"Belgorod" - Indienststellung des weltgrößten Atom-U-Bootes in Severodvinsk am Weißen Meer. Foto: MoD Russland

"Belgorod" - Indienststellung des weltgrößten Atom-U-Bootes in Severodvinsk am Weißen Meer. Foto: MoD Russland

Russische Marine stellt weltgrößtes U-Boot in Dienst

Andreaskreuz - Seekriegsflagge der Russischen Föderation. Foto: Sevmash

Am Freitag, 8. Juli 2022, wurde die „Belgorod“ (Projekt 09852) an die russische Marine übergeben. Die feierliche Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls und der Übergabe, bei der nach russischer Verfahrensweise die St. Andreas-Flagge gehisst wird, fand in der Sevmash-Werft (Severodvinsk/Archangelsk) statt. In einer Pressemitteilung der Werft heißt es, dass die Führung des Verteidigungsministeriums, der Marine, der Verwaltungen der Oblaste Archangelsk und Sewerodwinsk sowie Vertreter der Schiffbauindustrie anwesend waren.

1992 als eines der Boote des Typs Oscar II (Projekt 949B) bereits auf Kiel gelegt, dauerte es zwanzig Jahre bis zur Auslieferung. Im Jahr 2000, nach der Katastrophe mit dem Vorgängerboot K-141 „Kursk“ wurde der Bau für mehr als ein Jahrzehnt unterbrochen. Die Taufe der Werft-Baunummer 664 fand am 23. April 2019 statt. Mit 184 Metern Länge und einer Verdrängung von 30.000 Tonnen (getaucht), überschattet K-329 „Belgorod“ andere Atom-U-Boote (SSBN/SSGN) der russischen Typhoon- sowie die Ohio-Klasse der US-Marine.

Übergabe der Indienststellungsurkunde der "Belgorod". Foto: Sevmash

Sie gehört mit ihren beiden noch nicht vollendeten Schwesterschiffen eigentlich zur dritten Generation russischer Atom-U-Boote. Von den elf zwischen 1982 und 1996 gebauten Schiffen sind noch acht in Nutzung, zwei wurden verschrottet, K-141 „Kursk“ sank im August 2000 in der Barentssee. Als zwölftes Schiff dieses für den Einsatz von Marschflugkörpern konzipierten U-Boot-Typs (SSGN) wurde K-329 für einen neuen Zweck mit modifiziertem Entwurf wiederbelebt, im Dezember 2012 als Projekt 09852 fortgesetzt und in ein „spezielles Forschungs- und Rettungs-U-Boot“ oder Multifunktions-U-Boot umgewandelt.

Nuklearangetriebenes Mutter-U-Boot

Dies bekräftigte der Oberbefehlshaber der Marine Admiral Nikolai Evmenov bei der Indienststellungszeremonie: „Heute ist ein bedeutender Tag für uns – die Unterzeichnung der Abnahmebescheinigung für das Forschungs-U-Boot "Belgorod" (Hervorhebung durch den Verfasser) und seine Übergabe an die Flotte. Bei der Erstellung des Schiffes wurden fortschrittliche Errungenschaften der Wissenschaft und die neuesten Konstruktionstechnologien unter Nutzung der vorhandenen technischen Reserven angewendet." Weiter führt er aus: " Das U-Boot "Belgorod" eröffnet Russland neue Möglichkeiten bei der Durchführung verschiedener Studien, ermöglicht die Durchführung verschiedener wissenschaftlicher Expeditionen und Rettungsaktionen in den entlegensten Gebieten des Weltozeans.“

Der Bootskörper von K-329 „Belgorod“ wurde um eine Rumpfsektion mit Dock für kleine und unbemannte Tauchfahrzeuge (z.B. UUV (Unmanned Underwater Vehicles) und U-Boot-Rettungsfahrzeuge) erweitert. Somit wird das ehemalige Angriffs-U-Boot nunmehr zum nuklearangetriebenen Mutterschiff für bis zu acht Unterwasserdrohnen. "Belgorod" soll Unterwasserausrüstung aussetzen und Kabelverlegungen oder Kabelinspektionen durchführen. Dazu kann sie kleinere (autonome) Unterwasserfahrzeuge huckepack nehmen oder gar in sich aufnehmen. Am Schiffsbauch lässt sich das autonome Unterwasserfahrzeug Harpsichord 2P-PM andocken. Dort befindet sich auch eine Station zum Mitführen von U-Booten bis zu 70 m Länge (einschlägige Kreise erwähnen die Projekte 18511 (Paltus) und 10831 (Losharik), beides bis zu 1000 m Tauchtiefe einsetzbare, mit mehreren Roboterarmen ausgestattete nuklearangetriebene Tiefseetauchgeräte, die im Aussehen an die russische KILO-Klasse erinnern).

Die auf "Belgorod" zum Einsatz kommenden Systeme.

Eher strategisches als ein Forschungs-U-Boot

Weiterhin wird „Belgorod“ der Träger für das von Vladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation am 1. März 2018 angekündigte neue Waffensystem Poseidon (2M39) werden. Poseidon wird russischerseits auch als Status-6 bezeichnet, in den USA trägt das System den Codenamen Kanyon. Dabei wird es mal als Torpedo und mal als Unterwasserdrohne klassifiziert.

Mit einer „interkontinentalen“ Reichweite von fast 10.000 km bei einer Höchstgeschwindigkeit von ca. 100 km/h (54 Knoten) ist Poseidon in der Lage, seine Ladung über sehr große Entfernung ins Ziel zu bringen. Basierend auf früher geleakten technischen Zeichnungen und der Auswertung einiger vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Testbildern, misst Poseidon etwa 24 m Länge und 1,6 m Durchmesser. Die Skizzen zeigen einen Gefechtskopf von etwa 4 m Länge und einem Durchmesser von 1,5 m, die Angaben zur Sprengkraft reichen von 2 bis zu 100 Megatonnen. Die „Belgorod“ soll über sechs solcher Poseidon verfügen. Inwieweit eine Wiederbeladung möglich ist (was (eine) weitere Chargierung(en) bedingen würde), ist nicht bekannt. Russische Medien wie TASS und RIA verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf Geheimhaltung.

Neben dem Einsatz von Poseidon wird Aufklärung ein maßgeblicher Bestandteil der Aufgaben von "Belgorod" und ihren Schwestern. Die kursierenden Skizzen zeigen die Vorrichtung für ein Schleppsonar (towed array sonar). Zusätzlich wird wahrscheinlich Harmony zum Einsatz kommen, ein Sensornetzwerk zur U-Boot-Detektion, dass das russische Militär in der Arktis stationieren will – ähnlich wie das SOSUS-Sonar-Netzwerk der U.S. Navy. Weiterhin kann „Belgorod“ seine UUV bzw. das mitgeführte Gerät einsetzen, um Sensoren zu platzieren, die von Unterwasser-Atomgeneratoren versorgt werden. Bilder zeigen zudem eine Art Schleppausrüstung, vermutlich um Unterwasserkabel zu legen. Außerdem sind Stellen zu erkennen, die die Nutzung von Jetpropellern vermuten lassen, um das Boot auch in engen Verhältnissen zu manövrieren, oder um es für Präzisionsarbeiten auf Position zu halten. Die Tauchtiefe soll ca. 520 m (1.700 Fuß) betragen.

Poseidon verändert den Charakter nuklearer Abschreckung

Wie bei den anderen Aufklärungsschiffen, sollen Führung und operativer Einsatz durch Glavnoye Upravlenie Glubokovodsk Issledovanii (GUGI), die weitgehend geheim operierende Hauptabteilung für die Unterwasserforschung innerhalb des Marineführungsstabes im Verteidigungsministerium, erfolgen. Wegen seiner strategischen Bedeutung ist denkbar, dass das operative Kommando über „Belgorod“ direkt im Kreml, also beim Präsidenten liegt.

Mit „Belogorod“ und seiner Hauptbewaffnung Poseidon verspricht sich Moskau die Stärkung seiner Zweitschlagskapazität. Mögliche Ziele des Hochleistungstorpedos sind Trägergruppen sowie küstennahe Infrastruktur. Im März 2018 hatte Wladimir Putin die russische und die Weltöffentlichkeit über seine Pläne zur Stärkung der russischen militärischen Reaktionsfähigkeiten als Antwort auf amerikanische Stationierungspläne in Polen und Rumänien informiert. Dabei ließ er mehrere Videos über neuartige Waffensysteme zeigen – so auch Poseidon. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums bestätigte im März 2019 Journalisten gegenüber, dass die Tests mit Poseidon erfolgreich abgeschlossen wären. Die Ausbildung des Personals des Trägerfahrzeuges sei abgeschlossen (Anmerkung: Die Besatzungsstärke soll sich auf 25 belaufen).

Sowohl zum Gesamtprojekt wie zum Supertorpedo verbleibt eine Portion Skepsis. Zu den beträchtlichen Herausforderungen wird der Entzug vor feindlicher Aufklärung bei einem derartig großen Waffensystem gehören. Auch sind die Anforderungen an Führungsfähigkeit, gerade im Fall eines derart weit operierenden Torpedos mit nuklearem Potential von elementarer Bedeutung, weil man unter Umständen den Angriff abbrechen oder einen Zielwechsel vornehmen möchte.

Seine verheerende Wirkung bei seinem Einsatz in Küstennähe ist besorgniserregend. Neben den unmittelbaren Trefferwirkungen sind Sekundärwirkungen durch Tsunamis denkbar – hier sei an Fukushima erinnert.

Russland schlägt mit seinem Untersee-Mutterschiff „Belgorod“ ein neues Kapitel in der Marineseekriegführung auf. Technologische Vorteile sprechen nicht mehr in dem Maße wie bisher für U-Boote. Hinzu kommen die Fortschritte in den Techniken und Methoden der U-Boot-Bekämpfung. Einsatz von Big Data, die Zusammenführung einer Vielfalt von Sensoren, die, um nur ein Beispiel aufzugreifen, in der Lage sind, die von U-Boot-Reaktoren freigesetzte Strahlung zu erfassen, erfordern neuen Ansätze. Gleichzeitig wird es teurer, die U-Boote leiser zu machen bzw. besser zu tarnen. U-Boote, die in den Tiefen oder gar nah am Meeresgrund verweilen können und dort operieren, können sich der Entdeckung entziehen. Gelänge gar der Waffeneinsatz, etwa per Poseidon, erführe die traditionelle maritime Kriegführung unter Wasser einen Paradigmenwechsel. Das Prinzip nuklearer Abschreckung ebenfalls. Letztendlich eröffnet eine derartige Waffe auch ein neues Kapitel im Nuklearwaffen-Kontrollregime.

Ursprünglich sollte die "Belgorod" bereits im Jahr 2020 an die Flotte übergeben werden. TASS vermerkt dazu, dass die Covid-19-Pandemie ursächlich für die Verzögerungen sein sollen. Im Juni 2021 begann die "Belgorod" ihre Seeerprobungen.

Russischen Quellen zufolge soll die "Belgorod" zur Nordflotte gehen, ebenso wie das Schwester-U-Boot "Uljanowsk", Projekt 09853. Baunummer 2, „Chabarowsk“, Projekt 09851, soll zur Pazifischen Flotte. Ihr Zulauf wird 2024 erwartet, der von "Uljanowsk" im Jahr 2025.

Bei der Werft Sevmash in der Nikolskoje-Mündung bei Severodvinsk wurden seit 1939 45 Überwasserschiffe und 172 U-Boote gebaut, 132 davon mit Nuklearantrieb (Werksangaben, Stand Dezember 2021).

 

Illustration Belgorod: https://esut.de/2019/06/fachbeitraege/ruestung/12938/russlands-neues-u-boot-belgorod-mit-atomtorpedos/attachment/russland-schlaegt-mit-dem-untersee-mutterschiff-ein-neues-kapitel-in-der-marineseekriegfuehrung-auf/

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