Teile der drei an NESH22 beteiligten Flugzeugträgerkampfgruppen in Formationsfahrt, Foto: 2022 US Navy.

Teile der drei an NESH22 beteiligten Flugzeugträgerkampfgruppen in Formationsfahrt, Foto: 2022 US Navy.

Neptuns Rückkehr

Nachdem Meeresgott Neptun Anfang des Jahres den Tiefen der meditaren See ent-stiegen war, um zwei Wochen lang seine Kampfkraft über Mittel- und Südosteuropa zu demonstrieren, kehrte er Ende Mai ebenso lange zurück: Ausgestattet mit einem mächtigen Schild ging es ihm diesmal darum, seinen Verbündeten beim Schutz deren Territorien beizustehen.

Neptun ist natürlich nur eine Allegorie. Sie steht für die Fähigkeit der NATO, von See aus „strikes“ durchzuführen, also um sich mittels Luftfahrzeugen, Marschflugkörpern oder Marineinfanteristen gegen Bedrohungen an Land, in der Luft und/oder über dem Wasser zu verteidigen. Die Federführung bei dieser besonderen Art der Seekriegs-führung haben innerhalb der Allianz die Naval Striking and Support Forces NATO, kurz: STRIKFORNATO, ein maritimer Einsatzstab auf operativer Ebene (vgl. Marine-forum, Ausg. 5-2022, S.28-31).

Abschreckung von See

Bei der eingangs erwähnten Rückkehr von Neptun handelte es sich um die Aktivität NEPTUNE SHIELD 22, abgekürzt: NESH22. Die Idee war, mit den in jenem Zeitraum in Europa verfügbaren „strike“-Kapazitäten kurzfristig unterschiedliche mittel- bis lang-fristig geplante Übungen rund um Kontinentaleuropa zu unterstützen. Bereitstanden drei Verbände: Jeweils eine US-amerikanische und eine italienische Flugzeugträger- sowie eine US-amerikanische amphibische Kampfgruppe. Für die Dauer von NESH22 wechselten sie unter die operative Kontrolle („OPCON“) von STRIKFORNATO. Die Führung erfolgte vom Hauptquartier im portugiesischen Oeiras bei Lissabon aus. Weitere Kriegsschiffe, darunter die deutsche Fregatte SACHSEN und eine spanische Flugzeugträgerkampfgruppe, waren zeiweise an der Aktivität beteiligt. Hinzu kamen landgestützte Luftfahrzeuge und Spezialkräfte. Insgesamt nah-men rund 11.000 Soldatinnen und Soldaten aus 25 Nationen direkt und indirekt an NESH22 teil.
Die Anstrengungen hatten im Wesentlichen zwei Zwecke: Zum einen galt es, den Pro-zess zu vertiefen, rasch hochwertige Seekriegsmittel dem Bündnis zu unterstellen. Zum anderen sollten sie in die Dimensionen Land und Luft integriert werden. Die Ziele von NESH22 bestanden zusammengefasst folglich darin, beides zu proben und zu zei-gen.

Eine F/A-18 kurz vor dem Start an Bord der USS Harry S. Trumam, Foto: 2022 US Navy.

Eine F/A-18 kurz vor dem Start an Bord der USS Harry S. Trumam, Foto: 2022 US Navy.

Multinational und multidimensional

Trotz des gewaltigen Umfangs und einer begleitenden Social Media-Kampagne unter dem Hashtag #NeptuneShield22 ist über NESH22 zumindest in Deutschland kaum berichtet worden. Selbst in Fachmedien blieben Erwähnungen aus. Das verwundert, gab es zu Beginn von Neptuns erstem Auftritt im Frühjahr dieses Jahres noch zahl-reiche Spekulationen hierzulande, das unangekündigte Vorhaben, sprich: NEPTUNE STRIKE 22-1 oder einfach NEST22-1, könne eine direkte Antwort der NATO auf den damaligen russischen Truppenaufmarsch entlang der ukrainischen Grenzen sein.

Eine Erklärung für das Ausbleiben von Reaktionen auf NESH22 mögen Intention, Aufbau und Ablauf der Aktivität sein: Im direkten Auftrag des Oberbefehlshabers der NATO, dem SACEUR, und in Unterstützung der Allied Joint Force Commands in Brunssum, (Niederlande) und Neapel (Italien) koordinierte STRIKFORNATO die unterstellten Kräfte, um Alliierte während verschiedener Übungen an verstreuten Schauplätzen zu unterstützen (u.a. „Hedgehog 22“ in Estland, „Mare Aperto 22“ um Sardinien und „Alexander the Great 22“ in Griechenland). Dadurch und weil die Kampf-gruppen disloziert waren (d.h. Flugzeugträger im zentralen Mittelmeer sowie amphibi-sche Schiffe in der Ostsee und in der Ägäis), gab es nicht einen Handlungsraum, sondern mehrere. NESH22 legte sich damit wie eine Kuppel über Europa: Überall vorhanden, aber nicht jeder oder jedem auf den ersten Blick erkennbar.

Ungeachtetdessen war der Ansatz erfolgreich, da maritime „strike“-Effekte multi-national und multidimensional verteilt werden konnten. Die NATO bewies damit, dass sie ihre Hochwertfähigkeiten geschickt ordnen und ihr Bündnisgebiet gleichzeitig an unterschiedlichen Stellen verteidigen kann.

Viele Neuerungen

NESH22 ist nach NEST22-1 die zweite „vigilance activity“ der auf lange Sicht angeleg-ten NEPTUNE Serie. STRIKFORNATO gelang damit wiederholt eine Reihe von Inno-vationen:

Erstens konnte der im Zuge von NEST22-1 entwickelte und bereits damals sehr effektive wie effiziente Planungsprozess nochmals optimiert werden. Dank der gewonnenen Erkenntnisse konnte das Planungsteam seine Effizienz steigern, was zu einer zügigen Bearbeitung führte. Hierdurch war es STRIKFORNATO zeitgleich zu NESH22 möglich, der unmittelbar danach stattgefundene Übung BALTOPS22 den letzten Schliff zu verleihen.

Die drei an NESH22 beteiligten Flugzeugträger (v.l.n.r): ITS CAVOUR, USS HARRY S. TRUMAN und ESPS JUAN CARLOS I, Foto: 2022 US Navy.

Die drei an NESH22 beteiligten Flugzeugträger (v.l.n.r): ITS CAVOUR, USS HARRY S. TRUMAN und ESPS JUAN CARLOS I, Foto: 2022 US Navy.

Zweitens führte STRIKFORNATO zum ersten Mal drei Kampfgruppen von zwei Nationen. Das entspricht einer „NATO expanded task force“ (NETF), wie sie sonst nur von den USA eingesetzt werden können. Dabei wurde der NATO erstmals ein italienischer Verband um den Flugzeugträger CAVOUR unterstellt. Deren F-35B „Lightning II“ konnten erfolgreich von US-amerikanischen F/A-18 betankt werden, die von der HARRY S. TRUMAN stammten. Gleiches gelang später mit den AV-8B „Harrier II“ des assoziierten spanischen Trägers JUAN CARLOS I. Beide Mittelmeer-anrainer wurden so mithilfe der USA zu „long range carrier strikes“ befähigt.

Drittens bot NESH22 Gelegenheit, die im April erstmalig für Europa aufgestellte „Naval Amphibious Force“ der US Navy und US Marines zu testen. Die Kampfgruppe wurde dazu aufgeteilt: In der Ostsee operierten das amphibische Angriffsschiff KEARSARGE und das Docklandungsschiff GUNSTON HALL samt Marineinfanteristen plus einem Zerstörer in der Ostsee, im östlichen Mittelmeer das Docktransportschiff ARLINGTON mit ebenfalls Marineinfanteristen an Bord. Die Besonderheit an dem Verband war weniger die Zusammensetzung, sondern die Führung und der Informationsfluss: Nicht die Navy hatte das Kommando - wie bis zur Anladung üblich -, sondern die Marines. Neben Fuβtruppen und Fliegerkräften brachten sie neu zusammengestellt Aufklärungskräfte mit, die von der Küste aus Ziele sowohl an Land als auch auf See aufklären und die Daten an Schiffe oder entfernte Hauptquartiere zeitnah weiterleiten können. Vorgesetzte Stellen erhalten dadurch ein erweitertes Bild von der Lage vor Ort.

Eine italienische F-35B wird von einer US-amerikanischen F/A/18 betankt, Foto: 2022 US Navy.

Eine italienische F-35B wird von einer US-amerikanischen F/A/18 betankt, Foto: 2022 US Navy.

Erste Lehren

NEST22-1 veranschaulichte bereits, dass Seemacht im 21. Jahrhundert auf zwei Fak-toren beruht: Die Kompetenz, „strikes“ durchführen zu können, und ein hoher Grad an Vigilanz, also einer „Kaltstartfähigkeit“. Was dafür nötig ist, wurde im Verlauf von NESH22 verfeinert. Wenngleich die NEPTUNE Serie noch nicht abgeschlossen ist, lassen sich schon jetzt einige Erfolgsprinzipien benennen. Dazu gehören zum Beispiel Einfachheit bei der Planung, Interoperabilität speziell hinsichtlich IT-Systemen und strategische Kommunikation im Sinne einer zügigen Berichterstattung mit aussage-kräftigem Bildmaterial und klaren Botschaften.

Am Ende geht es bei einer „vigilance activity“ darum, schnell sichtbare Ergebnisse herbeizuführen, diese und etwaige Erwiderungen anderer auszuwerten sowie ange-messen darauf zu reagieren. Der Fokus liegt also stets auf den zu erzielenden Effekten. NESH22 hat erneut bewiesen, dass ein Bündnis wie die NATO die idealen Voraussetzungen dafür bietet, anstatt national oder binational vorzugehen.

Zu den Autoren:

Korvettenkapitän Helge Adrians dient bei STRIKFORNATO, Fregattenkapitän Dirk Matheis beim Joint Forces Command Naples in Italien. Letzter ist auβerdem Verbindungsstabsoffizier zu den US Naval Forces Europe-Africa sowie zur 6. US-Flotte. Beide Offiziere waren an der Planung und Durchführung von NEPTUNE SHIELD 22 beteiligt.

1 Kommentar

  1. Auf dem Bild ist keine F-35B zu sehen, sondern es wird eine AV-8B betankt. Zudem liest sich der Bericht wegen gelegentlicher Orthographie-Mängel etwas holprig. Bitte solche inhaltlich sicher wertvollen Aufsätze vor Veröffentlichung unbedingt korrekturlesen.

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