Vom 5. bis 17. Juni 2022 fand zum 51. Mal BALTOPS statt, die gröβte multinationale Marineübung in der Ostsee. Rund 7.000 Soldatinnen und Soldaten aus 16 Nationen, darunter Schweden und Finnland, nahmen diesmal daran teil. Sie verteilten sich auf 47 Schiffe und Boote, 89 Luftfahrzeuge sowie diverse Dienststellen und Truppeneile an Land.
BALTOPS steht für „Baltic Operations“ und ist eine langfristig angelegte Übungsserie, die 1972 von den US Naval Forces Europe ins Leben gerufen wurde. Der Zweck hat sich seitdem nicht verändert: Es geht darum, mit Alliierten verschiedene Arten der Seekriegsführung zu trainieren, zum Beispiel die Jagd auf Uboote, das Räumen von Minen und die Anlandung von Truppen. Das Ziel besteht darin, maritime Präsenz zu zeigen, um die Freiheit der Seefahrt zu garantieren.
Die Planung und Durchführung von BALTOPS ist seit mehreren Jahren schon an die Naval Striking and Support Forces NATO, abgekürzt: STRIKFORNATO, mit Sitz im portugiesischen Oeiras delegiert. Deren Kommandeur, bis September 2022 der USamerikanische Vizeadmiral Gene Black und seitdem sein Landsmann Vizeadmiral Thomas Ishee, ist zugleich Kommandeur der 6. US Flotte und stellvertretender Kommandeur der US Naval Forces Europe und US Naval Forces Afrika, allesamt in Neapel stationiert.
Die Vorbereitungen zu BALTOPS dauern generell fast ein Jahr. Dazu gehört unter anderem die Erarbeitung eines Ablaufplans zwecks Abstimmung der eingesetzten
Kräfte und Einbettung in das Szenario, sprich: wer macht was wann wozu. Die Übung besteht dann aus zwei Phasen: Die erste dient der Integration und Ausbildung, die zweite ist ein freilaufendes Manöver.
„BALTOPS ist eine großartige Gelegenheit für die Alliierten und die Partnernationen, gemeinsam auf See, in der Luft und am Boden zu trainieren und so die Interoperabilität und die Erfahrung in der Zusammenarbeit zu verbessern“, hebt James Morley hervor, britischer Konteradmiral und seit April 2021 stellvertretender Kommandeur von STRIKFORNATO. Er hatte 2022 erneut die Übungsleitung inne.
Diese erfolgte jahrelang von Bord des Führungsschiffs USS MOUNT WHITNEY aus, dem Flaggschiff von STRIKFORNATO und der 6. US Flotte. Pandemiebedingt wurde die Übung seit 2020 vom damals fertiggestellten „Joint Operations Center“ (JOC) von STRIKFORTNATO geleitet. So auch in diesem Jahr.
Szenario und Kräfte
Passend zum 500-jährige Jubiläum der schwedischen Seestreitkräfte konzentrierte sich BALTOPS 22 auf die zentrale Ostsee südlich des skandinavischen Landes im
Dreieck mit Polen im Westen und Litauen im Osten.
Das Szenario sah so aus, dass am Meeresgrund des umrissenen Seegebiets Energiequellen gefunden und erschlossen wurden. Über deren Ausbeutung herrscht zwischen den betroffenen Staaten allerdings Uneinigkeit. Daraus entwickelte sich ein maritimer Territorialstreit. In dessen Verlauf verwehrt ein Staat den anderen - welche NATO-Mitglieder sind - die freie Durchfahrt. Das Bündnis wird daraufhin gerufen, um den Aggressor zurückzudrängen und die internationale Ordnung wiederherzustellen.
Für die Dauer der Übung wurden die daran beteiligten Kräfte in zwei Lager gesplittet: Eine Alliierte Task Force und eine gegnerische Task Force, jeweils bestehend aus mehreren Task Groups. Die gegnerische Kräfte führte der damalige Kommandant der Fregatte SACHSEN.
Neben seinem Schiff nahmen deutscherseits unter anderem der Einsatzgruppenversorger BERLIN mit eingeschifften SEA KING-Hubschraubern, die Korvette BRAUNSCHWEIG mit der Drohne SEA FALCON, die Minenjagdboote FULDA und HOMBURG sowie Seefernaufklärer P-3C ORION teil.
Erprobung von Technik und Verfahren
BALTOPS 22 wies gleich mehrere Besonderheiten auf:
Auf auffälligsten war sicher die Entsendung eines US-amerikanischen Landungsgeschwaders um das amphibische Angriffsschiff KEARSARGE und das Docktransportschiff GUNSTON HALL. Beide hatten hunderte Marineinfanteristen inklusive Flieger und Logistik der „22 Marine Expeditionary Unit“ an Bord. Zum ersten Mal seit vier Jahren nahmem wieder zwei solche Verbände an BALTOPS teil. Dazu gehörten diesmal auch spezielle Aufklärungskräfte, welche im Zuge der aktuellen Reform des US Marine Corps („Force Design 2030“) neue Technik und Verfahren testeten.
Gleiches taten die in diesem Jahr bemerkenswert stark vertretenen Minenabwehrkräfte diverser Nationen (13 Boote mit fast 1.000 Männern und Frauen). Ihr Augenmerk lag auf neuen oder weiterentwickelten Drohnen zur Erkennung von Sprengmitteln unter Wasser.
Bezüglich der Deutschen Marine ist von NATO-Seite her die Erprobung der erwähnten Drohne SEA FALCON herauszustellen. Mit ihr war es unter anderem möglich, den Aufklärungsradius der Korvette BRAUNSCHWEIG signifikant zu erhöhen, was Übungsverlauf deutlich auffiel.
Geschichte und Kultur im operativen Blick
Erstmals eingebunden, im Vergleich zu den Drohnen aber weniger sichtbar, war das in der Bedeutung wachsende Thema „Cultural Heritage Exploitation“, oder einfach CHE. Hierbei geht es darum, dass historische Narrative und Kulturgüter wie Denkmäler von einem Staat genutzt werden können, um eigenes Handeln zu rechtfertigen. Dies hat sowohl eine psychische als auch eine physische Komponente.
CHE Operationen zielen darauf ab, jene Aspekte zu verstehen, um der gegnerischen Seite keinen Anlass für Desinformation oder andere Reaktionen zu geben. Dazu wurde STRIKFORNATO während BALTOPS 22 von zwei zivilen Wissenschaftlern beraten, die zu CHE forschen. Ihre Hinweise galten nicht allein dem Handeln bestimmter Truppenteile, sondern waren mehr ein Beitrag zur multidimensionalen Kriegsführung. Das heiβt, dass das Thema in der Gesamtplanung berücksichtigt wurde.
Einbindung von Luftstreitkräften
Erwähnenswert ist ansonsten die starke Integration von Luftstreitkräften, die in dem Ausmaβe bei früheren Durchgängen von BALTOPS bislang nicht gegeben hat. Die Herausforderung besteht dabei vor allem in der Koordination der Flüge und der Organisation des Luftraums.
STRIKFORNATO konnte diesbezüglich auf seine während der NEPTUNE Serie gesammelte Expertise zurückgreifen. So endete wenige Tage vor dem Beginn von BALTOPS 22 die „vigilace activity“ NEPTUNE SHIELD 22, an der neben dem US-Landungsgeschwader im Wesentlichen drei Flugzeugträgerkampfgruppen teilnahmen.
Die zahlreichen Luftfahrzeuge wurden sowohl von Land als auch von See eingesetzt. Das amphibische Angriffschiff führte beispielsweise Kampfflugzeuge vom Typ „Harrier II“ sowie Kampfhubschrauber „Viper“ mit. Weitere Luftunterstützung kam unter anderem vom Flugzeugträger HARRY S. TRUMAN, der sich im Mittelmeer befand.
Die Zusammenarbeit zwischen Jets, Hubschraubern und Drohnen machte BALTOPS besonders wirklichkeitsnah. Dafür sorgte auβerdem die Beratung von Angehörigen des NATO Space Centers, welches zum Allied Air Command in Ramstein gehört. Deren Einspielungen, wie der Ausfall von Satelliten oder Meldungen über gestörte Signale, brachten weitere Realitätsnähe.
Fazit
STRIKFORNATO zieht eine insgesamt positive Bilanz aus der diesjährigen Durchführung von BALTOPS. Alle gesteckten Ziele wurden erfüllt und gleichzeitig neue Akzente gesetzt, die es in den kommenden Jahren weiterzuentwickeln gilt.
„BALTOPS 22 hat mit seiner hohen Komplexität unsere kollektive Bereitschaft und Anpassungsfähigkeit auf die Probe gestellt und gleichzeitig die Stärke unseres Bündnisses und unsere Entschlossenheit unter Beweis gestellt, ein Seegebiet mit freier Durchfahrt für alle zu schaffen“, resümmierte Vizeadmiral Black.
Zum Autor: Korvettenkapitän Helge Adrians dient bei STRIKFORNATO und war an der Durchführung von BALTOPS 22 beteiligt.
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