Transport im Tiefstflug

Das Liberty Lifter Konzept der Firma General Atomics, Quelle: GA-ASI

Transport im Tiefstflug

Das Pentagon plant die Einführung eines Flugzeugtyps, der die Vorteile eines Transportflugzeugs und eines Schiffes vereint. Ganz neu ist die Idee jedoch nicht.
Das Konzept des Liberty Lifters zielt darauf ab, die Vorteile von Bodeneffektfahrzeugen und Flugbooten zu einem Hochleistungssystem zu kombinieren. Bodeneffektfahrzeuge sind Flugzeuge, die ausschließlich kurz über der Meeresoberfläche fliegen und dabei den erhöhten Auftrieb und den verringerten Luftwiderstand nutzen, die durch die Interaktion von Tragflächen und Wasseroberfläche entstehen. Flugboote haben hingegen das gleiche Flugverhalten wie herkömmliche Flugzeuge, setzen jedoch einen hydrodynamisch geformten Rumpf oder Schwimmpontons für Wasserlandungen ein. Der Liberty Lifter könnte gemäß der Einsatzanforderungen zwischen diesen beiden Flugmodi wechseln.
Das Mitte 2022 initiierte Projekt wird von der amerikanischen Entwicklungsbehörde Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) als kostengünstige Schwerlasttransportplattform mit großer Reichweite entwickelt. Zu den durch die Darpa vorgegebenen Leistungsanforderungen gehören eine Nutzlastkapazität von mindestens 90 Tonnen, eine Einsatzreichweite von 4000 Seemeilen bei 45 Tonnen Zuladung sowie eine Reichweite von 6500 Seemeilen. Zum Vergleich: Die Nutzlastkapazität einer Boeing C-17 Globemaster III beträgt 77,5 Tonnen bei 2400 Seemeilen Reichweite ohne Luftbetankung. Die Transportkapazität soll mindestens zwei gepanzerte Gefechtsfahrzeuge oder sechs Standardcontainer umfassen. Die Nutzlast soll per Roll-On/Roll-Off-Verfahren über Heck- oder Bugrampen ausgeladen werden.
Das neue Flugzeug könnte eine ähnliche Größe wie die C-17 ausweisen.
Der Liberty Lifter soll im Bodeneffektmodus in bis zu 30 Meter Höhe über der Meeresoberfläche fliegen und dabei 200 Knoten Fluggeschwindigkeit erreichen. Im Normalflug sollen Höhen von zirka 3000 Meter über dem Meeresspiegel erreicht werden. Das Flugzeug soll noch bei Seegang 4 starten und landen können. Der Bodeneffektflug sowie der Betrieb auf dem Meer sollen bis zu Seegang der Stufe 5 erfolgen. Ein Einsatz auf dem Wasser soll mindestens vier Wochen lang möglich sein, ehe das Flugzeug zur Wartung in den Hafen einkehren muss.
Die Fertigungstechniken sollen an den im Vergleich zum Flugzeugbau kostengünstigeren Verfahren der Schiffsbauindustrie angelehnt werden. Leichte, aber widerstandsfähige Stoffe werden dabei eingesetzt, um das Gewicht des Flugzeugs zu reduzieren und um Leistung und Effizienz zu steigern. Die Darpa macht bislang keine Angaben über potenzielle Beschaffungsgrößen, doch soll bei der Entwurfsplanung darauf geachtet werden, dass Materialien eingeplant werden in größerem Umfang zur Verfügung stehen.
Operativer Vorteil
Das Grundkonzept zielt auf eine neue Kombination aus Geschwindigkeit, Reichweite, Nutzlast und Flexibilität ab, die in dieser Form derzeit nicht besteht. Nutzlast oder Passagiere könnten sowohl im Hafen wie auf See aufgenommen werden. Dies würde es Transport- und Logistikschiffen erlauben, auf hoher See in sicherer Entfernung zur gegnerischen Abwehr zu verweilen, während die Nutzlast wesentlich schneller zu den Einsatzkräften gelangt. Durch den Bodeneffektflug soll der Transporter unter dem gegnerischen Radargürtel fliegen, um Soldaten und Nutzlast auch in Frontnähe unentdeckt absetzen zu können. Damit wäre der Flugbetrieb mit geringeren Risiken als beim Einsatz konventioneller Transportflugzeuge verbunden. Durchgeführt werden sollen nicht nur Versorgungsflüge. Der Liberty Lifter soll auch Kampftruppen an einen Strand bringen, um amphibische Sturmlandungen zu unterstützen.
Das Liberty Lifter Konzept der Firma Auroraähnelt einer als Flugboot umkonfigurierten C-17, Quelle: Aurora Flight Sciences

Das Liberty Lifter Konzept der Firma Aurora ähnelt einer als Flugboot umkonfigurierten C-17, Quelle: Aurora Flight Sciences

Eingesetzt werden könnte das Flugzeug im Westpazifik im Falle eines Kriegs gegen China. Das Flugzeug könnte schweres Gerät, Treibstoff, Ausrüstung und Munition einschließlich Flugabwehr- und Seezielflugkörper sowie Kampftruppen in kurzer Zeit zwischen den einzelnen Inseln des Ost- und Südchinesischen Meeres transportieren. Das neue Einsatzkonzept des US Marine Corps, das eine schnelle und ständig wechselnde Besetzung der Inseln dieser Region vorsieht, würde entsprechend der Erwartung des Pentagons einen völlig neuen Mobilitätsgrad erhalten. Schon aus diesem Grund gilt das vielseitige Bodeneffektflugzeug als strategisch bedeutsames Konzept.

Grundsätzlich wäre das Flugzeug allerdings geeignet, mobile Kriegsführung in verschiedenen geografischen Zonen zu unterstützen. Interessanterweise zeigt ein von der Darpa produzierter Trickfilm den Flug eines Bodeneffektflugzeugs über ein Meer mit Eisschollen. Neben der militärischen Nutzung sind auch Anwendungen für zivile und humanitäre Zwecke vorstellbar, etwa im Bereich der Katastrophenhilfe oder zur Versorgung entlegener Forschungsstationen.
Ein generisches Liberty Lifter Konzeptähnelt stark dem General Atomics Entwurf, Quelle: DARPA

Ein generisches Liberty Lifter Konzept ähnelt stark dem General Atomics Entwurf, Quelle: DARPA

Entwicklungsauftrag
Am 1. Februar vergab die Darpa Aufträge an zwei konkurrierende Firmenkonsortien, um eigenständige Konzepte des neuen Flugzeugs zu entwerfen. In den Teams haben sich Unternehmen zusammengefunden, die über Kenntnisse in den Bereichen Meerestechnik, Schiffsarchitektur und Hydrodynamik verfügen.
Ein Konsortium wird von General Atomics Aeronautical Systems (GA-ASI) angeführt. Wichtigster Partner ist dabei das maritime Ingenieurbüro Maritime Applied Physics Corporation. Das vorgeschlagene Grundkonzept sieht zwei parallel angeordnete, gleichgroße Flugzeugrümpfe vor, die durch eine zentrale Tragfläche verbunden sind. Dieser Entwurf legt einen Schwerpunkt auf die Stabilität auf wie knapp über dem Wasser. Für den Antrieb sind zwölf Turbowellenmotoren vorgesehen.
Konzeptbild eines Bodeneffektflugzeugsin arktischen Gewässern, Quelle: DARPA

Konzeptbild eines Bodeneffektflugzeugs in arktischen Gewässern, Quelle: DARPA

Das zweite Team wird durch Aurora Flight Sciences geleitet, eine Tochterfirma des Boeing-Konzerns. Unterstützung kommt von den Schiffsdesignfirmen Gibbs & Cox sowie ReconCraft. Das eher konventionell wirkende Konzept sieht einen einzigen hydrodynamisch geformten Flugzeugrumpf vor und ähnelt der von Boeing gebauten C-17 Globemaster, obwohl Aurora das Konzept als „halb Boot, halb Flugzeug“ beschreibt. Acht Turbinentriebwerke sind dabei an den Tragflächen des Hochdeckers montiert. Die nach außen hin abgewinkelten „möwenförmigen“ Tragflächen dienen der Stabilisierung im Sinkflug und steigern den Auftrieb beim Bodeneffektflug.

Die mit der Auftragsvergabe eingeleitete erste Projektphase hat ein geschätztes Budget von 55 Millionen Dollar. Diese Programmphase mit einer Laufzeit von 18 Monaten dient der Entwicklung des Flugzeugentwurfs und der Festlegung des umsetzbaren Fähigkeitsprofils. Die ersten sechs Monate dienen der Konzeptentwicklung. Es folgen neun Monate detaillierter Designarbeit, gefolgt von einer dreimonatigen Übergangsphase, in deren Verlauf verbleibende Fragen geklärt werden. Die endgültigen Entwürfe werden bis Mitte 2024 erwartet. In der darauffolgenden zweiten Phase zwischen Mitte 2024 und Ende 2025 soll der Detailentwurf eines der beiden Konzepte weitergeführt und der Bau eines Prototypen vorbereitet werden. Einzelne kritische Bordsysteme werden vorab konstruiert und getestet. Im Verlauf der Anfang 2026 einsetzenden dritten Phase soll der Prototyp schließlich fertiggestellt und am Boden und in der Luft getestet werden. Die Flugerprobung soll Ende 2027 beginnen. Mitte 2028 ist dann der Übergang zu einem Entwicklungs- und Beschaffungsprogramm für ein Serienflugzeug geplant. Die Darpa geht davon aus, dass auch internationale Partner in das Entwicklungs- und Testprogramm sowie die erwartete Serienproduktion des Flugzeugs einbezogen werden.

Sidney E. Dean

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