Südkoreanische Flottenparade 2015, Foto: Südkoreanische Marine

Südkoreanische Flottenparade 2015, Foto: Südkoreanische Marine

Ausbruch aus dem Gelben Meer

Südkorea arbeitet weiter an einer Hochseeflotte, mit der auch Einsätze fern der Heimat möglich werden. Auf der Wunschliste stehen auch Flugzeugträger.

Seit den 1950er-Jahren ist die südkoreanische Marine darauf ausgerichtet, die unmittelbare Bedrohung aus Nordkorea abzuwehren. Dies ändert sich gerade. Seoul modernisiert und erweitert systematisch den Flottenbestand. Das Ziel ist die Schaffung einer vollwertigen Hochseeflotte, die auch Herausforderungen außerhalb des unmittelbaren Territorialbereichs bewältigen kann. Diese Entwicklung reflektiert einerseits den Wunsch Seouls, das internationale Ansehen des Landes zu steigern. Gemessen am Bruttoinlandprodukt besitzt Südkorea zwischenzeitlich die zehntstärkste Wirtschaft der Welt und die viertstärkste in Asien. Eine überregional engagierte Sicherheitspolitik bringt den Nachweis, dass Seoul bereit und imstande ist, zusätzliche Verpflichtungen wahrzunehmen. Nicht zu übersehen ist auch der Wunsch, innerhalb Nordostasiens Prestige zu gewinnen und, vor allem mit Blick nach Japan, als vollwertiger Partner anerkannt zu werden.

Boardingübung südkoreanischer Kampfschwimmer, Foto: Südkoreanische Marine

Boardingübung südkoreanischer Kampfschwimmer, Foto: Südkoreanische Marine

Hinzu kommt eine veränderte südkoreanische Einschätzung der langfristigen sicherheitspolitischen Lage in Nordostasien. Nordkorea bleibt die primäre Gefahrenquelle. Aber auch andere Länder – vor allem China – werden zunehmend als direkte künftige Bedrohung erkannt. Darüber hinaus will Seoul in der Lage sein, eigene Interessen im gesamten Indopazifischen Raum mitzugestalten. Die fast vollständige Abhängigkeit des Landes vom Seehandel vertieft die Entschlossenheit, die maritime Sicherheit und Navigationsfreiheit sowohl innerhalb wie außerhalb der Region zu schützen.
Auch wenn die neuen maritimen Ressourcen die Fähigkeit zur Durchführung unabhängiger Militäroperationen stärken sollen, erkennt Seoul, dass seine nationalen Interessen am besten durch Kooperationen mit gleichgesinnten Partnern durchzusetzen sind. Neben dem jahrzehntelangen engen Bündnis mit den USA strebt Südkorea auch vertiefte Beziehungen zu anderen Regionalmächten des Indopazifischen Raums an, darunter Australien und Indien. Auch die Zusammenarbeit mit Japan wird, trotz anhaltender historischer Ressentiments, langsam aber stetig ausgebaut. Der im März 2022 gewählte südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol betonte bereits vor seinem Amtsantritt die strategische Notwendigkeit einer vertieften Partnerschaft mit Japan.

Angepasste Führungsstruktur    

Das Ziel, eine Hochseeflotte zu erwerben, wurde bereits 1999 im Zwanzigjahresplan der koreanischen Marine formell festgelegt. Seit­dem werden systematisch neue, leistungsfähige Schiffsklassen entworfen und eingeführt. Auf diesem Weg soll bis Mitte der Zwanzigerjahre der Übergang zur blue water navy vollzogen sein.
Zur operativen Führung von Auslandseinsätzen wurde im Februar 2010 die 7. Maritime Einsatzflottille eingerichtet. Dieser bewährte Verband bereitet Kriegsschiffe auf die Beteiligung an internationalen und multinationalen Operationen vor und übernimmt die Führung bei unilateralen Out-of-Area-Einsätzen. Bereits seit 2009 beteiligt sich die koreanische Marine als Mitglied der multinationalen Task Force 151 durchgehend mit einem Zerstörer an der multinationalen Bekämpfung der Piraterie im Golf von Aden. Im Jahr 2011 befreiten an Bord befindliche koreanische Spezialkräfte einen durch somalische Piraten gekaperten Chemietanker. Im nationalen Alleingang wurden Schiffe der 7. Flottille 2011 und 2014 auch ins Mittelmeer beordert, um die Evakuierung südkoreanischer Staatsbürger aus Libyen zu sichern.

Lenkwaffenzerstörer Sejong Der Grosse, Foto: US Navy

Lenkwaffenzerstörer Sejong Der Grosse, Foto: US Navy

Der 7. Flottille unterstehen derzeit zwei Zerstörergeschwader mit zusammengenommen neun Schiffen sowie ein Logistikgeschwader mit schnellen Versorgungsschiffen. Mittelfristig soll die Zahl der Zerstörer auf 18 verdoppelt werden. Und auf lange Sicht soll zur Führung der expeditionären Kräfte eine aus drei Einsatzflottillen bestehende Strategische Mobile Flotte entstehen.

Flottenmodernisierung      

Die südkoreanische Marine verfügt derzeit über rund 160 Schiffe. Mit Ausnahme der Minenkampfschiffe und der Patrouillenboote wurden beinahe sämtliche Einheiten nach der Jahrtausendwende eingeführt. Sie gelten als ebenbürtig mit den vergleichbaren, in China und Japan gebauten Schiffen.
Ein Großteil der gegenwärtigen Flotte wurde und wird durch die einheimischen Konzerne Hyundai Heavy Industries (HHI) und Daewoo Shipbuilding and Mechanical Engineering (DSME) gebaut. Der aktuelle Ausbau der Flotte betrifft alle Schiffstypen. Von besonderer Bedeutung sind die Zerstörer, Fregatten und Unterseeboote.

Gegenwärtig verfügt die südkoreanische Marine über neun Lenkwaffenzerstörer, die operativ der 7. Maritimen Einsatzflottille unterstellt sind und die laufenden internationalen Verpflichtungen des Landes wahrnehmen. Gleichzeitig sind die Schiffe darauf ausgerichtet, im Kriegsfall einen wesentlichen Beitrag zur Abwehr nordkoreanischer Flugzeuge, Marschflugkörper, Raketen und U-Boote zu leisten. Die Hauptbewaffnung besteht aus Marschflugkörpern des Typs Hyunmoo III zur Bekämpfung von Landzielen, K-ASROC-Raketentorpedos des Typs Red Shark für die U-Jagd, Seezielflugkörpern des Typs SSM-700K Haesong sowie Flugabwehrraketen des Typs SM-2MR.

Sechs Einheiten gehören zur 2003 eingeführten Chungmugong-Yi-Sun-sin Klasse (DDH II). Sie verdrängen 5500 Tonnen und sind mit 56 Vertikalstart-Silos (VLS) ausgestattet. Die 11 000 Tonnen verdrängenden Zerstörer der Sejong-Daewang-Klasse („Sejong der Große“, KDX III) sind die ersten südkoreanischen Kriegsschiffe, die mit dem Aegis-Führungssystem in der Version Baseline 7 ausgestattet sind. Sie führen 128 VLS-Silos und gelten als kampfstärkste Einheiten der aktuellen Flotte. Die erste, aus drei Schiffen bestehende Tranche wurde zwischen 2008 und 2012 eingeführt. Gegenwärtig wird ein aus drei Schiffen bestehendes zweites Los gebaut. Die neuen Einheiten verdrängen nur noch 8100 Tonnen, werden allerdings in der Lage sein, auch ballistische Raketen abzufangen. Ermöglicht werden soll dies durch das Zusammenspiel von Aegis Baseline 9 in Verbindung mit Flugkörpern des Typs SM-3 oder SM-6. Die neuen Einheiten werden in das landgestützte mehrlagige südkoreanische und amerikanische Raketenabwehrsystem eingebunden.

Die neun KSS-II-Boote beruhen auf dem deutschen Typ 214, Foto: US Navy

Die neun KSS-II-Boote beruhen auf dem deutschen Typ 214, Foto: US Navy

Die siebte von acht geplanten Fregatten der Daegu-Klasse (FFX II) soll im November 2023 der südkoreanischen Marine überstellt werden, gebaut wird sie von HHI. Die 2800 Tonnen verdrängenden Schiffe haben 4500 Seemeilen Reichweite und sind primär auf U-Jagd und Flugabwehr ausgerichtet. Als erste südkoreanische Klasse haben die 2018 eingeführten Schiffe einen Codlog-Antrieb (combined diesel-electric or gas). Die Ausstattung umfasst einheimische K-SAAM-Flugabwehrraketen mittlerer Reichweite, SSM-700K-Seezielflugkörper, K-ASROSC, sowie zwei durch Hanwha Systems hergestellte Sonarsysteme für eine gesteigerte U-Jagd-Fähigkeit.

Das Typschiff der neuesten Jagdunterseebootklasse KSS III, die Dosan Ahn Chang-ho, wurde 2021 in Dienst gestellt. Zwei weitere Boote des ersten Loses folgen 2022 und 2024. Mit 3400 Tonnen sind die vollständig im Inland entworfenen U-Boote beinahe doppelt so schwer wie die Vorgänger der KSS-II-Klasse, die auf dem deutschen Typ 214 beruht. Der Auftrag für die zweite von drei vorgesehenen Losen wurde im September 2019 vergeben, die Auslieferung ist für die zweite Hälfte der Zwanzigerjahre geplant. Das vorgegebene Endziel ist eine Beschaffung von insgesamt neun Einheiten.
Ihre Reichweite beträgt 10 000 Seemeilen. Das außenluftunabhängige Antriebssystem der ersten drei Einheiten beruht auf mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen und ermöglicht Tauchfahrten von bis zu 20 Tagen. Die Bewaffnung besteht aus sechs 533-Millimeter-Torpedorohren sowie sechs VLS-Silos mit ballistischen Raketen vom Typ Hyunmoo 4-4. Diese Flugkörper haben eine Reichweite von 500 Kilometern. Ein konventioneller Sprengkopf der 1000-Kilo-Klasse ist darauf ausgerichtet, Führungsbunker und andere gehärtete unterirdische Ziele zu zerstören.
Die späteren Tranchen der KSS-III-Klasse sollen zehn VLS besitzen. Sie werden ballistische Raketen mit einer Reichweite von mehr als 800 Kilometern führen. Das zweite Los der KSS-III-Klasse wird Lithium-Ionen- statt Blei-Säure-Batterien verwenden, um Einsatzreichweite und Marschgeschwindigkeit zu steigern. Südkorea wird dadurch weltweit nach Japan das zweite Land sein, das U-Boote mit diesem Batterietyp ausstattet.

Flugzeugträger                                  

Über die aktuellen Beschaffungsvorhaben hinaus will Südkorea zukünftig weitere, noch leistungsstärkere Klassen einführen. Auch soll die Anzahl der Schiffe erhöht werden, um sowohl regional wie überregional eine ausreichende Präsenz zu gewährleisten. Damit will man neuen Herausforderungen begegnen sowie zukünftigen internationalen Verpflichtungen nachkommen.

Nach Abschluss der Beschaffung der Daegu-Fregatten (FFX II) beginnt Mitte der Zwanzigerjahre die Einführung der Ulsan-Klasse (FFX III). Die Planung für die übernächste, in den 2030ern einzuführende Fregattenklasse (FFX IV) läuft ebenfalls bereits. Beide Klassen sollen fortgeschrittene Technik mitführen, darunter ein Multifunktionsradar zur Optimierung der Flugabwehr. Integrierte Sensormasten sollen den Radarquerschnitt der Schiffe reduzieren. FFX IV könnte als „Mutterschiff“ für unbemannte Boote, Unterwasserfahrzeuge und Flugzeuge ausgerichtet werden.
Mitte der Zwanzigerjahre soll die Einführung einer vierten Generation von Lenkwaffenzerstörern beginnen. Diese als KDDX oder KDX IV bezeichneten Schiffe dürften eine kleinere Variante der KDX-III-Klasse darstellen und als Mehrzweckschiffe mit starker Flugabwehrfähigkeit eingesetzt werden.

Die vier amphibischen Kriegsschiffe der Cheong-Wang-Bong-Klasse transportieren 300 Marineinfanteristen, Foto: Südkoreanische Marine

Die vier amphibischen Kriegsschiffe der Cheong-Wang-Bong-Klasse transportieren 300 Marineinfanteristen, Foto: Südkoreanische Marine

Ein offizielles Flugzeugträgerbeschaffungsprogramm wurde 2020 eingeleitet. Das vorerst als CVX-Programm bezeichnete Vorhaben sieht ein Schiff in der Größenordnung um 30 000 Tonnen vor, das bis zu zwanzig STO/VL-Jagdflugzeuge des Typs F-35B mitführen könnte. Das südkoreanische Beschaffungsamt soll noch 2022 die Designphase einleiten, um eine Auslieferung des Typschiffs 2033 zu ermöglichen. Langfristig wird der Erwerb von bis zu drei Einheiten angestrebt. DSME und HHI konkurrieren um den Entwicklungsauftrag. Beide Firmen haben ausländische Partner mit einschlägiger Erfahrung gewonnen: DSME kooperiert mit der italienischen Werft Fincantieri, die bereits den Flugzeugträger Cavour und den Hubschrauberträger Trieste gebaut hat, HHI erhält Unterstützung durch die britische Babcock, die die beiden Träger der Queen-Elizabeth-Klasse erfolgreich abliefern konnte.
Die Einführung eines Flugzeugträgers wird das Machtprojektionspotenzial der südkoreanischen Marine wesentlich ausbauen. Im Verband mit Zerstörern, Fregatten und Unterseebooten werden Einsätze fernab der koreanischen Halbinsel möglich sein. Auch die Interoperabilität mit ähnlich ausgestatteten Partnerstreitkräften sowie die Fähigkeit, Beiträge zu multinationalen Out-of-Area-Einsätzen zu leisten, steigt.

Atomunterseeboote in Sicht?                

Spekuliert wird schließlich über die Entwicklung atomgetriebener Jagdunterseeboote. Entsprechende Ambitionen bestehen seit zwei Jahrzehnten. Anlass für die jüngsten Gerüchte ist der im November 2021 angekündigte Bau eines zivilen Forschungsreaktors mit 70 Megawatt, dessen Entwurf grundsätzlich auch zum Antrieb eines U-Boots geeignet wäre. Das Forschungsministerium dementierte im November ausdrücklich, dass der Reaktor militärischen Zwecken diene. Das Verteidigungsministerium lässt hingegen offen, ob die dritte Tranche der KSS-III-Jagdunterseeboote mit Lithium-Ionen-Batterien oder mit Atomantrieb ausgestattet werden soll. Kim Hyun-chong, stellvertretender Sicherheitsberater des damaligen Präsidenten Moon Jae-in, erklärte 2020 sogar ausdrücklich, dass die nächste U-Boot-Klasse des Landes Atomantrieb haben würde. Eine moderat vergrößerte Ausführung des KSS-III-Entwurfs könnte als Grundlage einer solchen Weiterentwicklung dienen.

Das Typschiff der Dosan-Ahn-Changho-Klasse (KSS III) beim Stapellauf 2018, Foto: DSME

Das Typschiff der Dosan-Ahn-Changho-Klasse (KSS III) beim Stapellauf 2018, Foto: DSME

Aus operativer Sicht würden atomgetriebene und mit konventionellen Waffen ausgestattete Jagdunterseeboote vor allem die Fähigkeit zur Abwehr nordkoreanischer U-Boote steigern. Letztere sind zwar gegenwärtig noch dieselelektrisch betrieben, besitzen allerdings die Fähigkeit zum Abschuss von Atomraketen. Darüber hinaus kündigte Pjöngjang im Januar 2022 die Absicht an, ebenfalls einen Nuklearantrieb einzuführen. Hierdurch gewinnt der kommunistische Staat die Fähigkeit, seinen südlichen Nachbarn aus allen Himmelsrichtungen, und nicht nur vom Norden her, zu bedrohen. Atomgetriebene südkoreanische Jagd-U-Boote wären aufgrund ihrer Einsatzausdauer und ihrer Höchstgeschwindigkeit am besten geeignet, gegnerische Boote aufzuspüren, zu beschatten, und im Kriegsfall abzufangen.

Ungewiss ist allerdings, ob die Regierung des neugewählten Präsidenten Yoon die Politik der Vorgängerregierung fortführt. Yoon hatte während des Wahlkampfs Ende 2021 erklärt, dass Südkorea gegenwärtig keine atomgetriebenen U-Boote benötigt. Er dürfte hierdurch nicht zuletzt versuchen, Differenzen mit den USA zu vermeiden. Washington beharrt weiterhin auf Einhaltung einer sieben Jahrzehnte alten Vereinbarung, die jegliche militärische Nutzung atomarer Technologie durch Südkorea untersagt und wies in den letzten Jahren wiederholt Initiativen Seouls zurück, diese Vereinbarung abzuändern.

Sidney E. Dean

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