Lenkwaffenkreuzer "Moskwa", Foto: Wikipedia

Lenkwaffenkreuzer "Moskwa", Foto: Wikipedia

Das Schicksal der "Moskwa"

Mit dem Kreuzer Moskwa versanken fast 40 Jahre sowjetisch-russische Marinegeschichte im Schwarzen Meer. Für die Supermacht ein herber Verlust.

Am 13. April berichtete die Ukraine darüber, dass der russische Flugkörperkreuzer Moskwa, das Typschiff der Slawa-Klasse, von ukrainischen Flugkörpern des Typs R-360 Neptun getroffen und fatal beschädigt wurde. Unterlagen die Hintergründe um das Schicksal der Moskwa zunächst noch intensiven Informations- und Desinformationskampagnen der ukrainischen und russischen Seite, lüfteten sich nach kurzer Zeit die ersten Schwaden des Nebels. Am 14. April bestätigte das russische Verteidigungsministerium die Versenkung der Moskwa und am Folgetag teilte eine Quelle aus US-Verteidigungskreisen mit, dass nach Einschätzungen „mittlerer Konfidenz“ die Beschädigungen an der Moskwa tatsächlich von zwei Neptun-Flugkörpern herbeigeführt worden seien.

Mit dem Untergang der Moskwa verliert Russland nicht irgendein Schiff. Neben dem Flugzeugträger Admiral Kusnezsow und dem nuklear angetriebenen Flugkörperkreuzer Pjotr Weliki der Kirow-Klasse waren die drei Slawa-Kreuzer die sichtbarsten verbliebenen Symbole der einst mächtigen sowjetischen Seekriegsflotte im Dienst der Russischen Föderation.

Die Moskwa, 1982 als Slawa in Dienst gestellt, war wie ihre Schwesterschiffe als Raketenkreuzer für die Überwasserseekriegführung konzipiert und daher mit acht gut sichtbaren Zwillingswerfern für SS-N-12 Sandbox-Seezielflugkörper ausgestattet. 1976 auf der Schiffbauwerft 61 Kommunara in der heute zur Ukraine gehörenden Stadt Mykolajiw auf Kiel gelegt, wurde die Slawa zunächst in den Dienst der sowjetischen Seekriegsflotte gestellt. Einheiten der Klasse verdrängen maximal rund 12 000 Tonnen. Die Besatzungsstärke liegt bei ungefähr bei 500 Seeleuten, darunter mehr als 400 Mannschaften und Unteroffiziere.

In den 1980er-Jahren diente die Moskwa mehrmals im Mittelmeer. In diesem Zusammenhang erlangte die Einheit größere Aufmerksamkeit, als sie für die Ausrichtung des Gipfeltreffens von US-Präsident George H. W. Bush und Generalsekretär Michail Gorbatschow 1989 auf Malta eingesetzt werden sollte. Aufgrund der schweren Wetterlage, die dem Ereignis nachträglich den Namen „Seekrankheitsgipfel“ verlieh, wurde das Treffen nicht auf der Slawa durchgeführt, jedoch war die sowjetische Delegation an Bord eingeschifft.

Mit Beginn der Neunzigerjahre begann die Slawa eine längere Werftphase, die sich über die gesamte Zerfallsperiode russischer (See-)Streitkräfte in diesem Jahrzehnt hinziehen sollte. Mitte der Neunzigerjahre fiel auch die Entscheidung zur Umbenennung der Einheit in Moskwa. Zur Jahrtausendwende wieder in den aktiven Dienst zurückgekehrt und seither Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, nahm die Moskwa in den letzten beiden Jahrzehnten an nahezu allen signifikanten Marineaktivitäten Russlands teil.

So verlegte die Moskwa zur russisch-indischen Marineübung Indra 2003 in den Indischen Ozean. Zudem nahm die Einheit 2006 an der NATO-Übung Active Endeavour teil. Zwei Jahre später wurde die Moskwa während des Georgien-Krieges zumindest zweitweise als Teil des russischen Einsatzverbands vor der Küste des Landes gemeldet. Ende der Nullerjahre nahm der Kreuzer wiederholt an Fernfahrten, darunter Ziele in Lateinamerika und im Mittelmeer, teil und wurde 2013 als eine der ersten Einheiten Flaggschiff des neu etablierten ständigen Mittelmeerverbands der russischen Seekriegsflotte. Während der Krim-Annexion im Jahr 2014 überwachte die Moskwa den durch Blockschiffe versperrten Zugang zur Donuslaw-Bucht, in der ukrainische Kriegsschiffe blockiert wurden.

Insbesondere seit der Verschlechterung der Beziehungen mit NATO und EU führte die Moskwa auch verstärkt Übungen mit den Marinen anderer Mittel- und Großmächte, beispielsweise mit Ägypten („Brücke der Freundschaft 2015“) und der Volksrepublik China („Joint Sea 2015“), durch. Auf operativer Ebene trug die periodische Anwesenheit der Moskwa wesentlich zur Feuerkraft des russischen Mittelmeerverbandes bei und signalisierte insbesondere während der eskalativen Phasen des Syrien-Kriegs die russische Bereitschaft zur Abschreckung gegenüber NATO-Mitgliedsstaaten im östlichen Mittelmeer.
Der Kreuzer zeichnete sich durch die wiederholte Teilnahme an mehreren operativ-strategischen, teilstreitkraftübergreifenden Übungen aus, so etwa Wostok 2010, Kawkas 2012 und Kawkas 2020. Schließlich nahm die Moskwa als Flaggschiff der Schwarzmeerflotte im Russisch-Ukrainischen Krieg seit Februar 2022 eine zentrale Rolle ein, zuletzt als Teil des russischen Schlag- und Blockadeverbands vor der ukrainischen Schwarzmeerküste. In dieser Funktion ging die Moskwa ungefähr 50 Seemeilen vor der Küstenlinie und damit unweit ihres einstigen Konstruktionsorts mit wehender Sankt-Andreas-Flagge unter.

Zusammengefasst war die Moskwa über Jahrzehnte ein Aushängeschild russischer, weit über das Schwarze Meer hinausgehender Ambitionen in der maritimen Domäne. Dies galt sowohl bei der Durchführung kooperativer Marinediplomatie mit strategischen Partnern und der Ausübung kollaborativer Handlungen mit der NATO in den helleren Tagen der NATO-Russland-Beziehungen. Aber auch konfrontativ durch ihre Partizipation am Syrien-Einsatz, ihre Rolle in der Abschreckungsstrategie Russlands und der Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäroperationen während der Krim-Annexion 2014 und zuletzt im aktuellen russisch-ukrainischen Krieg.

Für die Russische Föderation und insbesondere die Schwarzmeerflotte ist der Untergang der Moskwa ein erheblicher moralischer Tiefschlag. Wie breit in den Medien elaboriert wurde, war die Moskwa das erste Großkampfschiff seit dem Untergang des argentinischen Kreuzers General Belgrano am 2. Mai 1982 während des Falkland-Kriegs, das bei Kampfhandlungen versenkt wurde. Hierbei spielt nicht zuletzt die Namensgebung des Kreuzers – übersetzt „Moskau“ – eine zentrale Rolle. Wer sich mit deutscher Marinegeschichte auskennt, der weiß um die Bedeutung von Namen der Marineschiffe im Krieg. Nicht ohne Grund wurde das Panzerschiff Deutschland Ende 1939 in Lützow umbenannt, um den Prestigeverlust im Falle eines negativen Gefechtsausgangs zu minimieren. Der Verlust des Stolzes der russischen Schwarzmeerflotte, benannt nach der russischen Hauptstadt, kam zu einem Zeitpunkt, an dem Russlands ursprünglicher Invasionsplan für die Ukraine gescheitert war und die Kampfhandlungen im Süden und Osten der Ukraine zu einem verlustreichen Abnutzungskrieg degenerierten. Ja nachdem, wie sich der russisch-ukrainische Krieg weiterentwickelt, ist nicht auszuschließen, dass der Untergang der Moskwa als Teilaspekt einer möglichen Wahrnehmungswende in die Geschichtsschreibung eingehen wird.

Schließlich ist der Verlust der Moskwa auch vom operativen Standpunkt aus interessant. Dies gilt einerseits für die russischen Verbände im Operationsgebiet. Obwohl primär als Anti-Surface-Warfare-Einheit konzipiert, verfügte die Moskwa mit ihren 8x8 SA-N-6-Werfern über eine, zumindest in der Theorie, ausgeprägte Langstrecken-Luftverteidigungsfähigkeit und stellte damit einen bedeutenden Beitrag zur Verbandsluftverteidigung. In Anbetracht des äußerst niedrigen Bestands an mittleren und großen Kriegsschiffen (Grün- bis Blauwassereinheiten), kann es sich für Russland durchaus als eine schwer zu meisternde Herausforderung darstellen, diesen Fähigkeitsverlust schnell und adäquat zu ersetzen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass diverse westliche Nationen bereits angekündigt haben, die Ukraine verstärkt mit Anti-Schiffflugkörpern zu beliefern. In diesem Zusammenhang kann auch die unmittelbar nach Versenkung der Moskwa erfolgte Berichterstattung interpretiert werden, wonach russische Kriegsschiffe abgelaufen sind und ihre Distanz zur ukrainischen Küste erheblich vergrößert haben.

Andererseits könnten die Implikationen des Vorfalls auch im Hinblick auf die Deutsche Marine genau untersucht werden und der Debatte um Anti-Access Area Denial (A2/AD) und die Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung, insbesondere hinsichtlich der Anschaffung von großen Kriegsschiffen, noch einmal einen Impuls geben. Kritiker mögen vorbringen, dass das russische Luftverteidigungssystem SA-N-6 Grumble technisch den Stand des späten Kalten Kriegs widerspiegelt und mit der Leistungsfähigkeit moderner Luftverteidigungssysteme westlicher Bauart nicht zu vergleichen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass einige der schlagkräftigsten Flugkörpersysteme modernster russischer und chinesischer Bauart noch weitaus gefährlichere Fähigkeiten aufweisen als die ukrainischen R-360 Neptun.

Daher bietet sich erneut der Blick in die russische Marinegeschichte an. Wie Andrew Lambert ausführlich geschildert hat, fiel es im Krim-Krieg zwischen 1853 und 1856 den schweren Linienschiffen der Royal Navy und ihren französischen und türkischen Alliierten extrem schwer, erfolgreich gegen die landgestützten russischen Batterien bei Sewastopol zu operieren, die über enorme Feuerkraft und gute Deckung verfügten. Als sich das Geschehen mit Fortschreiten des Kriegs zunehmend in den Ostseeraum verlagerte, stand die Royal Navy den gefürchteten russischen Festungsanlagen an der Südspitze des damals russischen Finnlands und Kronstadts gegenüber. Die Engländer änderten ihren Operationsansatz und griffen unter anderem auch mit vielen kleinen, schnellen Kanonenbooten an. Diese waren erheblich schwerer für die russische Küstenartillerie zu bekämpfen und ihre schiere Anzahl ermöglichte die Kompensation von Verlusten. Mit einem Trommelfeuer aus ihren schweren Mörsern zielten sie auf die Schwachstellen der russischen Festung insbesondere im Arsenalbereich. Hierdurch wurde, nach einer im Verhältnis zur Belagerung von Sewastopol kurzen Zeit, die kritische Infrastruktur der russischen Festung bei Sweaborg neutralisiert.

Tobias Kollakowski ist Doktorand am King’s College London und wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS).

Tobias Kollakowski

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert