Wenn man mich schon mal danach fragt!

Wenn man mich schon mal danach fragt!

Ein unverbindliches Erklärstück zu der vielfach gestellten Frage, warum es nicht möglich ist, in einem begrenzten Seegebiet wie der Ostsee auf Knopfdruck festzustellen, welches Schiff sich wann und wo aufgehalten hat – also eine flächendeckende Überwachung durchzuführen?

Vorweg etwas Grundsätzliches

Die Ostsee ist nicht China! Und es gibt unter normalen Verhältnissen keine Notwendigkeit, alles, dauerhaft und lückenlos zu überwachen! Mit der Sabotage der Gaversorgungsleitungen Nord Stream 1 und 2 ist außerdem ein ungeschriebenes „Gewohnheitsrecht“ gebrochen worden, dass man nämlich Versorgungsleitungen vielleicht unausgesprochen bedroht oder beeinflussen könnte, aber nicht wirklich angreift und zerstört.

Wer ist denn nun wofür verantwortlich?

Für die physische Sicherheit (betriebstechnisch, bauvorschriftengerecht, etc.) und die bauliche Absicherung (Zaun, Mauer, etc.) wie organisatorische Absicherung (mobile und statische Bewachung, elektronische Überwachungsunterstützung, etc.) von Anlagen wo auch immer ist vorrangig der Betreiber/Eigentümer zuständig. Im Falle der Gasversorgungsleitungen zwischen Russland und Deutschland in der Ostsee ist dies für NS1 die Firma Nord Stream AG als Betreiber –  mit Sitz in Zug in der Schweiz. Diese NSAG befindet sich mehrheitlich in Händen des russischen Staatskonzerns Gazprom – der auch der Eigentümer mit Sitz in Sankt Petersburg ist. NS2 befindet sich ausschließlich in russischer Hand (Betreiber/Eigentümer), nämlich Gazprom.

Und wann greift dann der Staat ein?

Besondere und rechtswidrige Vorfälle werden von staatlichen Ordnungs- und Sicherheitsbehörden/-organisationen des im betroffenen Gebiet zuständigen Staates aufgenommen und untersucht. Das reicht von den „Blaulicht“-organisationen über die Streitkräfte bis hinauf zu den Staatsanwaltschaften und letzten Endes bis zu den Strafverfolgungsbehörden. Für den Bereich außerhalb der Territorialgewässer und der Ausschließlichen Wirtschaftszonen wird es nicht weniger kompliziert, denn da sind es eher internationale Organisationen, denen hier eine Zuständigkeit zufällt – sofern dort ein Aufklärungs- und Verfolgungsinteresse geltend gemacht werden kann.

Und warum bitteschön greift nicht sofort die Marine ein?

Militärische Sicherheitsbehörden und -organisationen (Streitkräfte, national oder bündnisgemeinsam) kommen erst dann zum Zuge, wenn sie völkerrechtswidrigen Grenzverletzungen durch Präsenz begegnen können oder Übergriffe mit Waffengewalt bekämpfen müssen. Im Vorfeld dazu klären Streitkräfte mit ihren Mitteln auf (physisch: über, auf und unter der Oberfläche; elektronisch: je nach Übertragungsart), halten ein Lagebild (sofern eine valide Bedrohung dies erfordert) und greifen ein (entsprechend national festgelegten oder international vereinbarten „Rules of Engagement“).

Minenjagd 2000. Grafik: Atlas Elektronik

Haben die denn mit all ihren Mitteln nichts gesehen?

Aufklärung über, auf und unter Wasser ist durchgehend möglich, erfordert aber einen erhöhten Aufwand und erfolgt meist nur in Spannungszeiten und in begrenzten Gebieten – jeder Staat in seinen Territorialgewässern und Wirtschaftszonen. Dazu ist die physische Anwesenheit von Einheiten der Marine im fraglichen Gebiet notwendig, oder aber es erfolgt eine Beobachtung aus der Luft, bzw. aus dem erdnahen Weltraum – also durch Satelliten. Diese können aber auch nicht überall und dauerhaft sein, denn sie ziehen ihre Bahnen mit hohen Geschwindigkeiten, um stabil auf diesen Entfernungen zu bleiben. Und wenn die zu durchschauenden Luftschichten zu sehr mit Materie versetzt sind (Staub, Sand, Wasserdampf, etc.), dann ist das Aufklärungsergebnis entsprechend mager. Schwieriger ist die Aufklärung bis unter die Wasseroberfläche – sie ist von oben per Satellit bisher nur bis in sehr begrenzte Tiefen möglich – man kann nicht bis auf den Grund sehen! Für eine vernünftige Aufklärung unter Wasser ist ein aufwändiges Netz von speziellen Sensoren erforderlich, seien sie mobil in Form von Minenjagd- und U-Booten, oder stationär als eine Aneinanderreihung von am Grund verlegten oder verankerten Sonargeräten.

Was machen Leuchttürme und Radarstationen?

Eine zivile Seeverkehrsüberwachung durch Verkehrsleitstellen (traffic control) erfolgt wegen des personellen und technischen Aufwandes lediglich in besonders gefährdeten Gebieten, wie in engen oder sich kreuzenden Fahrwassern, Kanälen, Flüssen, Häfen und anderen Schutzgebieten. Das umfasst allerdings fast ausschließlich das zivile Lagebild an der Wasseroberfläche.

Welche Mittel könnten denn im Bedrohungsfall unterseeische Infrastruktur schützend beobachten?

Sofern kein statisches Überwachungssystem eingerichtet ist, kommen kurzfristig nur mobile Sensorenträger für eine Streckenüberwachung in Frage. Hierzu zählen vorrangig in der Dimension „Unterwasser“ operierende Fahrzeuge wie U-Boote und Minensucher/Minenjagdboote mit bordseitig installierten, nach unten gerichteten und für das Medium Wasser spezifizierten Sensoren sowie getauchten, fernlenkbaren Suchdrohnen. Ebenfalls dazu zählen Seefernaufklärer mit ausreichender Stehzeit im Gebiet, die Magnetfeldanomalien unter Wasser und Druckwellenmuster an der Oberfläche erspüren, die wiederum auf getauchte Verursacher hinweisen können. Oder es sind auch Hubschrauber, die Tauchsonare abwinschen und unter Wasser in unterschiedlichen Tiefen „herumhorchen“ können. Als Funkbojen sind solche Sensoren auch von hochfliegenden Aufklärungsflugzeugen abwerfbar.

Minenjagd mit autonomen Mitteln. Grafik: ES&T

Wenn es so viele Mittel gibt, warum reichen sie nicht aus?

Zählt  man diese Mittel im Gebiet der Ostsee zusammen und teilt sie auf in einen 24h/7d-Schichtdienst auf, Luft- und Seefahrzeuge geschickt kombiniert, gestreckt auf 1.200 Kilometer Pipelinelänge – zum Teil auch nicht unmittelbar parallel gelegen – dann bleibt etwas übrig, das man wohl nicht als wirksam und verlässlich bezeichnen dürfte. Eine solche tabellarische Fleißarbeit dürfte in allen Hauptquartieren rund um die Ostsee bereits schon seit geraumer Zeit vorliegen, und wenn der Summenzug eine real durchführbare Antwort gegeben hätte, dann wäre eine solche Operation schon lange gelaufen. Ist sie aber nicht, jedenfalls nicht in von außen erkennbarer Weise, was als negativer Indikator gewertet werden dürfte. Und auch vom Sabotageergebnis her betrachtet hat entlang Nord Stream – wenn überhaupt – kein erfolgreicher Einsatz stattgefunden. Aus welchem Grund hätte er auch stattfinden sollen?

Und weiter?

Nach dem Vorfall erübrigen sich die Überlegungen jedenfalls für Nord Stream 1 und 2 vollends! Allerdings sind sie umso notwendiger für die weiteren Energie- und Informationsnetze in der Ostsee und darüber hinaus besonders in der Nordsee, wo sich am Meeresboden ein noch weitaus komplexeres Netzwerk befindet – mit langen Strecken und großen Flächen!

Was sagt uns das alles?

Wenn ein Anlagenbetreiber/-eigentümer seine Anlagen nicht sichern kann oder will, und der (abhängige) Empfängerstaat keine eigene energie-/sicherheitspolitische Notwendigkeit besonderer Schutzmaßnahmen sieht, dann liegt auch kein politischer oder militärischer Auftrag vor. Eine Überwachung solcher Anlagen erfolgt – wenn überhaupt – lediglich nach dem Gelegenheitsprinzip, also beim Durchfahren/Überfliegen eines entsprechend ausgewiesenen Gebietes.

Mit anderen Worten

In Sachen Nord Stream sucht jetzt jeder Anrainerstaat in eigenen und verbündeten Datenspeichern, was an Schiffsbewegungen und verdächtigen Sensorerfassungen überhaupt dort zu finden ist, um anschließend gemeinsam zu rekonstruieren, ob sich ein Muster erkennen lässt! Das ist zeitintensive und mühsame Detektivarbeit und kriminaltechnische Forensik – schnelle Ergebnisse sind da eher nicht zu erwarten.

In Sachen funktionierende Energieleitungen und Informationsnetze unter Wasser werden sich jetzt alle anderen Mittel gezielt und koordiniert – national und international – auf den Schutz dieser Anlagen konzentrieren können – sofern politisch gewollt und entsprechend sicherheitsorganisatorisch beauftragt. Aber da sollte der kürzliche Schrecken einer allgemeinen Erkenntnis auf die Sprünge geholfen haben. Da in Kürze alle Ost- und Nordsee-Anrainerstaaten – bis auf einen – gleichzeitig auch Bündnismitglieder sein werden, sollte es möglich sein, sich „barrierefrei“ und großflächig in diesen Randmeeren zu koordinieren. Aber auch dann gilt: die Ressourcen sind knapp – und eine 100%ige Sicherheit ist Illusion!

Soweit ein paar unmaßgebliche Gedanken zu der Frage: Wieso wird nicht … hat nicht … war nicht ... ?

Axel Stephenson
KptzS a.D.

3 Kommentare

  1. Maritime Sicherheit steht plötzlich im Mittelpunkt – Wo ist die Deutsche Küstenwache?

    Die Marine darf nur im Kriegsfall „eingreifen“. In Friedenszeiten sind die zivilen Dienste in der Pflicht. Die Marine kann den zivilen Diensten allenfalls Amtshilfe leisten.

    Welche Risiken/Bedrohungen bestehen im Küstenmeer und in der Wirtschaftszone?

    – Sicherheit des Seeverkehrs
    – Offshore Windparks, Offshore Plattformen für Öl und Gas
    – Pipelines für Gas und Öl, Stromkabel, Seekabel
    – Terminals für LNG, Öl, Kreuzfahrer
    – Küstenschutzbauwerke, Deiche
    – spontane Naturkatastrophen, große Unfälle
    – Munitionsaltlasten
    – Sabotage, Terror und Piraterie, Kriminalität.

    Wie ist Deutschland darauf vorbereitet?

    Es gibt für 40.000 km2 deutsche Seegebiete ca. 15 verschiedene Zuständigkeiten von Bund und Ländern:

    – Bundespolizei See
    – Bundeszoll See
    – Fischereiaufsicht des Bundes
    – Wasser und Schifffahrtsstraßenverwaltung des Bundes
    – 5 Wasserschutzpolizeien + Fischereidienste von 5 Küstenländern
    – Havariekommando Cuxhaven als gemeinsame Einrichtung
    – außerdem DGzRS und Marine

    Eine leistungsfähige, interventionsfähige und professionelle zentrale Deutsche Küstenwache gibt es nicht. Seit 1949 wurden alle diesbezüglichen Vorschläge von den jeweiligen Behörden und Parlamenten abgewiesen,

    bedauert nicht nur Uwe Jenisch, Kiel

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  2. Anschließend an FKpt Meißel ist General Dwight D. Eisenhower zu zitieren:

    Failing to plan is planning to fail.

    Be prepared, ja.

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  3. Vielen Dank für die Klarstellungen, die schon ob der zitierten Fragestellungen erforderlich scheinen. Gleichwohl ist aus meiner Sicht anzumerken, dass „das-tut-man-nicht“ in heute üblichen Konflikten ein eher vergeblich-hoffnungsvoller Ansatz zu sein scheint. Im Gegenteil, ist dem wohl ein „im Krieg und der Liebe ist alles erlaubt“ entgegenzuhalten, welches neumodische Despoten offenbar lieber antizipieren. Darauf kann nur folgen, dass wir uns besser auf das Unerwartete einstellen sollten.. oder um Murphys gesetzt frei zu zitieren: if something can go wrong – it will go wrong!! Also besser: ne prepared!

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