Deutsche Marine, Fregatte "Hessen", Klasse 124. Foto: Bundeswehr

Deutsche Marine, Fregatte "Hessen", Klasse 124. Foto: Bundeswehr

Der deutsche Beitrag

Mit der Veröffentlichung des Zielbilds Marine 2035+ bietet sich die Gelegenheit, intensiver über zukünftige deutsche Luftverteidigungsfregatten nachzudenken. Die aktive Abwehr ballistischer Raketen wird eine zentrale Rolle spielen.

Nach dem zwischen 2034 und 2036 vorgesehenen Ende der Nutzungsdauer der Fregatten 124 soll zur Abwehr ballistischer Flugkörper die zukünftige Fregattenklasse 127 beitragen. Und zwar anders als die Klasse 124 nicht nur durch ihre Sensoren, sondern insbesondere durch ihre Bewaffnung. Über BMD hinaus soll sie zur Abwehr hypersonischer Bedrohungen befähigt sein. Die zukünftige Klasse wäre somit ein weltweit einsetzbares Waffensystem zum Schutz eines Einsatzverbandes oder eines Operationsraumes gegen das gesamte Spektrum der Bedrohung aus der Luft.

Im Zielbild für die Marine ab 2035, das im März 2023 veröffentlicht wurde, sind sechs Fregatten 127 vorgesehen. Sie sollen als auf die Luftabwehr (Anti-Air Warfare, AAW) spezialisierte Einheiten neben sechs U-Jagd-Einheiten, worunter das Zielbild die Fregatten 126 versteht, den Kern von Hochseekampfgruppen für die Nordflanke und den weltweiten Einsatz bilden.

Das Projekt wurde bis Februar 2022 wie so manch anderes zukunftsfähiges Rüstungsvorhaben auf kleiner Flamme gehalten. Als Projekt Next Generation Frigate – Air Defence (NGFrig-AD) beschäftigte es Konzeptionäre und Entwickler. Im aktuellen Haushaltsplan der Bundesregierung (Bundeshaushaltsgesetz 2023) sind keine Haushaltsmittel für die Klasse 127 veranschlagt. Ein Entwurf zum Bundeshaushalt 2024 lag zum Redaktionsschluss noch nicht vor.

Auf Basis der aktuellen Meko-Fregatten könnte TKMS eine Version zur Luftverteidigung entwickeln, Foto: TKMS

Auf Basis der aktuellen Meko-Fregatten
könnte TKMS eine Version zur
Luftverteidigung entwickeln, Foto: TKMS

Im Februar 2021 erhielt Airbus den Zuschlag für die Untersuchung eines „generellen Konzepts eines aufwuchsfähigen und über die gesamte Nutzungsdauer einer Fregatte Klasse 127 betreibbaren AMD-Testbeds. Hierbei soll speziell das Technologiefeld ‚Ballistic Missile Defence‘ berücksichtigt werden.“ Soweit der Text auf TED, der öffentlich zugänglichen Ausschreibungsplattform der Europäischen Union.

Mit Einleiten der Zeitenwende, der Verfügbarmachung des Sondervermögens Bundeswehr und dem verstärkten Druck auf Landes- und Bündnisverteidigung rankten sich Hoffnungen auch auf ein rasches Schließen der Fähigkeitslücke in der maritimen Luftverteidigung für die Bereiche Verbandsflugabwehr, Gebietsschutz und ballistic missile defence (BMD). Zur schnelleren Realisierung und Gewinnung von betrieblichen und logistischen Synergien empfahl sich eine military off-the-shelf Lösung in Form von Schiffen und Konstruktionen, die bei NATO-Partnern verfügbar sind. Erste zarte Hinweise gingen in Richtung US Navy, deren USS Constellation (FFG 62), Typschiff der gleichnamigen Klasse von zwanzig Lenkflugkörperfregatten, sich im Bau befindet. Das auf der FREMM-Klasse basierende Design, eine französisch-italienische Koproduktion, versprach eine schnelle Verfügbarkeit der Plattform und des bewährten Führungs- und Waffeneinsatzsystems Aegis. Es hatte sich bereits in der Abwehr ballistischer Flugkörper bewiesen.
Auch andere Schiffe und Konstruktionen sind bei NATO-Partnern verfügbar. Neben der FREMM-Klasse könnte auch die ebenfalls von Frankreich und Italien entwickelte und betriebene Horizon-Klasse in Betracht gezogen werden. Aus dieser Baureihe gelang es der französischen Fregatte Forbin während des Manövers Formidable Shield, einen hyperschallschnellen Flugkörper abzuschießen. Hierbei konnte sich nicht nur das Radarsystem S-1850M, die französische Version von Smart-L, bewähren. Es war gleichzeitig der erste Einsatz des MBDA-Flugkörpers Aster 30 gegen ein Ziel mit einer Geschwindigkeit von mehr als 8000 Stundenkilometern. In früheren Versuchen demonstrierte die französische Marine mit Fregatten des gleichen Typs, dass sie in einer Höhe von weniger als fünf Meter über der Wasseroberfläche anfliegende, überschallschnelle (3000 km/h) Flugkörper bekämpfen kann.

Die Königlich Niederländische Marine betreibt die vier Fregatten der De-Zeven-Provinciën-Klasse. Diese Schiffsklasse wird auch als Luftverteidigungs- und Führungsfregatte (Luchtverdedigings- en commandofregat, LCF) bezeichnet und ähnelt in Funktion und Auftrag der deutschen Sachsen-Klasse.

USS Constellation, Grafik: Fincantieri Marine Group

USS Constellation, Grafik: Fincantieri Marine Group

Im Dezember 2022 hieß es, das Projekt F 127 stehe am Ende der Analysephase 1, seitdem wurde kein neuer Sachstand mitgeteilt. Mit Beginn der Analysephase 2 kommt es zu umfänglichen Studien zur Realisierbarkeit und es werden Lösungsvorschläge entwickelt. In einem vom Marinekommando autorisierten Artikel für die Ausgabe 2-2023 unserer Schwesterzeitschrift „Europäische Sicherheit“ heißt es: „Mögliche Lösungswege gehen derzeit von einer bi-nationalen Kooperation mit kompletter Neuentwicklung, über einen FMS-Case (Foreign Military Sale) für Plattform und Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FÜWES) bis hin zu einem teilweisen FMS-Case für das FÜWES. Bei letzterem würde der Bau der Plattform mit einer deutschen Werft erfolgen und somit die Wertschöpfung in Deutschland erhalten bleiben.“

Anfang März 2023 sorgte ein Bericht in den Kieler Nachrichten über ein Projekt von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) zur F 127 für Aufmerksamkeit. An der Kieler Förde wurde einer geschlossenen Gesellschaft ein Basisentwurf entlang ihrer Meko A 400 AMD präsentiert. AMD steht in diesem Fall für Air and Missile Defence. Auf Nachfrage kommt der Entwurf von rund 160 Meter Länge auf eine Verdrängung von 10 000 Tonnen, ist für eine Besatzung von 150 Personen ausgelegt und soll eine Geschwindigkeit von 32 Knoten erreichen können. Eine entsprechende Illustration zeigt ein Zwei-Insel-Schiff, was für Redundanz und Standkraft spricht. Zur Bewaffnung gehört ein 127-Millimeter-Turm (vermutlich von Vulcano), Rolling Airframe Missile (RAM) und zwei Vertikalstarter-Konfigurationen – je eine vorlich und achterlich des Deckshauses –, was 48 Schächten gleichkäme. Zur Sensorausstattung gehört ein Bugsonar.

In früheren Veröffentlichungen zur F 127 hieß es, dass für den Nah- und Nächstbereichsschutz neben RAM auch die Evolved SeaSparrow Missile (ESSM) Block 2 und Hochenergiewaffen wie ein 100-Kilowatt-Laser in Betracht gezogen werden könnten. Neben den Flugkörpern zur Abwehr von Bedrohungen aus der Luft werden verschiedene Konzepte für die Bekämpfung von See- und Landzielen über weite Entfernungen untersucht. Ebenso betrachtet wird – bedrohungsgerecht – eine weitreichende Waffe gegen U-Boote.

In früheren Veröffentlichungen wurde eine modulare Ausstattung der F 127 in Bezug auf U-Jagd und andere Operationsfelder diskutiert. Ein Flex-Hangar und ein Flex-Heck sollten unterschiedliche Seekriegsmittel zum Einsatz bringen können, beispielsweise kleine bis mittlere unbemannte Flugsysteme (UAVs), ein Einsatzboot oder unbemanntes Überwasserfahrzeug (USV) bis etwa zwölf Meter Länge, alternativ auch mehrere kleinere Typen sowie verschiedene Unterwasserfahrzeuge (UUVs). Weiterhin könnte die F 127 über ein containerisiertes modulares Schleppsonar und andere containerisierte Missionskomponenten und kompatible Aussetz- und Lagersysteme verfügen, darunter auch Seeminen.

Zur Gewährleistung eines nahtlosen Übergangs von der F 124 würde TKMS auf bewährte Komponenten zurückgreifen. Dazu gehört nicht nur die Bewaffnung. Insbesondere das Führungs- und Waffeneinsatzsystem muss in die Zeitlinien passen. Daher richtet sich der Blick auf Aegis. Nach Auffassung der Kieler sei es das einzige System, das im besagten Zeitraum realisierbar sei. Ähnlich verhält es sich mit der Auslegung der Antriebsanlage. Vorgesehen ist Codag – Combined Diesel and Gas. Ein dieselelektrischer Antrieb müsste für die geforderte Höchstgeschwindigkeit von 32 Knoten neu konzipiert werden.

Apropos Termine: TKMS geht davon aus, dass die Auftragserteilung vor 2025 zu erfolgen hat, um die erste Einheit rechtzeitig zum vorgesehenen Lebenszeitende der Sachsen-Klasse zur Verfügung stellen zu können.

MBDA hat mit dem Aster 30 eine wirksame Waffe für die Abwehr ballistischer Raketen entwickelt, Foto: Marine Nationale

MBDA Aster 30 als Waffe zur Abwehr
ballistischer Raketen. Foto: Marine Nationale

BMD-fähige Waffen

Die Herausforderungen bei BMD liegen neben den Sensoren und dem Führungs- und Waffeneinsatzsystem auf den sie ermöglichenden Flugkörpern. Ausschlaggebend für die Anforderungen und Profile ist der Bekämpfungszeitpunkt und -ort: unterschieden wird in endo- als auch exoatmosphärisch.

Marktverfügbar sind die amerikanischen Systeme Standard Missile 6 (SM-6) und Standard Missile 3 (SM-3). MBDA bietet Lösungen gegen hyperschallschnelle Ziele (Aster 15) und zur BMD (Aster 30) an. Die in Entwicklung befindliche Aster 30 Block 2 BMD soll ballistische Raketen auf bis zu 3000 Kilometer Entfernung ausschalten können. Die EU unterstützt die Entwicklung eines seabased European Midcourse Interceptor (sEMDI), einem endoatmosphärischen Abfangjäger. Im EU-Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF) stehen für die Konzeptphase 28 Millionen Euro zur Verfügung.

In den letzten Jahren hat Thales Nederland sein Smart-L Multi-Mission (MM), eine neuere Version des Smart-L-Radars, auf den Fregatten der De Zeven Provinciën-Klasse der Königlich Niederländischen Marine installiert. Es eignet sich für BMD, da es eine Erkennungsreichweite von bis zu 2000 Kilometern gegen ballistische Flugkörper ermöglicht, gegen Luftziele in der Luftverteidigung sollen 480 Kilometer möglich sein. Das Thales-eigene Führungs- und Waffeneinsatzsystem Tacticos ermöglicht BMD und die Abwehr hyperschallschneller Flugkörper. Französische und niederländische Einheiten traten in den vergangenen Jahren den Beweis hierzu nicht nur auf nationaler Bühne an.

Das deutsche Sensorhaus Hensoldt entwickelt gemeinsam mit Elta, einer Tochter des israelischen Unternehmens IAI, das Luft- und Seeraumüberwachungsradar TRS-4D/LR ROT, das ab 2025 auf der Fregatte 124 zum Einsatz kommen werden. Die Radare werden Firmenangaben zufolge die Fähigkeit zur Detektion und Verfolgung von ballistischen Flugkörpern besitzen. Eine Erfassung von kleinen und wendigen Objekten über mehr als 400 Kilometer bei Luftzielen und bis zu 2000 Kilometer bei Objekten im Erdorbit sei möglich.

Symbol der Zeitenwende

Die künftige Fregatte 127 soll in einem Sensor-Wirkverbund mit anderen see-, luft-, raum- und bodengestützten Systemen der integrierten Luftverteidigung operieren. Offen ist, da das Ergebnis der Analysephase noch aussteht, inwieweit die Schiffe einen Beitrag zur territorialen Flugkörperabwehr bei Heimatschutz und Landesverteidigung, aber auch zur NATO Ballistic Missile Defence im Rahmen der Bündnisverteidigung leisten sollen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse und den Forderungen der NATO an Deutschland bezüglich Verbandsflugabwehr zur See, Gebietsschutz sowie Abwehr ballistischer und hypersonischer Bedrohungen ist diese Entscheidungsschwäche unverständlich. Unterstreichen die Einheiten doch die Ernsthaftigkeit des deutschen Engagements in der strategischen Sicherheitsvorsorge der Allianz. Um dies einzulösen, sind allerdings die erforderlichen Haushaltsmittel bereitzustellen. Da dies bisher nicht der Fall ist, könnte der von TKMS avisierte Zeitplan ins Rutschen kommen.

Neben dem zeitlichen Risiko steht die Frage einer Zusammenarbeit mit europäischen Partnern im Raum. Im Dezember 2020 zeichneten die Verteidigungsministerien aus Berlin und Den Haag eine Absichtserklärung zum Ausloten von Kooperationsmöglichkeiten beim Bau zukünftiger Luftverteidigungsfregatten. Die Vorzeichen scheinen sich geändert zu haben. Auf eine parlamentarische Anfrage erklärte der Verteidigungs-Staatssekretär Thomas Hitschler im März 2023, dass es dem Ministerium an einer zeitgerechten Ablösung der Fregatte 124 „durch ein modernes und mit Auslieferung einsatzreifes Schiff“ gelegen ist. Zurzeit würden „alle Handlungsoptionen zur risikoarmen und zeitgerechten Bereitstellung der Fähigkeit der maritimen Luftverteidigung vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Lageänderung ergebnisoffen untersucht“.

Der Entwurf der zukünftigen Klasse 127 von Thyssenkrupp Marine Systems böte den Charme, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen bliebe das Postulat maritimer Schlüsseltechnologie erhalten. In der Auswahl des Führungs- und Waffeneinsatzsystems könnte sich europäische Zusammenarbeit beweisen. Die transatlantische Partnerschaft könnte durch die Auswahl entsprechender Abfangflugkörper untermauert werden.

Hans-Uwe Mergener

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