Zerstörer Z2 der Bundesmarine, Foto: Bw

Zerstörer Z2 der Bundesmarine, Foto: Bw

Immer auf Höhe des Kriegsbilds

Heute wie vor hundert Jahren ist eine bedrohungsgerechte Flottenrüstung entscheidend. Doch genau daran mangelte es den deutschen Marinen.

„Willst du den Frieden, rüste zum Krieg“. Wann, wenn überhaupt, war die Flotte in 175 Jahren Marinegeschichte bedrohungsgerecht gerüstet, und sind wir es heute?

Das Kriegsbild ist die Grundvorstellung vom Wesen eines zukünftigen möglichen Kriegs, dessen Erscheinungsformen, Mitteln, Intensität sowie den Auswirkungen auf die militärische Kriegsführung. Es ist die Folie für eine allgemeine Strategie mit strategischen Zielen und daraus resultierenden Folgen der Ausrichtung militärischer Mittel auf operativer und taktischer Ebene. Wenn Seekriegsmittel eine Gesamtstrategie wirksam unterstützen, ist die Flotte bedrohungsgerecht aufgestellt. Die strategischen Betrachtungen des Kriegsbilds erfolgen auf der Grundlage des Ziel-Wege-Mittel-Ansatzes.

Nach Ende des Deutsch-Französischen Kriegs und der Annexion Elsass-Lothringens bestand eine unversöhnliche Feindschaft mit Frankreich. Dieser Konflikt definierte das Kriegsbild und damit die Bündnispolitik Otto von Bismarcks. Bismarcks Außenpolitik war darauf ausgerichtet, einen Zweifrontenkrieg mit Frankreich und Russland sowie eine Gegnerschaft zu Großbritannien unbedingt zu vermeiden. Sein Nachfolger, Reichskanzler Leo von Caprivi, strebte im Gegensatz zu Bismarck eine engere Allianz mit Österreich-Ungarn an, sodass sich die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das Deutsche Reich abzeichnete.

Leo von Caprivi 1880,Foto: Bundesarchiv

Leo von Caprivi 1880, Foto: Bundesarchiv

Unter der Ägide der Generale von Stosch und von Caprivi war der Marine die Aufgabe einer defensiven Küstenverteidigung mit offensiven Elementen zugewiesen. Mit dem Navalismus unter Kaiser Wilhelm II. und den Flottengesetzen von 1898 und 1900 begann die maritime Aufrüstung für eine Großmachtpolitik. Tirpitz’ Erfahrungen in den Herbstmanövern der Flotte bildeten die Grundlage des Ersten Flottengesetzes. In ihrer Grundkonzeption entsprachen sie Alfred Thayer Mahans Gedanken zur Seeherrschaft: eine offensive Strategie anzustreben, deren Wesensmerkmal die Seeschlacht ist.

Das strategische Ziel war das Erringen von Seemacht, die den Weltmachtstatus und den „Platz an der Sonne“ absichern sollte. Der Weg war ein offensiv geführter Geschwaderkrieg, das Mittel eine Schlachtflotte bestehend aus Linienschiffen und Kreuzern. Die zugrundeliegende Risikotheorie Tirpitz’ ging von einem Kräftedispositiv von zwei Dritteln der Flotte Englands in der Nordsee aus. Die Zeitspanne, in der gerüstet werden konnte, charakterisierte Tirpitz als Gefahrenzone. Innerhalb dieser Zone war ein überraschender, präventiver Überfall der Royal Navy nicht auszuschließen.

Doch bereits 1911 änderte die Royal Navy ihre Verteidigungsstrategie in der Nordsee. Statt einer engen Blockade sorgte die Fern- und Wirtschaftsblockade für eine passive Rolle der Hochseeflotte ohne den erhofften kriegsentscheidenden Einsatz – eine fleet in being.

Kritik innerhalb der Reihen der Marine, wie die des Marineoffiziers Curt von Maltzahn, konnte sich nicht gegen den von Tirpitz favorisierten Weg des Geschwaderkriegs durchsetzen.

Wenngleich die erfolgreiche britische Fernblockade nicht kriegsentscheidend war, bewirkte sie durch die Kontrolle von Seeverbindungslinien eine erhebliche wirtschaftliche Schwächung und Beeinträchtigung der Kriegswirtschaft des Kaiserreichs.

Somit war die Kaiserliche Marine zu Beginn des Ersten Weltkriegs kaum auf der Höhe des Kriegsbilds, obwohl die Rüstung auf Grundlage eines Ziel-Wege-Mittel-Ansatzes erfolgte. Die unveränderte Rüstung nach dem Seestrategiewechsel ab 1912 erwies sich als confirmation bias des Kaiserreiches: Die Sichtweise und der eingeschlagene Weg veränderten sich nicht. Die neue Lage wurde ausgeblendet und ignoriert, die tirpitzsche Risikoflotte erwies sich als ungeeignetes Seekriegsmittel.

Reichsmarine und Kriegsmarine

Durch den als unzureichend empfundenen Einsatz im Ersten Weltkrieg und den als empfundene „Schmach“ bezeichneten Matrosenaufstand fürchtete die Marine in der Zeit zwischen den Weltkriegen um ihre Existenz und Legitimation. Der Versailler Vertrag beschränkte die Reichsmarine auf eine Küstenmarine mit einer Personalobergrenze von 15 000 Mann.

Ab 1922 war das Ziel maritimer Rüstung auf die Verteidigungsfähigkeit in einem Zweifrontenkrieg gegen Polen und dessen Bündnispartner Frankreich ausgerichtet. Den Schwerpunkt sollte der Ostseeraum bilden. Die Strategie war defensiv, verbunden mit taktisch-offensiven Elementen. Priorität hatte der Schutz überseeischer Handelsverbindungen, der im Falle einer unmittelbaren Bedrohung der Küsten zurückstellt werden sollte. Durch diese Festlegung rückten andere Seekriegsmittel in die strategischen Planungen als diejenigen, die ausschließlich für eine Küstenmarine erforderlich gewesen wären.

Die Frage, ob Deutschland große Kriegsschiffe brauche, bejahte Admiral Erich Raeder als Chef der Marineleitung und bezog sich auf Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, auf den Handelskrieg in der Offensive, geführt durch Kreuzer sowie die defensive Absicherung eigener Seeverbindungslinien.

Eine offene Auseinandersetzung mit England musste in diesem Szenario unbedingt vermieden werden. Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg entwickelte Raeder die Seekriegsführung und damit den Weg zur Zielerreichung entscheidend weiter. Eine ozeanisch weiträumige Kreuzerkriegsführung sollte durch die Diversionswirkung die heimatliche Front entlasten. „Schneller als die Starken, stärker als die Schnellen“, das Seekriegsmittel Panzerschiff A entsprach diesen Überlegungen. Adolf Hitlers totalitäre Ziele, wie die Lebensraumerweiterung im Osten, machten eine Revision des Kriegsbilds unumgänglich.

Mit dem Kriegsausbruch 1939 zeigte sich, dass der kurz vorher forcierte Z-Plan und dessen Planungshorizont bis 1946 nicht zur erfolgreichen Auseinandersetzung mit England führen konnte. Die Überwasserstreitkräfte waren hoffnungslos unterlegen.

Massenkundgebung vor dem Reichstag gegen den Versailler Vertrag 1919
Foto: Bundeszentrale für Politische Bildung/Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Massenkundgebung vor dem Reichstag gegen den Versailler Vertrag 1919, Foto: Bundeszentrale für Politische Bildung/Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Vor der Machtergreifung machten Nachkriegswirren und Auflagen des Versailler Vertrags einen strukturierten Durchlauf eines Ziel-Wege-Mittel-Ansatzes zumindest für eine Dekade unmöglich. Eine operative Planung in den Dreißigerjahren konnte durch die drastische Erweiterung strategischer Ziele nach diesem Ansatz nicht mehr erfolgreich umgesetzt werden. Wie bereits im Ersten Weltkrieg befand man sich erneut in der Zwangslange eines andauernden Wirtschaftskriegs, anstatt eines erhofften kurzen, siegreichen Kriegs.

Die Marine, weit unterhalb einer kritischen Größe, konnte als Mittel keine ausreichende Wirkung ausüben. Für einen potenziell erfolgreicheren Kreuzerkrieg fehlte es an Einheiten nebst Distribution der Seekriegsmittel. Fehlten der Kaiserlichen Flotte ausreichende und geeignete Stützpunkte, so mangelte es Hitlers Kriegsmarine an Flotte.

Bundesmarine während des Kalten Krieges

Das Ende des Zweiten Weltkriegs führte nahezu übergangslos in die Phase des Kalten Kriegs mit zwei entgegengesetzten Kriegsbildern: auf der einen Seite die USA, anfangs mit Kernwaffenmonopol, und als potenzieller Gegner die UdSSR mit einer großen konventionellen Schlagkraft. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Beitritt zur NATO 1955 ordnete das einst nach Weltmacht strebende Land in eine bipolare Weltordnung ein.

Erstmalig wurden strategisches Ziel und Kriegsbild in Abstimmung mit den Siegermächten und Verbündeten extern definiert. Dies sollte einen russischen Flottendurchbruch aus der Ostsee heraus verhindern, der gegen Versorgungslinien nach Europa im Raum des Atlantiks operiert.

Der Weg bestand in der Nutzung des Wehrpotenzials der Bundesmarine; entsprechend der von der NATO vorgegebenen Mindeststärke für Ausrüstung und Ausbildung und den erforderlichen Seekriegsmitteln im Rahmen eines Planungshorizonts bis 1963.

Obgleich ein Ziel-Wege-Mittel-Ansatz konsequent verfolgt wurde, blieb der Umfang der Seekriegsmittel in den Sechzigerjahren im Vergleich zum Sowjetblock zu gering, um eine erfolgreiche Verteidigung der Ostsee ohne NATO-Unterstützung zu gewährleisten. Ab 1960 folgten drei Dekaden konsequenten Rüstens nach NATO-Vorgaben, um die Marine bis in die 1980er-Jahre zukunftsfähiger aufzustellen und qualitativ zu modernisieren. Die Marine erweiterte den Raum einer potenziellen erfolgreichen Verteidigung bis in die mittlere Ostsee.

Somit wurde zum ersten Mal in der deutschen Marinegeschichte die sogenannte Gefahrenzone verlassen; die Marine befand sich auf der Höhe des Kriegsbilds. Es ist evident, dass der Ziel-Wege-Mittel-Ansatz lange und konsequent genug verfolgt werden muss, um am Ende über Seekriegsmittel in ausreichender Anzahl zu verfügen. Damit konnte durch das ausgeglichene Kräftepotenzial und die Offensivfähigkeit ein Krieg beider Blöcke verhindert werden.

Die Deutsche Marine

Mit dem Ende des Kalten Kriegs begann eine Neuorientierung: Einerseits die Suche nach neuen Zielen und zum anderen das internationale Krisenmanagement (IKM) mit der Operation Enduring Freedom nach dem 11. September 2001. Mit der Verlegung von Einheiten in den Indischen Ozean und Schlagworten wie constabulatory missions und responsibility to protect wird eine neue militärische Welt mit neuen Ableitungen von Wegen beschrieben. Konsequent werden diese Konzeptionen in den Streitkräften des Bündnisses in neue Wege-Mittel-Ansätze umgesetzt. Die Fregatten der Klasse 125 stellt ein Seekriegsmittel entsprechend dieser Überlegungen dar – einen Kompromiss aus Standkraft, Selbstverteidigung und IKM-Befähigung. Die Kulminationspunkte zwischen 2014 und 2015 evozieren zwei strategische Herausforderungen: die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie die Flüchtlingskrise – ein Dilemma für die politische Zielbildung.

Die strategische Ausrichtung aus dem Weißbuch 2016, der Konzeption der Bundeswehr, dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr, und den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 verdeutlichen, wie überholt und wenig aktuell diese Zielbildung im Vergleich zu Nationen wie den USA ist. Es mangelt an konkreten und kaskadierend abgebildeten Vorgaben.

Schlüsselfaktoren

Auch der angekündigten Zeitenwende fehlt ein konkret definiertes Kriegsbild und die klare Ableitung in strategischen Grundlagendokumenten. Es mangelt an einer nationalen Sicherheitsstrategie nebst einer zyklischen und ergebnisoffenen Anpassungsmöglichkeit. Genau dies erscheint in Zeiten wechselnder strategischer Herausforderungen essenziell. Das Fehlen einer nationalen Sicherheitsstrategie kann nicht länger als „charmant“ und „flexibel“ bezeichnet werden, wenn Deutschland eine Führungsrolle anstrebt. Als Teil des „Grundpfeilers konventioneller Verteidigung“ sind IPD und internationales Krisenmanagement neben dem eigentlichen Schwerpunkt Landes- und Bündnisverteidigung schwer simultan zu bestreiten.

Fregatte Baden-Württemberg, Typschiff der Klasse 125, Foto: Bw/Carsten Vennemann

Fregatte Baden-Württemberg, Typschiff der Klasse 125, Foto: Bw/Carsten Vennemann

Wie schon für Tirpitz, ist auch für uns die Gefahrenzone ein wichtiger Faktor. Das Erfassen und die Kontrolle der Zeitachse, in der gerüstet werden kann, ist entscheidend, um auf Höhe des Kriegsbilds zu sein und zu bleiben. Auch die Zeit vor der Erfüllung des NATO New Force Model sowie das sich daraus ergebende Zielbild Marine 2035+ kann als Gefahrenzone bewertet werden. Die geforderte „Kaltstartfähigkeit“ erreichen wir nur unter der Voraussetzung, dass erforderliche Mittel zum Konfliktbeginn kampfbereit zur Verfügung stehen. Authentizität und Commitment auf europäischer Ebene werden nur dann sichtbar, wenn wir die Ziele erreichen, ohne ein Zielbild weiter in die Zukunft zu verschieben. Die Annexion der Krim und der Angriffskrieg auf die Ukraine haben gezeigt, dass wir willens und fähig sein müssen, zukunftsfähig zu rüsten und aus der Geschichte zu lernen. Das erfordert einen politisch nachhaltigen Willen, eine entsprechende Finanzierung und die kritische Evaluation aller unserer Prozessstrukturen.

Gewiss waren Flotte und Seekriegsmittel nie in ausreichender und gewünschter Stärke oder Form vorhanden. Eine Gefahrenzone existierte zu allen Zeiten. Wir sind angehalten, strategisch und zielgerichtet zu planen und zu rüsten. Wir dürfen keinem confirmation bias unterliegen, indem wir uns selbst bestätigen, dass unsere Seekriegsmittel herausragend geeignet sind. „Braucht Deutschland große Kriegsschiffe?“ – Ja, allerdings müssen sie in Zeiten hybrider maritimer Kriegführung einen signifikanten Beitrag leisten, der Größe und Kosten im System rechtfertigt – capacity and capability.

Joachim Mrnka

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