Segelschulschiff Palinuro auf einer Broschüre der italienischen Marine, Foto: Italienische Marine

Segelschulschiff Palinuro auf einer Broschüre der italienischen Marine, Foto: Italienische Marine

Segelschulschiff Palinuro: Kleine Schwester unter Segeln

Vor 90 Jahren wurde das italienische Segelschulschiff Palinuro auf Kiel gelegt

Manche Fischereifahrzeuge haben einen erstaunlichen Werdegang. Zu ihnen gehört die Palinuro der italienischen Marine, eine Schonerbark oder Barkentine. 1933 auf der Werft Anciens Chantiers Dubigeon im französischen Nantes auf Kiel gelegt und im Folgejahr unter dem Namen Commandant Louis Richard vom Stapel gelaufen, trieb sie ihren Auftraggeber Joseph Briand, Präsident der französischen Société des Pècheries Malouines, in den Bankrott, bevor sie überhaupt zu ihrem ersten Einsatz auslaufen konnte. Briand verkaufte den stählernen Dreimaster zusammen mit dem Schwesterschiff Lieutenant René Guillon an die Pècheries du Labrador in Saint-Malo. Hier wurde die Commandant Louis Richard zum Schoner aufgebaut und mit Kühlkammern und modernster Technik ausgestattet.

Nach einem ersten Einsatz als Fischereifahrzeug 1934 ging das Schiff auf Kabeljaufang in den Atlantik. 1948, nach zweimaligem Besitzerwechsel – neuer Eigner war die Reederei Bonin in Noirmoutier-en-Île – wurde es in Jean Marc Aline umgetauft und im südlichen Indischen Ozean bei den Inseln Saint Paul und Nouvelle Amsterdam eingesetzt. Da das Geschäft schlecht lief, waren die Tage als Fischereifahrzeug gezählt. Zunächst erwog die französische Marine, die Barkentine als Schulschiff zu übernehmen, schließlich kam ihr die italienische Marina Militare zuvor. Sie erwarb den Segler für die Ausbildung von Unteroffizieren und stellte ihn nach umfangreichen Umbauten Anfang Juli 1955 unter dem Namen Palinuro mit der Kennnummer A 5311 in Dienst. Das Schiff unterstand seither verschiedenen Ausbildungsstätten, gegenwärtiger Heimathafen ist La Spezia, Hauptstadt der Provinz Ligurien am Golfo dei Poeti.

Die Palinuro ist viel umhergekommen. Allein zwischen 1955 und 2002 absolvierte sie 33 Ausbildungsfahrten und lief Ziele in Frankreich, Griechenland und Nordafrika an. Dabei tat sie ihrem Motto faventibus ventis (lat: von Winden begünstigt) alle Ehre, indem sie nicht nur rund 300 000 Seemeilen zurücklegte, sondern auch an zahlreichen Segelveranstaltungen wie den Cutty Sark Tall Ships Races, der Hanse Sail Rostock, Sail Antwerpen, Sail Flensburg und Sail Bremerhaven teilnahm. Ein besonderer Höhepunkt ihrer Einsatzgeschichte waren die Olympischen Sommerspiele in Mexico City 1968, für welche sie das Olympische Feuer von Genua nach Barcelona transportierte. Die Besatzung setzte sich entsprechend für das Schiff ein. Als die italienische Marine die Palinuro nach 25 Jahren Dienstzeit durch einen Neubau ersetzen wollte, beharrte die Mannschaft darauf, dass sie instandgesetzt werde. Und sie hatte Erfolg. Mitte der Achtzigerjahre wurde die Barkentine generalüberholt und ist nach wie vor als nave scuola, als Schulschiff, in Fahrt. Und das ungeachtet der nicht gerade großzügigen Raumverhältnisse. 2002 bestand die Crew aus fünf Offizieren, 25 Unteroffizieren und 31 Seeleuten, inzwischen sind es 84 Mann Besatzung, wobei diese während der Ausbildungsfahrten reduziert werden muss, um Raum für Schüler und Lehrpersonal zu schaffen. Bei der verhältnismäßig bescheidenen Größe – die Palinuro misst 59 Meter in der Länge und ist gut zehn Meter breit – wohl nicht immer ein einfaches Unterfangen. Dafür ist der ursprünglich verbaute 150 PS starke Dieselmotor durch eine 600-PS-Maschine ersetzt worden, welche zu Hilfe genommen werden kann, wenn die rund 1000 Quadratmeter Segelfläche nicht ausreichen oder nicht zum Einsatz kommen können. Schaut man auf die Website der Marina Militare, ist eines klar: Die Marine Italiens ist stolz auf die Palinuro. Und sie wird hoffentlich auch weiter an dem historischen Segler festhalten, der 2023 den 90. Jahrestag seiner Kiellegung begeht. Seine guten Segeleigenschaften hat der schmucke Dreimaster schon mehrfach unter Beweis gestellt und kann der eindrucksvollen, aber schwerfälligen Amerigo Vespucci zumindest in dieser Hinsicht durchaus das Wasser reichen.
Der Name Palinuro geht übrigens auf eine Sage aus der römischen Mythologie zurück. Palinurus war der Steuermann des Aeneas auf dessen Fahrt vom zerstörten Troja nach Italien. Als Venus, die Mutter des Aeneas, den Meeresgott Neptun darum bat, ihren Sohn sicher ans Ziel zu bringen, versprach dieser, dass nur ein einziges Besatzungsmitglied unterwegs zu Schaden kommen würde. Dieser Pechvogel war Palinurus. Vom Schlafgott überwältigt, stürzte er von Bord und trieb drei Tage lang über das Meer, bis er an der Küste Lukaniens in Süditalien strandete und dort von den Bewohnern erschlagen wurde. Zugegeben, keine sehr erbauliche Geschichte. Dennoch ist der Steuermann ein würdiger Namensgeber, da er mit seinem Tod das Leben vieler rettete und selbst zum Mythos wurde.

Andreas von Klewitz

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