigerten Ausbildungsbedarf sicherstellen und sind zukunftsfähig.
Zusammen mit dem Kommandanten der Gorch Fock, Kapitän zur See Nils Brandt, dessen Engagement und Expertise als Segler für den Erfolg der Beschaffung von ausschlaggebender Bedeutung waren, haben wir eine intensive Marktsichtung vorgenommen. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), und dort namentlich mit Martin Tenbergen, haben wir eine Leistungsbeschreibung erstellt, um die Anforderungen an ein Ausbildungsboot der Marine zu erfüllen. Dazu gehörten vor allem Sicherheitsvorgaben betreffend Ausrüstung und Festigkeit des Ausbaus sowie eine CE-Seetauglichkeitseinstufung in die höchste Kategorie A. Darüber hinaus wollten wir bewusst keine Rollsegel, denn das klassische Setzen, Bergen und Reffen der Segel gehört zu einer fundierten Segelausbildung. Aus den gleichen Gründen haben wir auf Lazy Jacks oder eine Ankerwinsch verzichtet.
Bei der Ausschreibung hat sich schließlich die österreichische Schöchl-Werft durchgesetzt. Die Endausrüstung nach den Bedürfnissen der Marine erfolgte durch die Mittelmann’s Werft in Kappeln. Ein zertifiziertes Qualitätssicherungssystem, bestehend aus der Baubegleitung durch den Germanischen Lloyd sowie die Abnahme durch die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (ehemals See-BG) rundeten die Auslieferung ab. Wir sind sehr froh, dass die Ergänzungsbeschaffung so schnell und reibungslos vonstatten ging. Sie ist ein positives Beispiel für die gelungene Kooperation von Marine, BAAINBw und ziviler Wirtschaft.
Herr Tief, Sie sind selbst passionierter Segler und haben ein eigenes Boot. Wie beurteilen Sie die neuen Ausbildungsboote?
Tief: (lacht) Die Ausbilder und ich sind sehr begeistert von den neuen Booten und ihrer Leistungsfähigkeit. Natürlich muss ein Bootsführer, der nur Hanseaten kennt, sich umgewöhnen. Das fängt schon mit dem Wechsel von Pinnensteuerung auf Radsteuerung an. Schließlich liegen zwischen Hanseat und Sunbeam schiffbaulich mehr als 40 Jahre Yachtdesign. Die Sunbeams steuern sich direkter, dynamischer und haben beim An- und Ablegen ein anderes Manövrierverhalten. Aber das kann man auch über Fregatten der Klassen 122 und 124 sagen, auf denen ich lange als Nautischer Offizier gefahren bin. Mit einer Länge von 11,20 Meter können wir die Sunbeam im gesamten Nord- und Ostseeraum einsetzen, denn sie sind um einiges seefester als zum Beispiel die 7,50 Meter langen Nadine 24. Die Sunbeam 36.2 beruht auf einer Georg-Nissen-Konstruktion aus dem Jahr 2010 und ist eine Weiterentwicklung der Sunbeam 34. Die Sunbeam 34 wiederum wurde 2008 zu „Europas Yacht des Jahres“ gewählt. Diese Vorzüge zeichnen sich ebenfalls bei unseren Booten ab. Die Nutzungsdauer ist auf 30 Jahre ausgelegt, sodass diese Boote für viele OA-Crews zum integralen Bestandteil ihrer praktischen seemännisch-nautischen Ausbildung werden. Und darüber freue ich mich als Segler und als Marineoffizier.
Vielen Dank für das Gespräch und allzeit gute Fahrt!
Fregattenkapitän d.R. Jan Heinsohn und Fregattenkapitän d.R. Oliver Kaus unterstützen die Segelausbildung an der Marineschule Mürwik.
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