Der neueste chinesische Flugzeugträger Shandong wurde 2020 in Dienst gestellt, Foto: Chinesische Marine

Der neueste chinesische Flugzeugträger Shandong wurde 2020 in Dienst gestellt, Foto: Chinesische Marine

Explosionsgefahr im Pazifik

Chinas Machtambitionen im pazifischen Raum werden immer stärker. Die Vereinigten Staaten versuchen, gemeinsam mit ihren Verbündeten dagegenzuhalten. Dabei steigt das Risiko eines bewaffneten Konflikts.

Während derzeit der Ukrainekrieg in Europa im Fokus der Berichterstattung steht, hat sich am anderen Ende der Welt, im südostasiatischen Raum, ein weiterer Krisen- und Spannungsraum entwickelt. Chinas Aufstieg zur Seemacht und sein aggressives, vorrangig maritim angelegtes Expansionsstreben und zunehmend auch Nordkoreas provokative Raketen- und Nukleartests haben das sicherheitspolitische Geschehen im Indopazifik geprägt und diesen in ein Krisen- und Spannungsgebiet mit wachsendem militärischen Eskalationspotenzial verwandelt. Dabei kollidiert China mit den ordnungs- und sicherheitspolitischen Vorstellungen der (Noch-)Weltmacht USA, die sich als pazifische Nation versteht und seit 1941 unangefochten als Ordnungsmacht in Fernost agieren konnte. Die Weltseemacht USA begreift Chinas Ausgreifen im indopazifischen Raum als die größte sicherheitspolitische und geopolitische Herausforderung im 21. Jahrhundert und ist bemüht, Chinas Expansionsstreben einzuhegen. China wiederum beschuldigt die USA, seinen Aufstieg in der Welt behindern zu wollen.

Strategische Marinerüstung

In den vergangenen Jahrzehnten hat China seine Marine mit strategischem Weitblick zügig aufgerüstet. Mit derzeit über 355 Schiffen und U-Booten besitzt das Land die größte Marine der Welt und hat die US Navy mit 298 Schiffen auf den zweiten Platz verwiesen. Aufgrund der schnell wachsenden Fähigkeiten der chinesischen Seestreitkräfte werden die USA künftig nicht mehr unwidersprochen und nach Belieben im asiatisch-pazifischen Raum operieren können. China ist heute die weltweit produktivste Schiffsnation. Seine Handelsflotte, die Küstenwache sowie die Fischereiflotte sind die jeweils größte der Welt. Die Fischereiflotte wird auch für Überwachungs-, Kontroll- und Präsenzaufgaben im Süd- und Ostchinesischen Meer eingesetzt.

Zudem unterhält China eine zweite paramilitärische Flotte mit rund 200 Einheiten, die verschiedenen staatlichen Behörden unterstehen. Auch diese Schiffe werden gezielt eingesetzt, um die maritimen Interessen und Ansprüche in der Region durchzusetzen. China realisiert seine sicherheitspolitischen Vorstellungen über ausgeklügelte Langfriststrategien mit Ländern, die wirtschaftlich, technologisch, militärisch und infrastrukturell unterlegen sind. So strebt China Kooperationen in Sicherheitsfragen mit zehn Inselstaaten im Südpazifik an. Dabei sind schon die Salomonen, Vanuatu, Tonga, Fidschi und Kiribati in die Einflusssphäre Chinas geraten. Auch will China seine maritime Reichweite in den kommenden zehn Jahren in den Atlantik und Indik ausweiten und bemüht sich daher in Afrika um Häfen. So hat beispielsweise Südafrika vor der Küste der Hafenstadt Durban und dem 180 Kilometer entfernten Richards Bay im Februar 2023 ein Seemanöver mit China und Russland durchgeführt. Für das Jahr 2023 hat Südafrika den Vorsitz der Brics-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) übernommen. Das chinesische Projekt der Neuen Seidenstraße mit seinen weltweiten Direktinvestitionen in Infrastruktur, Häfen und Energienetze ist Machtpolitik. China kooperiert sogar mit den Taliban in Afghanistan bei der Erschließung der dortigen Erdölvorkommen. Bis 2049 will sich China zur „Führungsnation unter den Industriemächten“ aufschwingen und sich wirtschaftlich und machtpolitisch an die Weltspitze setzen.

Chinesischer Bomber vom Typ H-6 beim Manöver um Taiwan, Foto: MoD Taiwan

Chinesischer Bomber vom Typ H-6 beim Manöver um Taiwan, Foto: MoD Taiwan

Krisen- und Spannungsräume

China beansprucht die uneingeschränkte Souveränität über 85 Prozent des Südchinesischen Meeres. Dort hat es Inselgruppen und vorgelagerte Riffe zu Militärstützpunkten und „unsinkbaren Flugzeugträgern“ ausgebaut und sich damit zugleich die Ressourcen (Öl-, Gas- und Erzvorkommen sowie Fischerei) in den dortigen Ausschließlichen Wirtschaftszonen gesichert. Die Proteste der Anliegerstaaten wurden ignoriert und die internationalen Gerichtsurteile, die Chinas Ansprüche als völkerrechtswidrig verurteilt haben, nicht anerkannt. Im Ostchinesischen Meer streitet China mit Japan um die Senkaku-Inselgruppen, die China als chinesisches Territorium vereinnahmen will. China ist wiederholt mit Patrouillenbooten und Kampfflugzeugen in die Gewässer und den Luftraum um die Inseln eingedrungen, wurde aber stets von japanischen Marinekräften gestoppt.

Die USA stemmen sich im Südchinesischen Meer mit ihren regelmäßigen Freedom-of-Navigation-Operationen (Fonops), also mit der Nutzung des Rechts auf freie Durchfahrt gegen die Annexion der Inselgruppen vor. Dabei berufen sie sich auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) aus dem Jahr 1982, das alle Nutzungsarten der Meere regeln soll. Das Abkommen haben 168 Staaten unterzeichnet und ratifiziert. Deutschland ist 1994 beigetreten, die EU, Russland und China 1996. Die USA, die Türkei und Israel berufen sich zwar auf das Abkommen, haben es aber nicht ratifiziert, worauf China gern hinweist. Bei den Fonops kommt es immer wieder zu gefährlichen Zwischenfällen mit chinesischen Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen, die das Durchfahren oder Überfliegen der chinesischen „Hoheitsgewässer“ um die besetzten Inselgruppen durch US-Einheiten verhindern wollen. Die Operationen haben sich inzwischen zu einem Ritual gegenseitiger Proteste entwickelt, die aber jederzeit militärisch eskalieren können.

Bedrohung durch Nordkorea

Zur Instabilität im asiatisch-pazifischen Raum tragen auch Nordkoreas provokative Raketen- und Nukleartests sowie Drohneneinsätze gegen Südkorea bei. Insbesondere für Südkorea, Japan und die USA stellen sie eine Bedrohung dar. Nordkorea baut sein ballistisches Raketenprogramm kontinuierlich aus, will die Zahl seiner Atomwaffen massiv steigern und führt regelmäßig Raketenstarts mit Interkontinentalraketen durch. Mehrmals haben die Testraketen Japan überflogen. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un hat angekündet, künftig über die weltweit stärkste Atomstreitmacht verfügen zu wollen. Auch hat Nordkorea einen atomaren Präventivschlag per Gesetz für zulässig erklärt. Das Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt, dass Nordkorea bereits mehr als 20 fertige Nuklearsprengköpfe besitzt. Südkoreas Präsident hat angesichts der Bedrohungen verkündet, die Raketenstarts würden die Sicherheitskooperation mit den USA und Japan nur stärken und die gemeinsamen Militärmanöver in den Seegebieten um Korea intensivieren. Er hat sogar die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung angeregt: „Sollte die Bedrohung durch das nordkoreanische Atomwaffenprogramm größer werden, könnten wir hier in Südkorea taktische Atomwaffen [der USA] stationieren oder selber Nuklearwaffen besitzen.“

US-Flugzeugträger USS Nimitzbeim Fonops-Einsatz im Südchinesischen Meer, Foto: US Navy

US-Flugzeugträger USS Nimitz beim Fonops-Einsatz im Südchinesischen Meer, Foto: US Navy

Eskalationsrisiko Taiwan

China betrachtet die 130 Kilometer vor seiner Küste liegende Inselrepublik Taiwan mit ihren 24 Millionen Einwohnern nach dem Ein-China-Prinzip als abtrünnige Provinz, die mit dem Festland vereinigt werden soll. Der chinesische Staatschef Xi Jinping hat die Vereinigung mit Taiwan zur Schicksalsfrage der chinesischen Nation erklärt und gedroht, bei einer Unabhängigkeitserklärung der Insel mit militärischen Mitteln zu reagieren. Er hat die USA vor einem „Spiel mit dem Feuer“ gewarnt, sollten sie sich in die Taiwanpolitik einmischen. Die USA haben das Ein-China-Prinzip zwar anerkannt, betrachten den Status von Taiwan aber als „unbestimmt“ und billigen keineswegs eine militärische Lösung. Vielmehr wollen sie Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen. China aber setzt den Inselstaat politisch und militärisch weiter unter Druck. Im August 2022 führte China rund um Taiwan ein Großmanöver mit See- und Luftstreitkräften durch, bei dem Blockade- und Invasionsoperationen gegen Taiwan simuliert durchgeführt wurden. Dabei verschoss China fünf ballistische Raketen über Taiwan hinweg, die in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Japans landeten. Im Dezember 2022 hat China erneut ein See- und Luftmanöver vor Taiwan durchgeführt, bei dem 47 chinesische Kampfflugzeuge und Bomber in dessen Luftverteidigungszone eindrangen. US-Präsident Joe Biden hat daraufhin erneut versichert, Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs zu verteidigen und weitere Militärhilfe für Sicherheitsaufgaben in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar in den kommenden fünf Jahren angekündigt. Bereits 2020 hatten die USA Rüstungsgüter im Wert von 2,4 Milliarden Dollar an Taiwan geliefert.
Angesichts der chinesischen Drohungen und alarmiert durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich Taiwans Regierung für den Ernstfall gerüstet. Taiwan hat einen rasanten Ausbau der Rüstungs-industrie und die Beschaffung neuer Kriegsschiffe, U-Boote und Lenkwaffen eingeleitet und will die Fähigkeit zur asymmetrischen Kriegsführung erlangen. Die Wehrpflicht wurde von 10 auf 16 Monate verlängert. Der Taiwankonflikt könnte durchaus auf eine mögliche militärische Auseinandersetzung zwischen China und den USA hinauslaufen. Verschärft wird das Krisenszenario durch Chinas Proteste gegen die regelmäßige Passage von US-Kriegsschiffen durch die Taiwanstraße.

Allianzen gegen China

Die vier großen Demokratien der indopazifischen Region, Indien, USA, Australien und Japan, kooperieren eng miteinander, um Chinas Expansionsstreben zu kontern. Dazu haben sie sich zum maritimen Sicherheitsbündnis Quadrilateral Security Dialogue (Quad) zusammengeschlossen, das die vier Länder auch als Wirtschaftspartnerschaft begreifen. Die Quad-Staaten wollen ein gemeinsames Überwachungssystem für den Schiffsverkehr im Indopazifik aufbauen, um illegalen Fischfang und maritime Milizen besser kontrollieren zu können. Dazu zählen insbesondere chinesische Fischereiboote, die als eine Art Küstenwache chinesische Territorialansprüche im pazifischen Raum demonstrieren. Der Schwerpunkt des Viererbunds liegt auf der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit. Dazu haben Vertreter erklärt: „Der indopazifische Raum ist zugänglich und dynamisch, unterliegt dem Völkerrecht und grundlegenden Prinzipien wie der Freiheit der Schifffahrt und der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten.“ Bereits 2021 haben Australien, Großbritannien und die USA die Verteidigungsallianz Aukus gegründet. Aukus sieht eine enge Rüstungszusammenarbeit zwischen den drei Ländern vor. Dazu gehört vor allem die Rüstungskooperation für die Beschaffung von acht U-Booten mit Nuklearantrieb für die Marine Australiens. Auch wollen die drei Nationen in der Entwicklung und Beschaffung von Hyperschallwaffen und in der Elektronischen Kriegsführung zusammenarbeiten.

Chinesischer Flugzeugträgerverband beim Manöver um Taiwan, Foto: MoD Taiwan

Chinesischer Flugzeugträgerverband beim Manöver um Taiwan, Foto: MoD Taiwan

2022 haben Australien und Japan das Reciprocal Access Agreement (RAA) vereinbart. Die bilaterale Übereinkunft ist neben einer Rüstungskooperation vor allem auf eine militärische und sicherheits-politische Zusammenarbeit im indopazifischen Raum ausgerichtet. Im Januar 2023 hat Japan mit Großbritannien das Japan-UK Reciprocal Access Agreement verabschiedet, dem ebenfalls eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft zwischen beiden Ländern zugrunde liegt. Zudem hat Japan eine neue nationale Sicherheitsstrategie erarbeitet, in der China als größte strategische Herausforderung betrachtet wird. Angekündigt ist darin eine Verdoppelung der Verteidigungsausgaben und eine Anhebung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2027. Die Strategie sieht vor, Fähigkeiten für Gegenschläge mit eigenen Raketen und US-Marschflugkörpern zu entwickeln, die die chinesische Küste erreichen können, um dort feindliche Raketenstellungen auszuschalten. Auch haben Japan und die USA ihre traditionelle Verteidigungskooperation ausgeweitet. So wird die US-Truppenpräsenz auf Okinawa erhöht. Dazu wollen die USA eine schnelle Eingreiftruppe mit 2000 Soldaten aufbauen, die auf See und in der Luft operieren kann. Auch haben Japan und Indien im Januar 2023 ihr erstes gemeinsames Manöver mit See- und Luftstreitkräften durchgeführt.

Frankreichs Marinepräsenz

Auf einer Sicherheitskonferenz 2019 in Singapur hat Frankreich verkündet, seine Marine werde künftig regelmäßig mit starken Schiffsverbänden im Pazifik und insbesondere im Südchinesischen Meer operieren, um der chinesischen maritimen Expansion entgegenzuwirken. Dabei wolle man mit den Marinen von Indien, Australien, Singapur, Malaysia, Vietnam, Thailand und den USA eng zusammenarbeiten. Tatsächlich zeigt Frankreich seitdem regelmäßig mit starken Marineverbänden in der Region Präsenz. „Frankreich ist eine indopazifische Macht“, hat Präsident Emmanuel Macron betont. Schließlich besitzt Frankreich im indopazifischen Raum zahlreiche Überseegebiete wie Französisch Polynesien, Neukaledonien, Wallis und Futuna sowie La Réunion und Mayotte mit über 1,7 Millionen Einwohnern und riesigen Ausschließlichen Wirtschaftszonen. Dauerhaft hat Frankreich in Asien und Ozeanien über 7000 Soldaten, 15 Kriegsschiffe und 38 Kampfflugzeuge stationiert. Derzeit operiert eine Flugzeugträgerkampfgruppe mit der CHARLES DE GAULLE gemeinsam mit der amerikanischen Marine im Südchinesischen Meer.

Geopolitischer Wandel

Die steigenden Spannungen zwischen China, den USA und den Anrainerstaaten im indopazifischen Raum sind Ausdruck sich ändernder geopolitischer Machtverhältnisse. Chinas aggressive Machtentfaltung und Flottenrüstung haben im asiatisch-pazifischen Raum eine beachtliche Aufrüstung provoziert. In den letzten Jahren war bei den südostasiatischen Staaten ein zunehmender Anstieg der Rüstungsausgaben zu verzeichnen. Allein zwischen 2010 und 2020 sind die regionalen Rüstungsausgaben um über 50 Prozent gestiegen. Die Staaten in der Region haben erstmals mehr Geld für Rüstung ausgegeben als alle NATO-Staaten Europas. Dabei investieren sie am stärksten bei den Seestreitkräften. Beschafft werden U-Boote, Fregatten, Korvetten, Patrouillenboote sowie unbemannte Überwasser-, Unterwasser- und Luftfahrzeuge. Das Ringen um die Vorherrschaft im indopazifischen Raum hat ein maritimes Eskalationsrisiko erzeugt.

Dieter Stockfisch

 

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

de_DEGerman