Friedenseinsätze der lateinamerikanischen Streitkräfte
Dreizehn lateinamerikanische Staaten beteiligen sich an internationalen Friedenseinsätzen, humanitären Einsätzen oder multinationalen Einsätzen zur Sicherung der Meere. Häufige Einsatzorte sind Afrika und der Mittlere Osten. Das eingesetzte Personal variiert dem Auftrag entsprechend, von einer Handvoll Beobachter bis zu kompanie- und bataillonsstarken Einheiten samt Unterstützungstruppen. Dem operativen Umfeld entsprechend werden primär Heerestruppen eingesetzt, doch auch Marinekräfte kommen zum Zug.
Argentinien: Buenos Aires beteiligt sich an der UN-Friedenstruppe auf Zypern (zwei Infanteriekompanien zuzüglich Transporthubschrauber) und entsendet Beobachter auf die Sinai-Halbinsel, auf die Golanhöhen sowie in die Westsahara. Argentinien entsandte zwischen 1995 und 2004 auch Truppen zur Unterstützung des NATO-Stabilisierungseinsatzes in Bosnien, und unterstützte anschließend zeitweise die dortige EUFOR-Mission; ab 1999 entsandten die Südamerikaner auch Sanitätstruppen im Rahmen des NATO-Einsatzes im Kosovo.
Brasilien: Als stärkste Militärmacht Lateinamerikas ist Brasilien erwartungsgemäß das aktivste Land bei der Beteiligung an internationalen Einsätzen. So stellte Brasilia von 2004 bis 2017 durchgängig das stärkste nationale Kontingent der UN-Stabilisierungsmission auf Haiti (ein Infanteriebataillon und eine Pionierkompanie); das multinationale Kontingent, das rund 5.000 Personen umfasste, wurde bis zur Beendigung der Mission 2017 ständig durch einen brasilianischen General geführt.
Um die Entsendungskapazitäten des Landes noch zu steigern, optimiert das brasilianische Heer derzeit ein für Friedenseinsätze ausgerichtetes Bataillon; die Einheit soll 2022 einsatzbereit sein. Anders als die meisten lateinamerikanischen Staaten setzt Brasilien auch seine Marine im Rahmen internationaler Operationen ein. Seit 2011 entsendet das Land jährlich eine Fregatte zur Beteiligung an der UN-Friedenstruppe im Libanon. Ein brasilianischer Konteradmiral war bereits mehrmals Kommodore der UNIFIL Maritime Task Force. Auch außerhalb der UN-Ägide ist das brasilianische Militär in Übersee aktiv. So nimmt die Marine unter anderem an der jährlichen Übung Obangame Express im Golf von Guinea teil; Ziel der gemeinsam mit US-amerikanischen, europäischen und afrikanischen Seestreitkräften durchgeführten Übungsreihe ist die Förderung der Einsatzfähigkeit der Anrainerstaaten des Golfs.
Chile: Auch Chile will die Beteiligung an UN-Einsätzen steigern. Santiago entsendet derzeit Beobachter auf die Golanhöhen sowie kleine Gruppen mit jeweils rund 15 Personen zur UN-Mission nach Zypern und zur Unterstützung der EU-Mission in Bosnien. Von 1995 bis 2004 hatte Santiago bereits Truppen zur NATO-Stabilisierungsmission in Bosnien abgestellt.
El Salvador: San Salvador stellt Friedenstruppen für fünf UN-Missionen in Afrika und dem Mittleren Osten. Die größten Kontingente wurden nach Mali (rund 100 Infanteristen und eine Hubschrauberstaffel) und in den Libanon (ein Infanteriezug) entsandt.
Guatemala: Guatemala beteiligt sich an sechs UN-Entsendungen in Afrika und im Libanon. Das größte Kontingent ist eine Spezialkräftekompanie in der Demokratischen Republik Kongo.
Kolumbien: Bogota stellte im August 2015 ein Offshore-Patrouillenschiff (OPV) zur EU-geführten Anti-Piraterieoperation Atalanta und zur NATO-Operation Ocean Shield ab; im Rahmen der Entsendung in die Gewässer vor Somalia übte das kolumbianische Schiff ARC „7 de Agosto“ mit Einheiten der deutschen, spanischen und dänischen Marine. Im Januar 2016 folgte eine Grundsatzvereinbarung mit der UN hinsichtlich der möglichen Teilnahme kolumbianischer Streitkräfte an Friedensmissionen. Bogota entsendet ein Infanteriebataillon zur UN-Mission auf der Sinaihalbinsel.
Mexiko: Vor fünf Jahren beschloss Mexiko die Ausweitung der militärischen Auslandseinsätze, mit dem Schwerpunkt Friedenseinsätze. Dabei wurde die Aufstellung eines hierauf ausgerichteten Bataillons mit Einsatzbereitschaft ab 2021 beschlossen. Ein Einsatzführungszentrum für humanitäre Entsendungen wurde 2019 eingerichtet; die Dienststelle soll die Koordinierung gemischter zivil-militärischer Entsendungsgruppen übernehmen und die vorbereitende Einsatzausbildung des beteiligten Personals durchführen. Aufgrund verfassungsrechtlicher Einschränkungen hinsichtlich der Truppenentsendung beteiligt sich Mexiko aktuell allerdings lediglich an der UN-Beobachtermission in der Westsahara.
Uruguay: Montevideos Militär beteiligt sich an vier UN-Einsätzen. Das größte Kontingent umfasstt rund 1.200 Truppen für die Stabilisierungsmission in der Demokratischen Republik Kongo.
Hinzu kommen Bolivien, Ecuador, Honduras, Paraguay und Peru. Diese Länder beteiligen sich mit einer sehr kleinen Anzahl Beobachter an UN-Einsätzen in verschiedenen, zumeist afrikanischen Staaten.
NATO Global Partners
Wie oben erläutert, gab und gibt es im Rahmen der Friedens- und Sicherungseinsätze, an denen sowohl lateinamerikanische Staaten wie NATO-Staaten teilnehmen, des Öfteren Gelegenheit zu Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch. Hinzu kommt die Tatsache, dass die meisten lateinamerikanischen Staaten enge Ausbildungs- und Übungsvereinbarungen mit den US-Streitkräften und Kanada haben. In geringerem Umfang erfolgen auch mit einigen europäischen Staaten gemeinsame Übungen und Ausbildungsprogramme, aber auch operative Zusammenarbeit. Dies geschieht etwa im Bereich der Drogenbekämpfung in der Karibik, an der sich Großbritannien, Frankreich und die Niederlande aufgrund der dortigen Besitzungen beteiligen.
Einige lateinamerikanische Staaten streben die Anerkennung als NATO Global Partner an. Bei den globalen Partnern handelt es sich um Staaten außerhalb des geografischen Zuständigkeitsgebiets des Bündnisses, die dennoch aus sicherheitspolitischen Gründen als Partner in Frage kommen. Die Anerkennung einzelner Staaten als globale Partner wurde auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im Jahr 2010 beschlossen. Diese flexible Partnerschaftspolitik wurde in den Folgemonaten ausgearbeitet und formell auf dem Berliner Außenministertreffen des Bündnisses im April 2011 verabschiedet. Ausgewählte Partnerstaaten können sich damit an allen kooperativen Aktivitäten und Übungen des Bündnisses beteiligen. Die Allianz kann nun ein tiefergreifendes Engagement mit Staaten in allen Teilen der Welt suchen, die einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit leisten könnten. Vertrauensbildende Maßnahmen, stärkere Transparenz, Informationsaustausch, und eine vertiefte praktische Zusammenarbeit mit den betreffenden Staaten werden möglich. Dies führt einerseits zum Ausbau des politischen Dialogs hinsichtlich gemeinsamer Sicherheitsinteressen und andererseits zu praktischer Hilfe beim Ausbau der militärischen Fähigkeiten der Partner, einschließlich deren Interoperabilität mit der NATO.
Ein Ziel des Partnerschaftsprogramms ist der Ausbau der operativen Zusammenarbeit, einschließlich der Einbindung einzelner Partnerländer in NATO-Übungen und -Einsätze. Nach Angaben des NATO-Hauptquartiers vereinbaren die beteiligten Staaten mit dem Bündnis ein individuell konzipiertes Kooperationsprogramm und wählen die Aufgabenbereiche, auf denen sie aktiv mit der NATO – zum gegenseitigen Nutzen – zusammen arbeiten möchten. Die meisten globalen Partnerstaaten tragen aktiv zu NATO-geführten Operationen bei. In der Regel sind sie den NATO-Mitgliedern hinsichtlich der operativen Einbindung gleichgestellt; dies erstreckt sich auch auf die Einbindung von Verbindungsoffizieren in den entsprechenden Planungsstäben im NATO-Hauptquartier. Allerdings kann sich die Zusammenarbeit mit den einzelnen globalen Partnern auch auf politische Zusammenarbeit beschränken. Es besteht weder eine Beistandsverpflichtung seitens der NATO noch eine Verpflichtung zur Teilnahme an militärischen Operationen seitens der Partner.
Vorreiter Kolumbien
Bislang genießen neun Staaten weltweit den Status eines NATO Global Partners. Der bisher einzige lateinamerikanische Staat in dieser Runde ist Kolumbien. Die Aufnahme des Landes in den Club der globalen Partner wurde 2017, nach vierjährigen Verhandlungen, vereinbart. Der damalige kolumbianische Staatspräsident Juan Santos Calderon betonte die Vorteile der „Akkreditierung“ in Brüssel. Er stellte eine Kooperation in den Bereichen maritime Sicherheit, Cybersicherheit sowie bei der Bekämpfung von Terrorismus und des internationalen Verbrechens in Aussicht. Der neue Status würde den internationalen Stellenwert und Einfluss steigern, erklärte Santos Ende Mai 2018 anlässlich seines Besuchs im NATO-Hauptquartier.
Kolumbien zieht bereits praktische Vorteile aus der Partnerschaft. Gemeinsame Übungen und Ausbildungsmaßnahmen fördern die Interoperabilität mit dem Bündnis und bewirken eine Steigerung der Einsatzfähigkeit der kolumbianischen Streitkräfte. Kolumbianische Offiziere besuchen Lehrgänge der NATO-Schule in Oberammergau sowie das NATO Defense College in Rom. Bereits seit 2013 ist das kolumbianische Verteidigungsministerium am Building Integrity Program des Bündnisses beteiligt, um die Einbindung demokratischer Normen wie politische Verantwortlichkeit und Transparenz zu festigen.
Andererseits profitiert das Bündnis von der langjährigen operativen Erfahrung Kolumbiens in den Bereichen Minenräumung, Bekämpfung von improvisierten Sprengsätzen sowie Bekämpfung von Insurgenten und paramilitärischen Drogenkartellen im Dschungel und auf See. Gegenwärtig arbeiten beide Seiten noch aus, wie Kolumbien seine spezifischen Erfahrungen und Fähigkeiten am besten zur Unterstützung des Bündnisses einsetzen kann. Als erster Schritt wurde im März 2019 das internationale Minenräumzentrum Kolumbiens (Columbian International Demining Center, CIDES) in das Netzwerk der NATO-Ausbildungsstätten integriert; NATO-Personal erhält hierdurch Zugang zu den CIDES-Ausbildungsprogrammen. Im gleichen Jahr wurde in Bogota ein Fortgeschrittenenseminar eingerichtet, um die Erfahrungen der kolumbianischen Streitkräfte bei der Bekämpfung der Piraterie und des maritimen Drogenschmuggels an die Partner zu vermitteln. Die Übertragbarkeit dieser operativen Erfahrungen auf die Terrorbekämpfung ist Bestandteil des Kurses.
Weitere gemeinsame Ansätze, die verfolgt werden, sind die Stärkung der maritimen Interoperabilität und des Informationsaustauschs zwischen den Seestreitkräften Kolumbiens und der NATO-Staaten, sowie gemeinsame Ansätze für den Schutz der Zivilbevölkerung (insbesondere Frauen und Kinder) im Rahmen von Friedenseinsätzen.
NATO 2030
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellt grundsätzlich auch weiteren lateinamerikanischen Staaten die Anerkennung als Partner in Aussicht. „Es ist durchaus möglich, auch weitere Partner aus Lateinamerika zu haben, [aber] der Wunsch müsste ausdrücklich von dem lateinamerikanischen Land vorgetragen werden [und] ausführlich durch die 29 Mitgliedsstaaten untereinander diskutiert werden“, erklärte Stoltenberg im April 2019. Eine Aufnahme dieser Staaten als vollwertige NATO-Mitglieder bleibt allerdings bereits aufgrund der geografischen Einschränkungen des NATO-Abkommens weiterhin ausgeschlossen, erklärte Stoltenberg, nachdem US-Präsident Donald Trump eine NATO-Mitgliedschaft Brasiliens vorgeschlagen hatte.
Auch vor kurzem wiederholte der Generalsekretär die Bereitschaft des Bündnisses, weitere globale Partner zu suchen, allerdings ohne Lateinamerika ausdrücklich zu erwähnen. Am 8. Juni stellte Stoltenberg die Initiative NATO 2030 vor. Die Initiative soll die sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der nächsten Jahre analysieren und Schlussfolgerungen für die Interessen des Westens ziehen. Die Anpassung an die neuen Realitäten, die sowohl wirtschaftliche wie militärische Bedrohungen wie auch Pandemien und Klimawandel einschließen, erfordert unter anderem auch einen breiter gefächerten globalen Ansatz, erklärte Stoltenberg. Dieser globale Ansatz soll nicht in der geographischen Erweiterung der militärischen Präsenz des Bündnisses münden, mahnte der Generalsekretär. Im Vordergrund liegt vielmehr die Erkenntnis, dass die nationalen Interessen und Sorgen der Nationen miteinander verknüpft sind. „Wenn wir Richtung 2030 schauen, müssen wir noch enger mit gleichgesinnten Ländern [zusammenarbeiten], um die globalen Regeln und Institutionen zu schützen, die jahrzehntelang unsere Sicherheit gewährleisteten, um [zeitgerechte] Normen und Verhaltensregeln zu entwickeln und letztendlich für eine auf Freiheit und Demokratie beruhende Welt einzutreten“, erklärte Stoltenberg.
Autor: Sidney E. Dean
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