Ursprünglich als Präsenzveranstaltung vorgesehen, durften sich die Teilnehmer der Maritime Convention in diesem Jahr den zweiteiligen Vortragsbogen zu China! Maritimer Treiber für Europa?! via Webinar einverleiben. In gewohnt versierter Weise führte der DMI gemeinsam mit griephan durch die Veranstaltung.
Die Leitfrage des ersten Panels China ist Ostseeanrainer? beantwortete der Botschafter der Republik Singapur in Deutschland, Herr Laurence Bay, in einer Umkehrung des Tatbestands: Deutschland und die EU seien Anrainer am Südchinesischen Meer. Nicht nur in der Präsenz europäischer Handelsschiffe in diesem Seegebiet und in den zahlreichen Niederlassungen europäischer Firmen in dieser Region, allein mehr als 2.000 in Singapur, sieht er dafür einen Beweis. Mit den zahlreichen Initiativen wie der Verbindung zum Information Fusion Center, zu dem europäische Länder auch Personal entsenden, die gemeinsamen Aktivitäten gegen Piraterie und letztendlich auch das Verfügbarmachen von Anti-Covid-19-Vakzinen, untermauerten seine Position. Es bedürfe keiner physischen Grenzen, um dazu zu gehören. Wobei die südostasiatischen Staaten offen seien für eine Verstärkung dieser Zusammenarbeit.
Dies betreffe auch die Marinen. Der Botschafter des Stadtstaates warnte gleichzeitig vor den Grenzen derartigen Engagements. Einen strategischen Stau gälte es zu vermeiden. Zwischenfälle, die zu unkontrollierbaren Reaktionen führen könnten, lägen nicht im Interesse der Anrainerstaaten. Friedliche Lösungen seien anzustreben. Sein Plädoyer für deutsches und europäisches Engagement in Südostasien endete mit dem Verweis darauf, dass im Dezember 2020 die Europäische Union und der Verbund Südostasiatischer Nationen (ASEAN) nach fast 45-jährigem partnerschaftlichen Dialog ihre Beziehung zu einer strategischen Partnerschaft ausgebaut haben.
Dem zweiten Teil der Fragestellung Strategisch-operative Planung neu denken! näherte sich Kapitän zur See Sascha-Helge Rackwitz, Büroleiter des Abteilungsleiters FüSK im Bundesministerium der Verteidigung, auf der Basis der Indo-Pazifik Leitlinien an. Resümierend ginge es in der Beantwortung der Frage einer stärkeren maritimen Präsenz in der indo-pazifischen Region am Ende auch darum, ein konstanter Partner zu sein. Wobei man sich bewusst sein sollte, dass man als solcher auch an der Schraube des Gleichgewichtes drehe. Womit er den Bogen zurück nach Europa schlug. Wenn die Amerikaner sich nach Asien wenden, dann „müssen wir in Europa ausbalancieren“.
Wandel durch Handel?
Im zweiten Panel Abhängigkeiten, Werte & ökonomischer Erfolg: Handlungsdruck der Wirtschaft? kreuzten Hanna Müller, Referatsleiterin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), die argumentativen Klingen. Moderiert wurde das Panel von Dr. Sarah Kirchberger, Vizepräsidentin Deutsches Maritimes Institut. In ihrem Austausch wurde das Schisma der deutschen Positionen zu China deutlich. Hier die Sinologin, eine durch ihre Tätigkeiten vor Ort langjährige Kennerin des Reichs der Mitte, die sich, als persönliche Meinung vorgetragen, kritisch mit den von China ausgehenden Risiken auseinandersetzt. China sei eben kein Wertepartner, vielmehr ein Wettbewerber und ein systemischer Rivale. Beijing stelle sich zwar offen dem Systemwettbewerb, stelle aber aus seinem Blickwinkel das westliche System als die Herrschaft des Kapitals in Frage. Insofern bleiben wir mehr oder weniger subtil Bedrohungen ausgesetzt – bis hin zur hybriden Bedrohung unserer demokratischen Grundordnung.
Demgegenüber stehend unterliegen die Unternehmen wohl zu sehr dem wirtschaftlichen Erfolgsdruck, oder scheinen nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, was um sie herum vorgeht. China soll als Partner eingebunden werden – "Handel durch Wandel" als handlungsbestimmendes Prinzip. In der sich in Selbstverantwortung sehenden Wirtschaft wird die Risikoabschätzung dem Wettbewerbsdruck geopfert.
Der eine oder andere Teilnehmer der Maritime Convention mag sich die Frage nach der Ursache dieser Divergenz gestellt haben. Es scheint als erreichen die politisch Handelnden die Akteure nicht. Liegt es daran, dass die einen Vorgaben erstellen, ohne den anderen die Rationalität dahinter zu erklären? Ein besserer Informationsfluss scheint geboten. Im Sinne einer klassisch militärischen Befehlsgebung sollte die Absicht des Vorgesetzten besser kommuniziert werden – einschließlich einer besseren Aufklärung über die angewendeten Methoden und Instrumente. Wobei andererseits auch anzumerken ist, dass die politischen Signale in Europa keine eindeutige Sprache gegenüber den Wirtschaft und Handel Treibenden sprechen.
Eine abschließende Beantwortung der Leitfrage – das ist nicht das ultimative Ziel der Maritime Convention. Es gelang ihr jedoch abermals, in der kontrastierenden Vorstellung von Standpunkten, das Lagebild zu schärfen. Wünschenswert ist, dass diese Überlegungen eine breitere Öffentlichkeit fänden.
Zur Lage der Deutschen Marine
Ebenso wie die als Schlusspunkt gesetzten Keynotes des Inspekteurs der Marine. Der weilte zum Zeitpunkt der Maritime Convention in Paris beim Indian Ocean Naval Symposium. Eine ungewollte Koinzidenz, geht es doch auch hier um maritime Sicherheit im Indik, bei der Akteure aus dem südostasiatischen Bereich zumindest als Beobachter mitwirken. Konteradmiral Jürgen zur Mühlen, Kommandeur Einsatzkräfte und Abteilungsleiter Operation im Marinekommando, übernahm den Beitrag.
Für den Inspekteur der Marine gibt es neben vielen Herausforderungen auch gute Nachrichten. Immerhin stünde die Marine vor der umfangreichsten Erneuerung ihrer Flotte seit Jahrzehnten. Die 25 Millionen-Vorlagen für den Erwerb von U212CD, für die Nachfolge P3C Orion, für Fregatte F 126, für die Nachfolge der Betriebsstoffversorger und der Flottendienstboote, sowie für die Nutzungsdauerverlängerung der Fregatte F 123 passierten im Juni des Jahres die parlamentarische Hürde. Damit seien wichtige Projekte angestoßen. In Zukunft benötigt die Marine weitere Modernisierung für ESSM Block II, für die Entwicklung der Fregatte F 127, für die Ablösung der Minenabwehreinheiten und der Tender/MUsE. Er habe auch die Obsoleszenzbeseitigung oder der Ersatz von U212 erstes Los, die Obsoleszenz der Fregatte F 124, sowie das Projekt Seemine zu berücksichtigen.
Darüber hinaus steht die Marine vor wirklich großen Problemen. Wie schon zu anderen Gelegenheiten, scheut sich der höchste Repräsentant der kleinsten Teilstreitkraft nicht, sie als solche auch öffentlich anzusprechen. Rechtliche Vorgaben ohne Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse nehmen der Marine den Entscheidungsspielraum und stellen ihr immer weitere Hürden in den Weg. Instandsetzungs- und Beschaffungsvorhaben verzögern sich viel zu oft. Die Auftragserfüllung (Instandsetzung und Beschaffung) im verabredeten Zeitrahmen scheint im Wirkungsdreieck BAAINBw – Industrie – Marine nicht (mehr) möglich. Die verbleibenden Einheiten sind mit der Erfüllung von Aufträgen langfristig ausgelastet – ein Training des hochintensiven Gefechts scheitert regelmäßig am Mangel von dafür nutzbaren Lücken im Jahresübungs- und -erhaltungsplan. Für die Marine ist es essenziell, dass der Beginn und der Abschluss der Werftliegezeiten planmäßig, termingerecht und mit den vertraglich vereinbarten Leistungen erfolgt. Hier sind in den Augen des Inspekteurs und seines Stabes alle Beteiligten gefordert. Zurzeit fehlt es an klaren Verfahren, Regeln und an Managementfähigkeiten.
Fußabdruck der Marine
Mit Blick auf die neue Bundesregierung hängt die Kursbestimmung gegenwärtig. Hinter Umfang und Finanzierung der Streitkräfte stehen Fragezeichen. Dabei ist absehbar, dass die Pandemie nicht ohne Auswirkungen auf den Verteidigungshaushalt bleiben wird. Die Marine versucht in der Entwicklung des Koalitionsvertrages Duftmarken zu setzen. Dabei geht es um die Konkretisierung und die weitere Ausformung des Marineschiffbaus als Schlüsseltechnologie. Zum Erhöhen der Einsatzbereitschaft sowie zum Beschleunigen von Beschaffung und Instandsetzung möchte die Marine den Systemhausgedanken vorantreiben. Gemeinsam mit den anderen Teilstreitkräften wird auf eine Änderung der Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV) hingewirkt. Die Ausnahmetatbestände sind zum Erhalt der Einsatzfähigkeit zu erweitern.
Der Inspekteur der Marine sieht im Eckpunktepapier, auch wenn es durch den anstehenden Regierungswechsel nicht mehr das zentrale Dokument sein dürfte, „echte Chancen für die Marine“. (Anmerkung des Verfassers: nach hier vorliegenden Informationen werden die Arbeiten fortgeführt, um nach Konstituieren der neuen Bundesregierung Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise herbeizuführen.) In seinem Haus hat der Inspekteur Prüfungsaufträge erteilt. Zum einen soll eine Anpassung der Führungsorganisation dahingehend erfolgen, Einsparpotenziale zu ermitteln (weniger Stäbe, mehr Truppe) und operativ schlagkräftiger zu werden. Vizeadmiral Schönbach kann sich eine Trennung der zwei Kommandos (Inspekteur-Befehlshaber) in einem Haus vorstellen. Darüber hinaus verfolgt er die Aufstellung eines Maritime Warfare Center und den Gedanken eines Systemhauses See. Gerade letzteres sei ein "dickes Brett", so der Inspekteur, doch erste Überlegungen zum Thema Marineunterstützungskommando – Arsenal seien schon unterwegs.
Was die Einsatzausbildung betrifft, so soll "Kämpfen können" stärker betont werden. Um Raum für mehr Einsatzmöglichkeiten und höheres Operationstempo zu schaffen, beantragte die Marine, weniger Schiffe (ausgenommen Minenabwehreinheiten) für die NATO-Verbände abzustellen. Mit der Absicht, die multidimensionale Seekriegsführung stärker zu beüben, werden Kooperationsmöglichkeiten mit anderen NATO-Partnern, insbesondere ein "Andocken" an Flugzeugträgergruppen, gesucht.
Helfende Hände
Auf die aktuelle Lage kommend betont der Inspekteur, dass die Marine auch in Zeiten von Covid-19 übt, fährt und fliegt und alle Verpflichtungen in Einsatz- und Einsatzausbildung erfüllt werden. DEUMARFOR als multinationaler Führungsstab (HRF (M)) ist eingerichtet, die Initial Operational Capability zertifiziert, Gebäude 15 ist übernommen. Innerhalb der "Operation Helfende Hände" sind im Laufe des Jahres 2021 ca. 2.000 Marineangehörige permanent in Bereitschaft und ca. 1.100 beim Einsatz im Inneren aktiv. Planerisch soll dieser Anteil nun um 1.040 aufwachsen.
Geography matters
Auf die Indo-Pazifikreise der Fregatte „Bayern“ eingehend, verwies der Inspekteur auf die Bedrohungsperzeption in der Region. So betrachte Japan mit Sorge die Entwicklung des Militäretats von China, der sich in den letzten 20 Jahren mehr als verzehnfacht hat. Perspektivisch würde aus den heute 355 chinesischen Marineeinheiten im Jahr 2030 dann 460! Hinzu kommen die Provokationen in den Territorialgewässern und in den Wirtschaftszonen anderer Anrainerstaaten. In der Einschätzung vieler der von der Fregatte „Bayern“ besuchten Länder laufen auf chinesischer Seite stetig Mittel und Absicht immer mehr aufeinander zu, womit eine Bedrohungslage entsteht. Anmerkung des Verfassers: der Anspruch Chinas auf Weltherrschaft zum Jahr 2050 wurde bereits formuliert.
Mit diesem Schlusspunkt unterstreicht die Marine die im zweiten Panel von einer Ministerialbeamtin, wenn auch als persönlicher Standpunkt vorgetragene Position, dass China für uns eben nicht nur ein wichtiger Handelspartner und strategischer Mitbewerber, sondern auch eine wachsende Hegemonialmacht ist, die mit Macht und Geld nach Europa drängt und die internationale Ordnung unter Druck setzt. Eine Bewertung der Rolle Chinas, die doch deutlich von der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland abweicht.
Jahresbericht
Es gehört zur Tradition der Maritime Convention, dass der Jahresbericht des Marinekommandos "Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland" veröffentlicht wird. Der jährliche Bericht erscheint zum 34. Mal. Auf den 184 Seiten befinden sich Informationen zur maritimen Sicherheit, zum Welthandel, zur Welthandelsflotte und zur deutschen maritimen Wirtschaft. Zahlen, Daten und Fakten verdeutlichen in Schrift und Bild, warum die See für unser aller Leben von entscheidender Bedeutung ist. Der Bericht stellt Zusammenhänge dar, „um deutlich machen, warum unser Land nicht umhinkommt, seine maritimen Interessen zu schützen", so der Inspekteur der Marine.
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