Zur Ausbildung nutzt
die Marine auch den EC 135, Foto: Bw/Höser

Zur Ausbildung nutzt die Marine auch den EC 135, Foto: Bw/Höser

Priorität Ausbildung?

Die Ausbildung des fliegenden Personals ist langwierig und kostenintensiv. Der Blick ins Ausland zeigt, wie innovative Konzepte die Verfügbarkeit von Personal und Material erhöhen könnten.

Anfang April wurde die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Eva Högl, mit folgender Aussage zur Bundeswehr zitiert: „Die Herausforderung beim Personal ist noch größer als beim Material.“ Zwar war und ist die Beschaffung von modernen Waffensystemen, Munition und Ersatzteilen in gewisser Weise Voraussetzung für eine erfolgreiche Personalgewinnung, doch hat Högl recht.

Was aber tun, um eine Personalmisere abzuwenden? Genügt es, mehr Werbung für die Streitkräfte zu machen? Bedarf es finanzieller Anreize, oder sind Rahmenbedingungen zu ändern? Werbung ist durchschaubar. Bildet sie nicht die Realität ab, ist sie kontraproduktiv, erzeugt falsche Erwartungen und zieht die falsche Zielgruppe an. Finanzielle Anreize sind meist nur kurzzeitig wirksam und können von zivilen Arbeitgebern noch flexibler genutzt werden, sodass hier nur bedingt Erfolg zu erwarten ist.

Blick aus einem EC 135, Foto: Bw/Höser

Blick aus einem EC 135, Foto: Bw/Höser

Also müssen es die Rahmenbedingungen sein. Moderne Menschenführung und das Eingehen auf die Bedürfnisse junger Menschen sollten dabei eine Selbstverständlichkeit sein. Andere Stellgrößen sind kaum veränderbar. Panzer fahren, an Luftfahrzeugen schrauben oder zur See fahren kann man nicht im Homeoffice. Auslandseinsätze werden immer Gefahren beinhalten sowie mehrmonatige Abwesenheiten erfordern und Kasernen können nicht flächendeckend in attraktive Bevölkerungszentren verlegt werden. Vorhandene Spielräume bei der Gestaltung von Homeoffice und Telearbeit, Elternzeit und ähnlichem hat die Bundeswehr schon jetzt flexibler genutzt als viele erwartet hätten.

Welche Möglichkeiten haben wir noch? Neben der Reduzierung des Personalbedarfs, zum Beispiel über Automatisierung, KI-basierte Unterstützung und unbemannte Systeme, bietet die Ausbildung einen effektiven Hebel. Moderne Ausbildung an sich kann schon attraktiv sein, den Einsatzwert eines Soldaten und seiner Ausrüstung erhöhen – und Zeit sparen. Mit jedem so gewonnenen Tag erhöht sich die personelle Verfügbarkeit in der Kernaufgabe Einsatz und reduziert sich der Regenerationsbedarf.

Piloten wie Luftfahrzeugoperationsoffiziere erhalten neben der fliegerischen und der Offizierausbildung in der Regel ein Studium. Insgesamt durchlaufen sie damit etwa zehn Jahre Ausbildung, bis sie einsatzbereit als Pilot oder taktischer Offizier zur Verfügung stehen. Daraus ergibt sich für Zeitsoldaten eine Verfügbarkeit von lediglich fünf bis sechs Jahren auf dem Dienstposten, für den sie ausgebildet wurden. Ein Verhältnis von 2 : 1 zu Ungunsten des „Einsatznutzens“! Bei Berufssoldaten ist das Verhältnis kaum besser, da sie zu einem ähnlichen Zeitpunkt in die Stabsoffizierausbildung gehen und danach in den fliegenden Staffeln oft keinen Dienstposten mehr finden oder im Schwerpunkt organisatorische Aufgaben zu erfüllen haben.

Flugbetrieb ist immer Teamarbeit, Foto: Bw/M. Mey

Flugbetrieb ist immer Teamarbeit, Foto: Bw/M. Mey

Technologie macht unabhängig

Moderne Ausbildung kann noch etwas: Geld sparen und kostenintensive Waffensysteme für den Einsatz freisetzen. Eine Flugstunde in einem modernen Waffensystem kostet mehrere Zehntausend Euro. Ein Grund für diese hohen Kosten ist die Wartungsintensität komplexer Systeme. Konsequenz ist eine eng begrenzte Verfügbarkeit der Luftfahrzeuge in der ständigen Abwägung zwischen Ausbildungs- und Einsatzerfordernissen. Schon zivile Ausbildungsmuster kosten im Unterhalt oft nur ein Bruchteil der militärischen Waffensysteme, können aber erhebliche Teile des Ausbildungsbedarfs abdecken. Simulationsmöglichkeiten können den Kostenfaktor nochmals drücken und dabei einsatznahe Szenare abbilden, die man nicht einmal im originären Waffensystem üben kann. Neben dem vollbeweglichen Flugsimulator haben sich über die Jahre zunehmend Systeme durchgesetzt, die ohne dreiachsige Beweglichkeit auskommen oder nur einzelne Aufgaben oder Prozesse abbilden (sogenannte part task trainer und procedure trainer). Darüber hinaus ermöglicht die Technik inzwischen auch die Herauslösung der Ausbildung aus dem Klassenzimmer. Virtual, augmented und mixed reality training machen die technische wie fliegerische Ausbildung unabhängig von Lehrplänen und Schulgebäuden. Sie greifen Lerngewohnheiten der Generation Z auf, sind einprägsamer, machen Inhalte erlebbar und damit effektiver, schneller und nachhaltiger vermittelbar. Wartezeiten auf den Beginn von Ausbildungsabschnitten werden verringert und Möglichkeiten geschaffen, Teilabschnitte in Telearbeit zu absolvieren.

KSK-Soldaten springenaus einem Sea King, Foto: Bw/Lehmann-Götz

KSK-Soldaten springen aus einem Sea King, Foto: Bw/Lehmann-Götz

Doch unterliegen nicht nur die Ausbildungsmittel einer Doppelbelastung durch Ausbildungs- und Einsatzerfordernisse, sondern auch das Lehrpersonal. In Zeiten knapper Flugstundenkontingente sind es oft die Lehrberechtigten, die über die meiste Erfahrung verfügen und in Einsätzen gefordert sind. Sind sie im Einsatz, ruht die Ausbildung, und es werden keine Erfahrungsträger für den Einsatz von morgen gewonnen. Das ist weder attraktiv noch effektiv. Schnelle Abhilfe verspricht ein Zusammenwirken mit der Industrie.

So eingängig Nutzen und Kostenersparnis sind, so schwer tut sich die Bundeswehr noch, Vorteile daraus zu ziehen. Zugegeben, outsourcen genießt zu Recht nicht überall den besten Ruf. Nicht alles kann die Industrie besser oder günstiger als die Bundeswehr. Viele Unterfangen mussten kostenintensiv zurückgedreht werden, um Bedarfe zu decken und Steuerungshoheit zurückzugewinnen. Andererseits passen Beschaffungsprozesse der Bundeswehr noch immer nicht mit schnelllebigen, gerade digitalen Entwicklungen zusammen, und ein heute nötiger zusätzlicher Ausbilder in Uniform hätte schon vor zehn Jahren eingestellt werden müssen. Es kommt also auf den richtigen Mix und enge Begleitung an.

Einfach, verfügbar, günstig

Mit dem Light Utility Helicopter Streitkräfte (LUH SK) als künftigem Ausbildungsmuster der Hubschrauberbesatzungen hat die Marine solch einen Pfad eingeschlagen. So muss kein eigener Ausbildungshubschrauber beschafft oder entwickelt werden, genauso wenig wie Infrastruktur, Techniker oder Fluglehrer. Nichts davon wäre vorhanden oder schnell genug beschaffbar. Stattdessen soll eine zivile Firma nach den engen Vorgaben der Marine Ausbildungsinhalte auf einem zivilen, aber in Flugführung und Missionssteuerung dem Marinehubschrauber NH 90 ähnlichen Muster vermitteln. Standards werden von der Marine überprüft, die Ausbildung aber zivil geleistet. Ziel ist die Heranführung junger Besatzungsmitglieder von der Hubschraubergrundausbildung am Internationalen Hubschrauberausbildungszentrum des Heeres in Bückeburg an maritime Aufgaben, das komplexe Waffensystem der Marine, ein Crew-Konzept und natürlich die maritime Umgebung einschließlich des Flugbetriebs an und von Bord eines Schiffs. Ausbildungsanteile, die sonst auf den teuren und knapp verfügbaren Einsatzmustern der Marine von Einsatzpiloten geleistet werden müssten. Mitte 2024 soll es soweit sein. Gerade noch rechtzeitig, um den Umstieg auf Sea Lion und Sea Tiger, die Marinevarianten des NH 90, abzusichern.

Demonstrator für Part TaskTrainer mit Augmented Reality, Foto: Bw/Lehmann-Götz

Demonstrator für Part Task Trainer mit Augmented Reality, Foto: Bw/Lehmann-Götz

Zahlreiche Ansätze gibt es auch für Simulationsaufgaben. Das Spektrum reicht von der App für das private Handy mit nicht eingestuften, gar gamifizierten Ausbildungsinhalten über Virtual-Reality-Brillen zum Erleben von Einsatzaufgaben bis zu weitgehend ortsfesten Konsolen mit Flugsimulationssoftware und Pilotenstuhl. Die Marineflieger haben hier bereits mehrere business cases gemacht und viel Zustimmung geerntet. In ein konkretes Projekt ist bislang jedoch keine der Ideen überführt worden. Trotz vieler Innovationsschmieden fehlt es am strukturierten Transfer guter Ideen in die Regelbeschaffung.

Eine weitere Lücke in der fliegerischen Ausbildung tut sich bei der für die Flugdeckausbildung nötigen Plattform auf. Eine in Einsätzen stark geforderte, aber geschrumpfte, überholungsbedürftige Flotte kann dies immer weniger leisten, während der Bedarf mit Aufwuchs und Umschulung der Marineflieger rasant steigt.
Egal wie einsatzbereit eine Flotte ist, eine militärische Einheit wird immer personalintensiver und teurer sein als ein Ausbildungsschiff. Eine angemietete Einheit würde 60 000 bis 70 000 Euro pro Tag kosten und planbar zur Verfügung stehen. Die Kosten einer Fregatte liegen bei rund 200 000 Euro pro Tag, wobei das Schiff nicht einmal planbar für Ausbildung bereitsteht. Dieses Manko könnte sicherlich im Rahmen eines Verfügbarkeitsmanagements optimiert werden. Aus dem Mangel würde damit jedoch bestenfalls ein optimierter Mangel. Warum also eine Flotte ausplanen, die den Trainingsbedarf zu 100 Prozent deckt, statt sich auf Einsatz und einsatznahe Ausbildung zu konzentrieren?

Aus der Not heraus geboren, nicht ausreichend Seetage der Kampfeinheiten für benötigte Ausbildungsabschnitte generieren zu können, hat die Royal Australian Navy bereits Anfang 2018 das zivile Schiff Sycamore als Multi-role Aviation Training Vessel (MATV) in Dienst gestellt. Neben der Hauptaufgabe Flugdeckausbildung von Hubschrauberbesatzungen steht die Sycamore mit ihrer Besatzung von lediglich 19 Personen auch für das Training von Tauchern und Navigationsoffizieren sowie für Übungen zur Minenabwehr und Torpedobergung zur Verfügung. Ging man zunächst von einem Bedarf von etwa 100 Seetagen pro Jahr aus, denkt man Down Under trotz einer Kapazität von mehr als 300 Seetagen aufgrund der hohen Auslastung bereits über eine zweite Einheit nach.

Bedarf überall

In vielen europäischen Marinen bestehen vergleichbare Bedarfe. Eine durch die niederländische Marine für 2022 und 2023 geplante Testphase mit einem gecharterten Offshore-Bohrinselversorger ist lediglich an fehlenden Haushaltsmitteln gescheitert. Großbritannien und Norwegen artikulieren Bedarf, hoffen jedoch darauf, sich dem entsprechenden Projekt einer anderen Nation anschließen zu können.

Für die Deutsche Marine wird der Bedarf seit Jahren formuliert. Angesichts höher priorisierter Beschaffungsprojekte für fliegende wie schwimmende Kampfeinheiten wurde das Leasing einer zivilen Ausbildungseinheit aber bislang nicht realisisert. Auch standen einer Umsetzung Überlegungen entgegen, dass die Flugdeckausbildung nicht nur für die Decklandequalifikation fliegender Besatzungen erforderlich ist, sondern auch für das Brücken-, OPZ- und Flugdeckpersonal der Schiffe und Boote. Idealtypisch sollte also diese Ausbildung dem Prinzip train as you fight folgend auch auf den Einheiten erfolgen, die über ein Flugdeck verfügen.

Landung eines NH 90 auf dem EGV Bonn, Foto: Bw

Landung eines NH 90 auf dem EGV Bonn, Foto: Bw

An der nicht vorhandenen Kapazität, um Seetage für eine solche Ausbildung verfügbar zu machen, änderte dies jedoch nichts. Bei der Priorisierung anderer Vorhaben wurde somit nicht ausreichend berücksichtigt, dass eine Trainingseinheit, die bis zu 300 Seetage ausschließlich für verschiedene Ausbildungszwecke zur Verfügung steht, mindestens ebenso viele Tage wesentlich personal- und kostenintensivere high value assets der Deutsche Marine für Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen freisetzt.

Dabei bieten zivile Unternehmen durchaus die Beschaffung oder gar Bereitstellung existierender Einheiten an, die, analog zur australischen Sycamore, neben Flugdeckausbildung im Bedarfsfall auch Taucher- und Navigationsausbildung in Nord- oder Ostsee leisten könnten. Eine Realisierung wäre industrieseitig bereits 2025 möglich und ein Leistungsbeginn würde vermutlich durch bundeswehrinterne Vergabeprozesse definiert werden. Ähnlich wie anfangs die australische Marine, hat die Deutsche Marine perspektivisch einen Bedarf von rund 110 Seetagen für Decklandequalifikationen, Flugdeck- und Helicopter-Controller-Ausbildung sowie Inübunghaltung. Allein dafür wäre aus wirtschaftlicher Betrachtung die Anmietung einer Ausbildungseinheit äußerst sinnvoll. Da auch die Ausbildungsboote der Marine erst gegen 2028 erwartet werden (Projekt Seebasierte Ausbildung Marine und Seeversuche - ohne Flugdeck, SAMSe) könnten übergangsweise sogar weitere Ausbildungslücken geschlossen werden. Betrachtet man Ausbildungsbedarfe und Potenziale für Taucher, Minenabwehr und weitere Felder sowie das Interesse anderer NATO-Marinen im Nordseeraum, wäre es kaum überraschend, wenn auch diese Einheit schnell an ihre Kapazitätsgrenze von 300 Seetagen käme.

Die Marine hat auch hier den Stein ins Rollen gebracht. Jetzt kommt es auf das Planungsamt an, einen Weg zur Realisierung zu finden. Für die Deutsche Marine bedeutet dies nicht nur eine erhöhte Verfügbarkeit ihrer wertvollen und teuren Kampf- und Unterstützungseinheiten. Es würde auch eine deutliche Beschleunigung der fliegenden und technischen Ausbildungsgänge bewirken sowie zur Professionalisierung und Steigerung der Attraktivität beitragen. Hochwertpersonal der Streitkräfte würde schneller und besser ausgebildet, länger für ihre eigentliche Aufgabe zur Verfügung stehen. Ein Grundstein gegen die Personalmisere im Sinne der Wehrbeauftragten wäre gesetzt.

Thorsten Bobzin

Kapitän zur See Thorsten Bobzin ist Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung.

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