„Nicht während unserer Wache!“, das war die entschiedene Reaktion des Inspekteurs der Marine auf die völkerrechtswidrige Invasion der Ukraine durch Russland. Was bedeutet das konkret für diejenigen, die an Bord auf Wache stehen?
Nur wenige Tage nach dem Jahreswechsel lief die Fregatte Mecklenburg-Vorpommern, um zum dritten Mal an der Task Group 441.01, der Very High Readiness Joint Task Force (Maritime), kurz VJTF (M), teilzunehmen. Streng genommen handelt es sich hierbei nur um eine einsatzgleiche Verpflichtung, die vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage in Europa dennoch einem Einsatz gleichkommt.
Der ständige Kampfverband der NATO Response Force soll durch seine Präsenz im Nordflankenraum zum einen einen Beitrag zur Bündnissolidarität und zur Rückversicherung leisten, zum anderen dient die Demonstration der Einsatzbereitschaft mit der Teilnahme an verschiedenen Hochwertmanövern der militärischen Abschreckung. Die Besonderheit diesmal: Die Fregatte Mecklenburg-Vorpommern ist seit der Übernahme des Kommandos über die Task Group 441.01 durch Flottillenadmiral Thorsten Marx das Flaggschiff des ständigen NATO-Einsatzverbands. Damit wurde die Führungsrolle eines wesentlichen Teils der VJTF Maritime auf die deutsche Marine übertragen.
Weithin bekannt sind die Standing Naval Force Atlantic (SNFL) und ihr Nachfolger, die Standing NATO (Response Force) Maritime Group (SNMG1). Doch wo liegen die Unterschiede zur VJTF (M), die nach außen immer noch als SNMG 1 auftritt? Zunächst einmal wurde nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine mit der der Aktivierung der VJTF durch den Supreme Allied Commander Europe aus der SNMG1 organisatorisch die Task Group (TG) 441.01 der VJTF(M).
Der wesentliche Unterschied zur SNMG 1 sind nach Jahren der Fokussierung auf Einsätze im Rahmen des internationalen Krisenmanagements die nun wiedererlangte Größe und damit Schlagkraft des Verbands, der durchgängig in hohem Tempo agiert, das durch einen dynamischen und flexiblen Trainings- und Einsatzplan vorgegeben ist. Insbesondere Großmanöver wie Dynamic Mongoose im strategisch wichtigen Seegebiet zwischen Grönland, Island, Großbritannien und Norwegen, der sogenannten GIUKN-Lücke, demonstrieren dabei unter Nutzung eines realistischen Bedrohungsszenarios die Fähigkeiten der Allianz zur Sicherung der im Konfliktfall über den Atlantik verlaufenden eigenen Nachschubwege und werden in diesem Sinn auch für die strategische Kommunikation der NATO nach außen genutzt.
Der Wille aller NATO-Mitgliedsstaaten, Einheit und Stärke zu zeigen, ist enorm, die Botschaft klar: Die NATO ist jederzeit kampfbereit und die VJTF (M) die kaltstartfähige Speerspitze, die das Bündnis dort einsetzt, wo ein akuter Bedarf besteht. So geschehen im unmittelbaren Nachgang zu den Explosionen an der Pipeline Nord Stream im September des letzten Jahres, als Einheiten der Task Group kurzfristig zur Überwachung kritischer Infrastruktur herangezogen wurden. Fuhr die „alte“ SNMG1 einen mehr als zwölf Monate im Voraus bekannten „Fahrplan“ ab, führt dieses veränderte Mindset dazu, dass das im britischen Northwood angesiedelte NATO Maritime Command (Marcom) für die TG 441.01 aktuell nur noch in einem Zwölf-Wochen-Zyklus plant und sich auch nicht scheut, die im Sommer und über den Jahreswechsel üblicherweise eingeplanten Ruhezeiten im Hafen ersatzlos zu streichen.
Bewährung im Verbandsrahmen
Am 24. Februar wurden alle verfügbaren Einheiten der Deutschen Marine unter dem Motto „Nicht während unserer Wache“ in Nord- und Ostsee geschickt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Mecklenburg-Vorpommern nach einem aufgrund der Pandemie abgebrochenen German Operational Sea Training (GOST GEA) auf dem Weg zurück in den Heimathafen und sollte ohne vollständig abgeschlossenes Einsatzausbildungsprogramm in den Einsatz Eunavformed Operation Irini ins Mittelmeer verlegen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde diese Planung schon wenige Tage später revidiert, die Besatzung nach einer kurzen Regenerationsphase und dem darauffolgendem Isex zur Vermeidung eines erneuten Coronaausbruchs in eine zehntägige isolierte Einzelunterbringung genommen, um danach die Einsatzausbildung mit Erlangung der Einsatzbereitschaftsstufe Bravo (combat ready) abzuschließen.
Ende Mai löste die Mecklenburg-Vorpommern dann die Korvette Erfurt in der TG 441.01 ab. Schon beim ersten Aufeinandertreffen mit dem damals aus vier Fregatten, einem Docklandungsschiff und dem Betriebsstofftransporter Spessart bestehenden Verband waren das hohe Trainingsniveau und die operative Schlagzahl zu spüren. Durch die im EAP geschaffenen Strukturen und Abläufe gelang die Integration in die TG 441.01 nach einem kurzen „Schütteln“ jedoch reibungslos und schnell.
Das operative Tempo änderte sich in den kommenden sieben Wochen nicht. Der Verband nahm unter anderem am großen U-Jagdmanöver Dynamic Mongoose 2022 teil. Eingebunden waren zehn Schiffe, drei U-Boote, sieben Maritime Patrol Aircraft (MPA) sowie eingeschiffte Helikopter aus elf Nationen für Übungen mit einer Dauer von bis zu 36 Stunden. In den Pausenzeiten waren, neben der Seeraumüberwachung als Dauerauftrag, grundsätzlich zwei bis drei operative Übungen pro Tag vorgesehen.
Seemännisch standen zudem Schleppanläufe und Seeversorgungsmanöver auf dem Plan, welche mitunter auch unangekündigt aus einer 30-Minuten-Bereitschaft befohlen wurden. Darüber hinaus schufen teilweise unter asymmetrischen Bedrohungsszenarien absolvierte Navigationsbelehrungsfahrten im Umkreis der Färöer-Inseln oder in den norwegischen Fjorden bleibende Eindrücke. Nach der ersten, bis Mitte Juli 2022 dauernden Teilnahme an der VJTF (M) kam die Fregatte auf insgesamt 267 Serials in sieben Wochen, darunter 20 große operative Übungen und zwölf Versorgungsmanöver mit beinahe täglichem Flugbetrieb.
Nach einem kurzen Sommerurlaub folgte im September und Oktober eine weitere Teilnahme der Mecklenburg-Vorpommern an der VJTF(M). Dabei beteiligten sich die Einheiten an den Großmanövern Dynamic Messenger und Joint Warrior sowie an den nationalen Vorhaben Heimdall und Vision im Herbst. Eine ABC-Abwehrfähigkeitsüberprüfung im Heimathafen beschloss das Jahr.
Seit dem 4. Januar ist die Mecklenburg-Vorpommern bis Mitte Juli 2023 als Flaggschiff erneut in der TG 441.01 eingesetzt.
Was bleibt nun von den Teilnahmen an der VJTF (M) und was muss zukünftig beachtet werden?
Auch wenn zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels noch mehr als vier Monate Einsatz vor dem Schiff lagen, kann schon jetzt ein vorläufiges Fazit gezogen werden.
Zum einen bleibt festzuhalten, dass die VJTF(M) den Einheiten eine Gelegenheit gibt, auch außerhalb eines German Operational Sea Training über einen längeren Zeitraum wieder für die Landes- und Bündnisverteidigung essenzielle Fähigkeiten im Bereich der mehrdimensionalen Seekriegführung gegen einen gleichwertigen Gegner im Verbandsrahmen mit unseren Alliierten zu üben. Vor allem im operativen Bereich wird deutlich, dass der GOST nicht das Ende, sondern der Beginn einer Ausbildung im Verband ist, um jederzeit das militärische Handwerk unter allen Umständen beherrschen zu können. Positiv ist weiterhin festzuhalten, dass ein mit der Einsatzbereitschaftsstufe Bravo abgeschlossenes Einsatzausbildungsprogramm eine Besatzung befähigt, erfolgreich in dieser operativen Umgebung zu bestehen. Die Mecklenburg-Vorpommern hat auch nachgewiesen, dass die deutsche Marine multinationale Verbände führen kann und die nötigen Verfahren in den verschiedenen Warfare Areas beherrscht. Das wurde beispielsweise bei zahlreichen U-Jagdübungen, bei denen das Schiff mehrere Maritime Patrol Helicopter, MPAs und Towed-Array-Sonar-Träger in einem taktischen Szenario gegen ein U-Boot führte, deutlich. Darüber hinaus gibt es keinen Grund, sich bezüglich des technischem Klarstands hinter den Partnern zu verstecken. Die schnelle Lieferung von Ersatzteilen inklusive der Verfügbarkeit von technischer Unterstützung des Marinearsenals bei Defekten der Sensoren und Effektoren waren beispielgebend im Vergleich mit den Schiffen anderer Nationen. Die Lieferung eines Lynx-Triebwerks auf die Färöer-Inseln und die anschließende Instandsetzung innerhalb von 48 Stunden nach Identifikation des Defekts haben auch die niederländische Verbandsführerin beeindruckt.
Also ist alles in Ordnung? Leider nein, denn abseits dieser Erfolgsmeldungen hat der Einsatz der Mecklenburg-Vorpommern doch auch einige Schwachstellen offenbart, die es abzustellen gilt. So wird im Verband deutlich, was wir in den Zeiten als Einzelfahrer in den Einsätzen im Mittelmeer und am Horn von Afrika nicht ausreichend vorangetrieben haben. Konkret beinhaltet dies Aspekte wie den flächendeckenden Betrieb von Link-16-Netzwerken und die operative Nutzung von Link 22 sowie ausreichend Bandbreite in Zeiten des schnellen Informationsaustausches. Auch zeitgemäße Systeme in den einzelnen Warfare-Bereichen zählen dazu, wie beispielsweise die Nutzung unbemannter Systeme und die Einführung modernen Equipments, wie einem Towed-Array-System zur U-Jagd oder so „einfache“ Dinge wie die rechtzeitige Einrüstung von IFF Mode 5. Auch wenn wir in der Lage sind, entsprechende Assets im Verband zu führen, hat sich doch gezeigt, dass wir selber hier nur wenig beitragen können. So bleibt die Erkenntnis eines unzweifelhaft an vielen Stellen bestehenden Modernisierungsbedarfs, um auch in Zukunft auf Augenhöhe mit den Verbündeten agieren zu können. Eine weitere Herausforderung, die auch in absehbarer Zeit bestehen bleibt, ist die Verfügbarkeit von Personal. Drei VJTF (M)- Teilnahmen innerhalb von zwölf Monaten mit entsprechend hohem Tempo im Anschluss an ein unter Pandemiebedingungen absolviertes EAP führen eine gerade im Bereich des operativen Personals unter erheblichen Vakanzen leidende Besatzung trotz allem Stolz an den Rand der Belastbarkeitsgrenze. Nur der unbedingte Durchhaltewille und das richtige Mindset machen dies möglich. Dennoch kommt der Nachwuchsgewinnung von seefahrtsfähigem und seefahrtswilligem Personal eine entscheidende Rolle zu.
So wie es in der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz anklang, muss abschließend das neue Mindset der Landes- und Bündnisverteidigung, des „Kämpfen-Könnens, um nicht kämpfen zu müssen“ in allen Köpfen sein. Dies betrifft neben den Besatzungen auch die rückwärtigen Bereiche Instandhaltung, Logistik, Personal und Ausbildung, die entsprechend dem Motto frontline first handeln müssen. Voraussetzung hierfür ist ein querschnittliches operatives Verständnis sowie entsprechende Priorisierung in der gesamten Marine und der Bundeswehr einschließlich der logistischen Unterstützung und des Bereichs Personalmanagement. Wenn es gelingt, die genannten Herausforderungen in den Bereichen technische Modernisierung, auskömmliche Personalausstattung und operatives Mindset erfolgreich zu lösen, kann wieder optimistisch in die Zukunft geblickt werden.
Kapitänleutnant Lisa Becker und Kapitänleutnant Pascal Heimann sind Besatzungsmitglieder der Fregatte Mecklenburg-Vorpommern.
Lisa Becker und Pascal Heimann
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